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Alte Freunde stehen zusammen - Friedrich Merz und Christian Lindner

© Kay Nietfeld/dpa

Wo sind die Kontroversen?: Friedrich Merz hat von Widersacherin Merkel gelernt

Christian Lindner fällt ein neuer Tonfall an dem CDU-Vorsitzkandidaten auf, als er dessen Buch vorstellt. Merz gibt sich plötzlich staatsmännisch.

Von Robert Birnbaum

„Du“, sagt Christian Lindner, „alles gut!“ Man wird doch einen alten Kumpel noch mal triezen dürfen, schon damit diese Buchvorstellung nicht endgültig zur Verbrüderung wird. Der FDP-Chef sitzt am Freitag an einem großen Tisch in Friedrich Merz' Büro, neben ihm der Hausherr und die Moderatorin Kerstin Ligendza.

Der CDU-Vorsitzkandidat hat sich Lindner als Laudator für sein neues Buch ausgesucht. Unter der – umständehalber digital zugeschalteten - Hauptstadtpresse hat das für einigen Spott gesorgt, gilt doch in der Polit-Szene die ungeschriebene Regel, politische Widersacher um Rezension zu bitten.

Lindner weiß das. Also müht er sich um wenigstens ein wenig Widerspruch. Einfach ist das allerdings nicht. Zwischen den Wirtschaftsliberalen von der CDU und den Wirtschaftsliberalen von der FDP passt sowieso nicht viel Papier. Die 240 Seiten „Neue Zeit. Neue Verantwortung“ im Ullstein-Verlag liefern erst recht kaum Stoff für Einspruch. Dahinter steckt System, wie sich rasch zeigen wird. 

Bei dem Buch, zitiert die Moderatorin eine Rezension, komme man aus dem Nicken ja gar nicht raus. Lindner bescheinigt dem Werk, authentisch zu sein: „Man hört den Sound.“

Aber auch ihm fällt auf, dass es ein stark gedämpfter Ton ist. Der reformerische Furor des frühen Friedrich Merz sei „staatsmännischen Positionen“ gewichen. Und was Angela Merkel angehe - die Kanzlerin werde zwar nicht oft zitiert, aber: „An keinem Politikfeld hab' ich einen Bruch gemerkt.“ 

Der Autor nickt. Genau so will er verstanden werden. Das nächste Jahr werde eine „Zäsur“, weil Merkel abtrete und die Union zum ersten Mal seit den 40er Jahren ohne amtierenden Kanzler in die Wahl gehe, ein Bruch aber nicht. Als die Moderatorin das Kapitel über die eigene Partei versuchsweise in den Satz zusammenfasst: „Die CDU muss klare Kante zeigen“, fällt ihr der Kandidat sofort in den Arm: „Das Wort steht da gar nicht drin!“

Merz preist sich als „integrierenden Vorsitzenden“ an

Der Mann, an dem seine Fans die klare Kante rühmen, will von ihr plötzlich nichts mehr wissen? Der Mann, auf den die Konservativen setzen, schreibt vom „Austarieren“ der drei Wurzeln der CDU, der konservativen, der sozialen und der liberalen, davon, „die Strömungen so aufeinander abzustimmen, dass sie sich ergänzen“, verspricht ein breites Personaltableau unter einem „starken, führenden und integrierenden Vorsitzenden“?

Lindner verbucht auch das offenbar unter die Staatsmannswerdung, so wie das umfangreiche Einleitungskapitel zur Klimapolitik, wenngleich es ihm etwas zu weit geht mit den Zugeständnissen an potenzielle Koalitionspartner, dass dort neben der Marktwirtschaft auch das „Ordnungsrecht“ auftaucht: Das sei ja bekanntlich grünes Neusprech für „Verbot“. Immerhin, unkt er, sei Merz diesmal nicht im grünen Jackett gekommen.

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Der FDP-Chef will sich den Hinweis aber doch nicht ganz verkneifen, dass der in alle Richtungen unkontroverse Tonfall, den Merz in dem Buch anschlägt, in Wahlkämpfen womöglich nützlich sein könne. Das ist höflich formuliert. Er könnte genauso gut sagen: Der Sauerländer lernt gerade von der Frau, die er beerben will.

Spott über Demobilisierung war gestern

Früher konnte er nicht genug lästern über Merkels Wahlkampfmethode, politischen Konkurrenten möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Als „asymmetrische Chloroformierung“ hat er die Demobilisierungstaktik verspottet. Jetzt wendet er sie selber an, nach innen.

Mag das Buch den einen oder anderen treuen Fan leicht enttäuschen, der sich ein paar pfeffrige Zitate erwartet hatte. Aber treue Fans reichen Merz nicht zum Sieg. Und sein schärfster Konkurrent Armin Laschet wirbt für sich vor allem als ein Versöhner. Laschets Ministerriege in NRW ist der Kabinett gewordene Flügelproporz.

Der FDP-Vorsitzenden Lindner findet einen christdemokratischen Schmusekurs übrigens durchaus gut. Dass ein Kanzlerkandidat Merz der FDP Wähler abjagen könnte, versichert er, davor habe er keine Bange. Es käme seiner Partei sogar recht, wenn im Wahlkampf über Themen gesprochen würde, die CDU und FDP gemeinsam wichtig seien – Wirtschaft, Steuern, solche Fragen eben.

Bleibt noch die pflichtgemäße Differenz. Lindner muss dafür aber bis in die Frühgeschichte der Bundesrepublik zurück. Dass das Buch ein CDU-Mann und kein Freidemokrat geschrieben habe, erkenne man daran, dass der Kollege bei der deutschen Einheit den Streit um die Oder-Neiße-Grenze weglasse. Er habe, wirft Merz entschuldigend ein, Hans-Dietrich Genscher aber doch gewürdigt! „Du“, beschwichtigt Lindner, „alles gut!“

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