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Politik: Wo hört für Sie die Freundschaft auf, Herr Spiegel?

Sie haben in Ihrer Agentur auch viele ausländische Künstler unter Vertrag. Kommen die gerne nach Deutschland?

Sie haben in Ihrer Agentur auch viele ausländische Künstler unter Vertrag. Kommen die gerne nach Deutschland?

Sehr gerne sogar. Deutschland ist für Künstler immer noch ein gutes Feld.

Hatte keiner Bedenken oder Vorbehalte?

Nur eine, Barbra Streisand. Die hätte ich gerne mal nach Deutschland geholt. Sie ist für mich einfach die größte Entertainerin. Aber sie wollte partout nicht.

Können Sie verstehen, wenn jemand Vorbehalte hat?

Ja. Aber ich kann sie keinesfalls gutheißen. Denn das Deutschland von heute ist ja nicht mehr das Land von vor 1945. Dennoch muss man akzeptieren, dass es Menschen jüdischen Glaubens gibt, die Deutschland verlassen mussten und sich weigern, jemals wieder deutschen Boden zu betreten. Ich kann auch verstehen, dass es noch Menschen in Israel gibt, die die Musik von Wagner nicht ertragen.

Ist es richtig, Wagner dort aufzuführen?

Nein. Solange es Menschen gibt, die das emotional nicht verkraften, sehe ich keinen Grund dafür, Wagner zu spielen.

Sie können die Empörung in Israel verstehen, als Daniel Barenboim im August als Zugabe bei einem Konzert Wagner dirigierte?

Es gibt so viel gute Musik aus Deutschland. Warum musste Barenboim gerade "Tristan" spielen, wo doch viele ältere Menschen im Publikum waren. Barenboim weiß doch, dass Wagners Musik gerade bei den Nazis so beliebt war. Darüber braucht man nicht zu diskutieren. Ich bewundere die Kunst des Dirigenten. Aber in dieser Frage sind wir einfach uneins. Ich werde mich sicherlich noch darüber mit Barenboim unterhalten.

Ihr Vater war im KZ, ihre Schwester Roselchen wurde von den Nazis umgebracht. Sie selbst und ihre Mutter mussten in Belgien untertauchen. Wie können Sie noch im Land der Täter leben?

Ich bin als Siebenjähriger mit meiner Mutter nach Deutschland zurückgekehrt. Mein Vater war nach der Befreiung von Dachau sofort wieder nach Warendorf gegangen, in seine Heimat. Ich wollte erst nicht dorthin. Ich wusste von dem Land nur, dass es mich umbringen wollte. Ich habe dann überrascht festgestellt, dass die Deutschen genauso aussehen wie Belgier. Und noch mehr habe ich gestaunt, dass es deutsche Kinder gibt. Mein Vater hat übrigens trotz der schlimmen Dinge, die unserer Familie angetan wurden, nie von den Deutschen gesprochen, sondern nur von Deutschen. Schaue genau hin - in diesem Sinne bin ich von meinen Eltern erzogen worden.

Haben Sie mal daran gedacht, Deutschland zu verlassen?

Nein. Ich habe niemals daran gedacht, aufzugeben. Ich gebe aber zu: Wäre ich nach dem Krieg deutlich älter gewesen und hätte schon damals über die ungeheuren Verbrechen Bescheid gewusst, ich wäre wohl nicht wieder in die Bundesrepublik gegangen. Generell halte ich es aber mit Ralph Giordano: Wir sind nicht dazu da, Hitler nachträglich zum Erfolg zu verhelfen.

Kann man hier ohne Verzeihen leben?

Anders geht es nicht. Ich werde oft gefragt: Warum könnt ihr Juden nicht vergessen und vergeben? Auf die Frage nach dem Vergeben antworte ich immer mit dem Hinweis, dass heute wieder mehr als 100 000 Juden in Deutschland leben. Eine unvorstellbare Zahl, wenn man daran denkt, was zwischen 1933 und 1945 hier geschehen ist.

Was ist das Besondere an diesem Land, dass selbst einst verfolgte Juden dorthin unbedingt zurückkehren wollen?

Bis in die 30er Jahre hinein empfanden Deutsche jüdischen Glaubens eine tiefe Liebe zu ihrer Heimat. Denken Sie nur daran, wie viele Männer im Ersten Weltkrieg begeistert für Deutschland zu den Waffen griffen. Die viel zitierte deutsch-jüdische Symbiose hat es aber nie gegeben, sie wurde immer nur herbeigesehnt. Ich habe eine Hypothese: Wenn die Nationalsozialisten nicht den Hass auf die Juden geschürt hätten, dann wären vielleicht einige von ihnen sogar gute Nationalsozialisten geworden.

Die Liebe zum Land ist stärker als der Hass auf die Nazis?

Liebe würde ich es nicht nennen, eher eine besondere Verbundenheit.

Fallen Ihnen spontan Gründe ein, warum Sie sich Deutschland verbunden fühlen?

