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Blick auf ein leeres Restaurant in Berlin.

© John Macdougall/AFP

Wo der Teil-Lockdown widersprüchlich ist: Urlaub im Harz geht nicht, auf den Kanarischen Inseln aber schon

Am 2. November sollen deutschlandweit die neuen Corona-Beschlüsse in Kraft treten. Ein Blick auf Widersprüche und rechtliche Bedenken.

Ab Montag geht Deutschland in den Teil-Lockdown – Restaurants, Kneipen und Kinos schließen, Schwimmbäder, Fitnessstudios und Freizeitparks machen dicht. Mit diesen Maßnahmen wollen Bund und Länder die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus senken und eine „nationale Gesundheitsnotlage“ vermeiden.

Doch ein Blick auf die einzelnen Maßnahmen offenbart eine gewisse Widersprüchlichkeit: Warum dürfen zum Beispiel Friseursalons öffnen, während Nagel-, Tattoostudios und Massagepraxen schließen müssen? Ist eine gute Frisur systemrelevanter als gefeilte Nägel, neue Tattoos oder eine Massage für den geschundenen Rücken?

Die Beschlüsse suggerieren zudem, dass Haarschnitte in Friseursalons genauso wichtig sind wie medizinisch notwendige Behandlungen in Physiotherapiepraxen – letztere dürfen nämlich ebenfalls offenbleiben.

Eine weitere Widersprüchlichkeit findet sich beim Verbot von Veranstaltungen, „die der Unterhaltung dienen“. Im Profisport darf zum Beispiel ohne Zuschauer weitergekickt und weitergedribbelt werden, während der Amateursport den Betrieb einstellen muss.

Veranstaltungsverbot als „Wellenbrecher“?

Ein pauschales Veranstaltungsverbot taugt zudem vermutlich nicht als Pandemie-„Wellenbrecher“: Sichere Konzerte sind anscheinend auch in Corona-Zeiten möglich, wie die Ergebnisse eines Leipziger Konzertexperiments mit Tausenden Zuschauern zeigen.

Probanden eines Großversuchs der Universitätsmedizin Halle/Saale verfolgen in der Arena Leipzig ein Konzert des Popsängers Tim Bendzko im August 2020.
Probanden eines Großversuchs der Universitätsmedizin Halle/Saale verfolgen in der Arena Leipzig ein Konzert des Popsängers Tim Bendzko im August 2020.

© Hendrik Schmidt/picture alliance/dpa

Wenn Veranstalter die Zuschauerzahl halbieren, feste Sitzplätze zuweisen, auf die Maskenpflicht pochen und die Schlangen kurz halten, wäre die Ausbreitung des Virus in einer Stadt wie Leipzig sehr gering, zeigt die Studie. Selbst bei höheren Inzidenzwerten wären Events möglich, wenn Veranstalter die Besucherzahl noch weiter reduzieren und die Reihen paarweise mit einem Mindestabstand von 1,50 Meter besetzen.

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Mit den neuen Beschlüssen müssen ab dem 2. November auch alle Gastronomiebetriebe sowie Kneipen schließen – obwohl die Ansteckungsrate dort, wenn alle Hygienevorgaben korrekt eingehalten werden, laut gesammelter Daten verhältnismäßig gering sein sollen. Während Restaurants und Bars schließen müssen, dürfen Kantinen in Betrieben weiter geöffnet bleiben.

Staatsrechtler erwartet erfolgreiche Klagen

Mit dem Teil-Lockdown haben sich Bund und Länder faktisch auch auf ein deutschlandweites Beherbergungsverbot geeinigt – Übernachtungsangebote im Inland „werden nur noch auf notwendige und ausdrücklich nicht touristische Zwecke zur Verfügung gestellt“. Im November ein Hotelzimmer oder eine Airbnb-Wohnung für einen Wochenendausflug zu buchen, ist also verboten.

Gleichzeitig dürfen die Deutschen auch weiterhin ins Ausland reisen und ihren Herbsturlaub beispielsweise auf den Kanarischen Inseln, in Griechenland oder in Italien verbringen – und dort übernachten.

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FDP-Vize Wolfgang Kubicki zweifelt bereits, ob die bevorstehenden Corona-Maßnahmen juristisch Bestand haben werden: „Die Beschlüsse bleiben von solch einer bemerkenswerten Widersprüchlichkeit, dass nur fraglich erscheint, wann das erste Gericht sie kippt und nicht ob“, schrieb der Bundestagsvizepräsident in einem Gastbeitrag für die „Passauer Neue Presse“.

Zuvor hatte er bereits in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel geschrieben, dass eine solche Einschränkung von Grundrechten ohne fachliche Begründung nicht auf dem Boden der demokratischen Ordnung stehe. Die beschlossenen Maßnahmen atmeten einen “undemokratischen und anti-rechtsstaatlichen Geist”, so Kubicki. 

Staatsrechtler Ulrich Battis erwartet eine erfolgreiche Klagewellen gegen bestimmte Lockdown-Maßnahmen. „Ich gehe fest davon aus, dass es eine hohe Anzahl an Klagen geben wird und dass auch viele wie bisher in einstweiligen Rechtsschutzverfahren damit durchkommen werden, siehe die gekippten Beherbergungsverbote und Sperrstunde“, sagte Battis der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Schon in der kommenden Woche könnte es demnach erste Entscheidungen geben.

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