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Politik: Wo der Alltag verroht

MASSENMORD IN LIBERIA

Von Ingrid Müller

Hunderttausende sind auf der Flucht, Frauen und Kinder werden vergewaltigt, die Cholera grassiert, Granatfeuer im Diplomatenviertel – und Rebellen ziehen feixend mit den abgeschlagenen, blutverschmierten Köpfen ihrer Gegner durch die Straßen: Bilder aus Liberias Hauptstadt Monrovia. Und die Welt schaut zu. Aufgeschreckt zwar, aber sie wartet. Ruanda, der Balkan, alles vergessen? Mancher fragt sich angesichts der Entwicklung: Wo beginnt die Verrohung? Auch die der Zuschauer.

Natürlich soll sich die internationale Gemeinschaft nicht bei jedem Gemetzel gleich einschalten. Aber sie trägt Verantwortung. Appelle, zu helfen, gibt es seit Monaten. Doch bisher hat vor allem einer mit dem Finger auf den andern gezeigt. Helfen sollen doch bitte die anderen. Nun haben die westafrikanischen Nachbarn eine Eingreiftruppe angekündigt, die USA Unterstützung zugesagt. Sie entsenden Kriegsschiffe in die Region. Angesichts der vagen Zusagen sind auch daran bereits Zweifel aufgekommen.

Dafür gibt es verschiedene Gründe. In den vergangenen Jahren hat sich mehr und mehr die Ansicht durchgesetzt, dass bei Konflikten die Staaten der jeweiligen Region eingreifen sollten. Das ist durchaus sinnvoll, schon wegen klimatischer Bedingungen. Und erst recht wegen der kulturellen Unterschiede, mit denen Soldaten aus anderen Teilen der Welt bei Einsätzen in der Ferne oft zusätzlich zu kämpfen haben. Die Afrikaner bauen Friedenstruppen auf. Nur: Sie sind meist ebenso schlecht ausgebildet wie ausgerüstet. Die reichere Welt muss sich fragen, ob sie nach relativ kurzer Zeit von Afrika fordern kann, wozu sie sich selbst nicht in der Lage sieht. Auf dem Balkan sind auch die Amerikaner dabei. Entscheidend aber ist: Die Nachbarstaaten sind in Afrikas (Bürger)Kriegen oft selbst Partei. So auch in Liberia. Wie sollen deren Soldaten neutral auftreten und akzeptiert werden? Gerade die Nigerianer, die den Großteil der Truppe bilden sollen, haben bereits im letzten Bürgerkrieg eingegriffen, gegen den schließlich siegreichen Taylor. Das alles spricht dafür, dass sie sich zwar beteiligen, aber nicht die Führung übernehmen können.

Liberia wurde 1847 mit freigelassenen amerikanischen Sklaven gegründet, am Sonnabend jährte sich der Unabhängigkeitstag. Die Ex-Sklaven verhielten sich bald selbst wie Kolonialherren. Vor allem amerikanische Firmen profitierten vom Kautschuk und später vom Eisenerz, während die Mehrheit der Bevölkerung weiter in Armut lebt. Aus all dem erwächst für die USA eine größere Verpflichtung als die, eine afrikanische Truppe mit Geld zu unterstützen und mit Kriegsschiffen zu patrouillieren. Selbst wenn der Tyrann Taylor das Land verlässt, ist die Lage keineswegs geklärt, denn auch die Rebellen wollen sich erst einmal Pfründe sichern.

Angesichts der Situation muss es jetzt schnell gehen. Inzwischen ist die Lage so schlimm, dass die internationalen Helfer abgezogen sind; Menschen, die es gewohnt sind, in Krisengebieten zu arbeiten. Um nach der ersten Beruhigung das Land befrieden zu können, ist aber wohl eine längere Mission vonnöten. Hier sollten sich die Vereinten Nationen engagieren. Ohne Häme auf beiden Seiten kann das zur Entkrampfung des Verhältnisses zu den USA beitragen – und zeigen, dass es ernst ist mit dem Anspruch der Weltgemeinschaft. Viel schwerer wird es allen zusammen fallen, auf diplomatischem Weg die Änderung korrupter Strukturen in Afrika zu erreichen, an denen sie nicht unschuldig sind. Das ist auf lange Zeit mühsam und bringt keine Aufsehen erregenden Retterbilder, wäre aber für die Mehrheit der Afrikaner die Rettung. Auch diese Aufgabe gehört dazu, wenn man sich nicht den Vorwurf zuziehen will, selbst zu verrohen.

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