Deutschland ist landschaftlich ein wunderbares Land. Und Deutschland hat mit der Demokratie eine Staatsform, in der es sich zu leben lohnt. Ich bin überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen hier Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus im Grunde ablehnt.

Der Geist steht nicht rechts?

Nein, das sehen Sie schon an den Wahlen. Aber es gibt immer wieder Hinweise darauf, dass der Rechtsradikalismus von dieser Mehrheit nicht entschieden genug verdammt wird. Ich habe zuweilen den Eindruck, die Leute schauen weg und schweigen, wenn es eigentlich angebracht wäre, hinzuschauen und zu handeln. Es mangelt oft an Zivilcourage.

Aber es gibt doch den Aufstand der Anständigen, die Menschen, die Gesicht zeigen!

Den Aufstand der Anständigen sehe ich nicht. Trotzdem bin ich überzeugt, dass es so etwas wie das Dritte Reich hier nie wieder geben wird. Wir haben eine Medienlandschaft, die so etwas nicht zulässt.

Dann muss man die NPD nicht verbieten?

Wenn die NPD verfassungsfeindlich ist, dann muss sie verboten werden. Das beste Verbot von rechtsradikalen Parteien ist allerdings das durch die Wähler.

Sollten Sie sich dann nicht am besten parteipolitisch engagieren?

Warum?

Ihr Vorgänger Ignatz Bubis hat die FDP wieder in den Frankfurter Magistrat geführt.

Es gibt viele Juden, die sich parteipolitisch betätigen. Denken Sie an einen Vizepräsidenten des Zentralrats, der der CDU angehört, obwohl man das nicht immer merkt. Ich glaube aber, dass es in meiner Position besser ist, wenn man sich nicht parteipolitisch engagiert. Ich gehöre keiner Partei an und bin Wechselwähler.

Aber Sie melden sich zu Wort.

Das tue ich. Parteien spielen dabei aber für mich keine Rolle. Vor kurzem habe ich mich zum Beispiel mit dem Fraktionsvorsitzenden der Union, Friedrich Merz, getroffen. Wir haben vereinbart, dass wir bei Problemen gleich zum Telefon greifen. Ohnehin ist mein Konzept: Mehr Telefon als Mikrofon.

Dennoch sind Sie in der Öffentlichkeit sehr präsent.

Glauben Sie mir, das geht nicht von mir aus.

Vielleicht sind Sie das Gewissen der Nation?

Ich will es auf keinen Fall sein. Dagegen wehre ich mich. Ich will mich einfach nicht über Christoph Daum, Boris Becker oder über Homosexualität äußern.

Paul Spiegel ist aber schon ein politischer Mensch und das Amt eines Präsidenten des Zentralrates der Juden ein politisches?

Ja, nach innen und außen. Ich melde mich, wenn ich die Demokratie - oder die Interessen der jüdischen Gemeinschaft - gefährdet sehe. Dennoch: Bei jedem antisemitischen Vorfall rufen mich Journalisten an und fragen, was ich dazu sage. Mein Gott, was soll ich anderes sagen, als dass ich das verurteile. Soll ich das etwa begrüßen? Warum fragt man nicht Präses Kock oder Kardinal Lehmann? Kennen Sie den Namen des Vorsitzenden des ZdK der Deutschen Katholiken?

Hans Joachim Meyer.

Richtig. Warum wird nicht Herr Meyer um eine Stellungnahme gebeten, wenn es wieder einen rechtsradikalen Übergriff gab?

Weil er nicht direkt betroffen ist. Haben Sie genug Unterstützung?

Das kann ich nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Ich glaube, dass das Hinsehen noch nicht so ist, wie wir es uns alle wünschen. Ich habe auch den Eindruck, dass die Leute sich eines nicht richtig klar machen: Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus sind nicht nur eine Gefahr für Minderheiten, sondern für alle in Deutschland, die Demokratie wollen. Das allen klar zu machen, ist eine zentrale Aufgabe der Bildungspolitik. Der Nationalsozialismus hat ja Auswirkungen bis heute. Ohne ihn hätte es keinen Krieg, keinen Mauerbau und -fall, keine Wiedervereinigung und keinen Solidaritätszuschlag gegeben. Es kann doch niemandem daran gelegen sein, dass eine rechtsradikale Partei das Sagen bekommt, die alle Errungenschaften unseres Staates wieder in Frage stellt.

Aber Sie halten doch unsere Demokratie für sehr stabil.

Die Gefahr ist doch, dass die Menschen an die Wahlurne gehen und denken: Ich kleiner Mann oder Frau, ich kann ja nichts machen. Aber mit meiner Stimme zeige ich es denen mal. Da muss man aufpassen.

Tragen wir zwei, die wir hier sitzen, Schuld?

Nein. Wer Ihnen das einredet, der kennt sich mit der Vergangenheit nicht aus. Schuld ist etwas ganz Persönliches. Man trägt auch keine Verantwortung für das, was andere getan haben. Aber wir alle tragen Verantwortung für das, was künftig passiert. Deshalb gibt es auch keinen Schlussstrich, den Martin Walser so gerne hätte.

Herr Walser hat viel Applaus bekommen, auch von klugen Köpfen.

Aber nicht von Ignatz Bubis. Die Rede in der Paulskirche hat ihn sehr getroffen. Sie war auch ein Grund für seine Resignation.

Stehen in Deutschland Intellektuelle rechts?

Ich bin ein Feind von Verallgemeinerungen. Ja, es gibt Intellektuelle, die rechts stehen. Sehr viele jedoch kämpfen dafür, dass es so etwas wie das Nazi-Regime nie wieder geben wird. Eine Tendenz nach rechts ist aber zu erkennen.

Die Auswirkungen spüren wir bis heute. Haben Sie mit Friedrich Merz auch über Zuwanderung gesprochen?

Nein. Aber ich halte es für schädlich, dieses Thema in den Wahlkampf zu ziehen.

Warum?

Weil da Emotionen geschürt werden, die zu Lasten der Menschen gehen, die zu Recht Zuflucht und eine Heimat in Deutschland suchen. So könnten rechtsradikale Ideen weiterverbreitet werden. Denken Sie an die Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft in Hessen. Die hat eine Dynamik bekommen, an der womöglich nicht mal Roland Koch Interesse hatte. Das war eben für viele eine Abstimmung über Ausländer ja oder nein. Deshalb hoffe ich, dass das Zuwanderungsgesetz noch vor der Sommerpause verabschiedet wird.

Sie haben ja auch Erfahrung mit Zuwanderung und Integration. Viele Juden aus Osteuropa sind in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen.

Wir sind sehr froh, dass dadurch unsere Gemeinden wachsen. Es gibt aber auch Probleme. Die Menschen müssen integriert werden, jüdisches Brauchtum und die deutsche Sprache lernen. Daher habe ich vorgeschlagen, dass im Zuwanderungsgesetz vorgesehen wird, den Leuten schon in ihrer Heimat freiwillige Sprachkurse zu ermöglichen.

Der Dialog der Kulturen kann funktionieren?

Wenn man miteinander statt übereinander spricht. Dann funktioniert es. Man darf eben andere Menschen nicht als etwas Exotisches ansehen, die sich nicht sofort und vor allem unter Aufgabe ihrer kulturellen Abstammung integrieren wollen.

Wo hört bei Ihnen die Freundschaft auf?

Bei Ungerechtigkeit und Überheblichkeit.

Ist es ungerecht, wenn man Ihnen vorwirft, Ihr Ministerpräsident heiße Ariel Scharon?

Das ist einfach nur falsch.

Und was denken Sie, wenn Sie die schrecklichen Nachrichten aus Nahost hören?

Wie fast alle Juden habe ich ein besonderes Verhältnis zu Israel. Es gibt zum ersten Mal in der Geschichte des jüdischen Volkes ein Land, in das Juden einwandern können und quasi am nächsten Tag Staatsbürger sind. Ein Land, dessen Bewohner keinen größeren Wunsch haben als in Frieden mit seinen Nachbarn zu leben. Dass das geht, beweisen die beiden gut funktionierenden Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien. Es ist aber auch ein Staat, in dem seit mehr als fünfzig Jahren ein permanenter Kriegszustand herrscht. Von wem diese Kriege ausgegangen sind, ist einfach nachzulesen. Stellen Sie sich ein Volk vor, das in permanenter Angst um seine Kinder lebt. Es gab seit vergangenen Juli 1600 Terrorangriffe auf israelischem Boden. Ich weiß nicht, wie man den Nahostkonflikt lösen kann. Ich weiß nur, dass die verfeindeten Parteien miteinander reden und ernsthafte Taten folgen müssen.

Darf man Israel kritisieren?

Selbstverständlich darf es berechtigte Kritik an der Regierungspolitik geben. Das hat nichts mit Antisemitismus zu tun. Aber wenn ich den FDP-Politiker Jürgen Möllemann höre, der sagt, was Israel alles nicht dürfe, dann frage ich mich schon, warum er nicht auch darüber spricht, was Israel darf. Israel hat die Pflicht, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. Warum gesteht man dem Land nicht das Recht auf Selbstverteidigung zu, lässt es nicht den Terror bekämpfen?

Steht es auch Deutschland zu, die israelische Regierung zu kritisieren?

Natürlich. Aber immer im Auge behalten die besondere Beziehung Deutschlands zu Israel.

Wir sind in Düsseldorf. Heinrich Heine schrieb einmal: Denk ich an Deutschland in der Nacht... .

dann bin ich um den Schlaf gebracht.

Wie würde Paul Spiegel den Satz beenden?

Deutschland ist ein sehr lebenswertes Land. Und Heine sprach von seiner Liebe zu diesem Land.

Können Sie auch über Deutschland lachen?

Warum nicht? Ich kann über alles lachen, was humorvoll ist.

Sie haben in Ihrer Agentur auch viele ausländ

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