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Politik: „Wo waren die Amerikaner?“

Die USA wollen die Verantwortung im Irak wieder loswerden – jetzt fühlt sich die Bevölkerung dort im Stich gelassen

Der Irak am Tag nach den Anschlägen in Bagdad und Kerbela: 15 Männer wurden bislang festgenommen, die meisten sollen Ausländer sein, aus Iran, Syrien und anderen Nachbarländern. Welche Organisation hinter den Anschlägen steht, ist indes noch unklar. Die Terrororganisation Al Qaida bestritt am Mittwoch jede Verwicklung in die beispiellose Serie von Selbstmordattentaten. Al Qaida stehe nicht hinter den Anschlägen in Bagdad und Kerbela, hieß es am Mittwoch in einem Schreiben an die Zeitung „Al Quds al Arabi“. In der Vergangenheit war neben Al Qaida auch die Terrororganisation Ansar al Islam für Anschläge im Irak verantwortlich gemacht worden, die zumindest bis vor kurzem enge Kontakte zu Al Qaida unterhielt.

Auf der Suche nach den Schuldigen zeigen viele Iraker allerdings nur in eine Richtung: auf die US-Soldaten. „Wo waren sie, als sie uns hätten beschützen sollen?“, fragten aufgebrachte Schiiten am Mittwoch. Aus Saddam-Zeiten an den totalen Gehorsam gewöhnt, haben sich die Menschen den Reflex erhalten, im Gegenzug die Führung für alles verantwortlich zu machen. Wer auch immer an der Spitze steht, ist schuld, im Guten wie im Bösen. Nun also die Amerikaner. Die aber möchten die Verantwortung gern wieder loswerden, vor allem für die Sicherheit im Land – eine Aufgabe, bei der bereits mehr US-Soldaten ums Leben kamen als während des gesamten Krieges. „Wir befinden uns in einem Prozess der Irakisierung“, sagt General Swannek von der 82. Luftlandedivision, zuständig für die Westprovinz Al-Anbar, in der auch die Widerstandshochburgen Falludscha und Ramadi liegen. In Ramadi sollen in den nächsten 40 Tagen irakische Sicherheitskräfte die Kontrolle übernehmen. Die Amerikaner würden sich hinter die Stadtgrenzen und in ihren Stützpunkt zurückziehen. Ein Prozess, der auch in Bagdad im Gange ist. Immer seltener sieht man Militärpatrouillen, an den Checkpunkten auf Überlandstraßen kontrolliert der irakische Zivilschutz.

Öffentlich begründet wird diese „Irakisierung“ mit dem Ziel, das Land auf die Unabhängigkeit vorzubereiten. Für die US-Armee aber kommt ein wichtiger Nebeneffekt dazu: An der Front gegen den Widerstand stehen nun vor allem Iraker. Die Bevölkerung begegnet dem Rückzug der Soldaten daher mit gemischten Gefühlen. Der Anblick von stets mit angelegtem Gewehr patroullierenden Soldaten verstärkte das ohnehin weit verbreitete Gefühl, nicht befreit, sondern besetzt worden zu sein. Gerade an religiösen Orten wie Moscheen und heiligen Schreinen, die am Dienstag zum Ziel der Anschläge wurden, waren die Amerikaner unerwünscht: Die Anwesenheit der „Ungläubigen“ entweihe die heiligen Stätten. Nun ziehen sich die Soldaten tatsächlich zurück, doch sobald die Mängel der irakischen Sicherheitskräfte offensichtlich werden, dreht sich das Bild, und die zuvor geforderte Abwesenheit der Amerikaner wird gegen sie verwendet.

US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld versicherte vor kurzem in Bagdad, Truppenabzug und Übergabe der Souveränität folgten unabhängigen Zeitplänen. Mit anderen Worten: Die US-Soldaten verlassen nicht mehr so häufig ihre Basis, aber nach Hause gehen sie noch lange nicht.

Susanne Fischer[Bagdad]

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