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Das Atommülllager Gorleben ist ein Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente und hoch radioaktive Abfälle.

© Sina Schuldt/dpa

„Da kommt eine riesige Welle auf viele Menschen zu“: Warum sogar mehrere neue Gorleben drohen

Anfang der Woche sollen erstmals Regionen in Deutschland benannt werden, die für ein Atommüll-Endlager infrage kommen. Die ersten Protestler machen sich bereit.

Wolfgang Ehmke ist vorbereitet. Geht es um die Suche nach einem Endlager, für den strahlenden Schrott, den er nie produziert sehen wollte, hantiert er mit Rechtsgutachten, organisiert eine Bürgerinitiative und pflegt Kontakte in der ganzen Republik. „Da kommt eine riesige Welle auf viele Menschen in den möglichen Endlagerregionen zu. Das kann Widerstände wie um Gorleben erzeugen“, sagt er.

Vier Jahrzehnte des Protests liegen hinter ihm. Ehmke war dabei, als ab 1976 Tausende Menschen vor die Baustelle des AKW Brokdorf zogen, sich Demonstranten teils Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Den Gorleben-Treck nach Hannover, der im März 1979 über 100.000 Menschen gegen die Atomkraft zusammenbrachte, organisierte er mit. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, seine Initiative, stand im Zentrum der Bewegung.

Die Proteste um Gorleben sind Vergangenheit. Doch jetzt, wo es um die Abwicklung der Kernenergie geht, um die Suche nach einem Ort in der Tiefe für die 1900 Castoren, findet er keine Ruhe.

„Das Verfahren ist mangelhaft, es gibt einen Mangel an Transparenz und Mitgestaltungsmöglichkeit. Die Menschen werden sich das nicht gefallen lassen“, sagt Ehmke, der weiter ausführt: „Gorleben gehört auf den Misthaufen der Geschichte. Wer das Bergwerk nicht rauslässt, hat von der Endlagersuche und den Widerständen nichts verstanden.“

Kein Standort in Deutschland ist ausgenommen

Was Ehmke anspricht, beschäftigt Politiker und die Akteure der Endlagersuche schon lange. Am 28. September werden erstmals Regionen genannt, die für ein Atommüll-Endlager infrage kommen. Salz-, Ton- und Granitgestein werden als geologische Formationen in Betracht gezogen. