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Politik: Wo Parteien an die Börse gehen

Die „Wahlstreet“ als Prognose-Instrument

Berlin - Am Montag machte die Linkspartei manchem Kapitalisten Freude. Das Bündnis aus Ex-PDS und WASG verursachte bei ein paar Börsenhändlern Erlöse, wie sie nicht einmal die selige New Economy gesehen hatte: Ein Medizinstudent aus Freiburg erzielte eine Rendite von mehr als 80 Prozent.

Die Rede ist von der Internet-Börse „Wahlstreet“, die an jenem Tag auf den Online-Seiten von Tagesspiegel, „Zeit“, „Handelsblatt“ und „Neuer Osnabrücker Zeitung“ gestartet wurde. Dort gehen keine Unternehmensanteile, sondern Aktien der an der Bundestagswahl teilnehmenden Parteien über den virtuellen Ladentisch. Was sich wie ein Spiel anhört, hat einen seriösen Hintergrund: Die Wahlstreet soll das Ergebnis der Bundestagswahl am 18. September vorhersagen.

Eine Börse als Prognose-Instrument – die Idee geht zurück auf die 60 Jahre alte Theorie des österreichischen Ökonomen Friedrich von Hayek, wonach Preise Indikatoren für verteilte Informationen sind. Das bedeutet: Eine Börse kann die Mannigfaltigkeit individueller Meinungen, Ansichten und Interessen bündeln und sie in kollektive Erwartungen übersetzen – die Prognose.

Allerdings braucht man für eine aussagekräftige Vorhersage mehrere hundert Individuen. „Erst durch das Internet konnte Hayeks These ernsthaft in die Praxis umgesetzt werden“, sagt Frank Simon, Geschäftsführer der Firma Ecce Terram, die für die Programmierung der Wahlstreet zuständig ist. Und ein weiterer Punkt ist entscheidend für die Qualität der Prognose: Jeder Teilnehmer soll möglichst egoistisch handeln. Darum muss jeder Wahlstreet-Händler zwischen fünf und 50 Euro Startkapital einsetzen. Die übrigen Regeln der Wahlstreet sind einfach: Der Handel mit den Partei-Aktien läuft bis kurz vor 18 Uhr am Wahlabend. Dann wird der Markt geschlossen, und jeder Händler bekommt den Gegenwert seines Depots wieder ausbezahlt. Der Kniff dabei: Der Auszahlungskurs bemisst sich am tatsächlichen Wahlergebnis.

Deshalb versucht jeder Händler, mit seinen Aktienkursen das von ihm vermutete Wahlergebnis zu treffen. Anders als bei Meinungsforschungsinstituten lautet die Frage an der Wahlstreet nicht „Wen würdest du wählen?“, sondern „Was glaubst du, wen die Wähler wählen?“ Wer also einer Partei 35 Prozent der Wählerstimmen zutraut, der wird Aktien jener Partei nur für unter 35 Wahleuro (die Währung an der Wahlstreet) kaufen, um spätere Verluste zu vermeiden. Im Einzelnen sind alle Handelsaktivitäten an der Wahlstreet also ziemlich eigennützig. Jeder Händler orientiert sich an seinen persönlichen „verteilten Informationen“, an seiner politischen Bildung, seiner Tageszeitung, seinen WG-Diskussionen. In der Masse aber entsteht daraus eine Wahlprognose.

Nützliche Wahlstreet-Links: Startseite Anmeldung Erste Schritte Spielregeln

Markus Horeld

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