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Wissenschaftskolleg Berlin: Verwegene Melange

Jost Müller-Neuhof schaut mit Juristen und Soziologen in Abgründe: Das Wissenschaftskolleg Berlin befasst sich mit dem Politikphänomen Guttenberg.

Die wissenschaftliche Rezeption seines Werks beschränkt sich auf ein Plagiatsurteil, für den Politiker und die öffentliche Person Karl-Theodor zu Guttenberg könnte anderes gelten. Ist er ein Original, ein Unverfälschter, dessen Karriere bis zum Kanzlerkandidaten in spe an seinen herausragenden Talenten lag? Oder ist er ein Blender, Tunichtgut, entlarvter Hochstapler? Wissenschaftler werden nicht Wissenschaftler, um schnell zu reagieren. Auch dies war bei Guttenberg anders, mit der strengen Kritik, die seinem Rücktritt vorausging, und jetzt, mit einem ersten Kolloquium am Wissenschaftskolleg Berlin, das Forscher und Journalisten am Montag in Grunewald zusammenführte. Das Thema traf auf kein unbefangenes Gremium, verantwortlich war Oliver Lepsius, derzeit Fellow und Staatsrechtsprofessor an der Uni Bayreuth in Nachfolge von Peter Häberle, des Doktorvaters des Ex-Ministers.

Er, der selbst mit seinem Bekenntnis, man sei einem Betrüger aufgesessen, den Abgang des Politikers beschleunigt hatte, analysierte, hier sei Wissenschaft zum politischen Akteur geworden. Lepsius sah zugleich eine „Sternstunde der Publizistik“ und machte im Internet einen „Hort politischer Werteverteidiger“ aus. Aber mit dem Sieg des Guten über den bösen Guttenberg ist es so eine Sache. Man weiß, der politische Marktplatz liegt außerhalb der Studierstube, und dort feierte Guttenberg Erfolge. Möglich, dass es nur Kontinuitäten sind, referierte Kolleg-Rektor Luca Giuliani, ein Archäologe, und erinnerte an das römische Heer, an dessen Spitze standesbewusste Jungmänner mit erlesener Rhetorik standen, während die Kommandoarbeit Profi-Zenturionen erledigten. Sein Fazit: Militärische Kompetenz war nicht notwendig, es ging den hohen Offizieren auf dem Sprung ins Senatorenamt darum, Tugend und Anstand herauszustellen.

Hat Guttenberg also auch im alten Rom kopiert, war er, der Begriff fiel öfter, ein „cäsaristischer“ Politiker? Der Literaturwissenschaftler Reinhart Meyer-Kalkus hob auf die Selbstbeherrschung des die Podientreppen stets herauftänzelnden Mannes ab; sein Kundus-Auftritt im Bundestag sei eine „körpersprachliche Demonstration rhetorischer Kaltblütigkeit“ gewesen, „die ihresgleichen sucht“. Ein Florettfechter und „TV-Champion“, der die in höfischer Zeit aufgewerteten Selbstdarstellerqualitäten des politischen Führungspersonals zur Vollendung brachte. Tagesspiegel-Kulturautor Peter von Becker konnte das nicht beglaubigen, er erkannte einen „immer angespannten“ Akteur, der selbst Momente tiefster Erniedrigung zur durchsichtigen Selbstüberhöhung genutzt habe.

Professionalität und Dilettantismus, zwischen diesen Polen verortete auch der Bildungssoziologe Tilman Allert den Gestürzten. Die „inszenierte Anstrengungslosigkeit“ sei dessen vordemokratische Botschaft gewesen. Ein Souverän kraft eigener Privilegien, der alles mit der Hand in der Hosentasche erledigen könne und damit die Elitensehnsucht der Unterschicht bediente. Politik als Spielfeld – typisch für Adlige, meinte Allert, der mit der Zurschaustellung von Nichtarbeit aber zugleich Institutionen und Prinzipien der Bürgergesellschaft ausgehöhlt sah: „Wir haben in einen Abgrund geschaut.“

Guttenberg wurde mit vielen verglichen, mit Haider, Berlusconi, Reagan, Obama, Kennedy. Aber mit Hitler? Das ging den meisten zu weit. Doch wie soll man einen fassen, der im Kampfhubschrauber sitzt, Heine liest und AC/DC hört, der statt unter seinem Vornamendutzend lieber als „KT“ firmiert? Ein Politiker, der Nicht-Politiker sein wollte, ein Doktor, der sich undoktorlich gab – er vereinnahmte alles und distanzierte sich zugleich. Ein „biografisches Exposé, in dem die Tragik angelegt war“, so der Soziologe; eine „verwegene Melange“, schrieb Guttenberg in seinem Dissertationsvorwort.

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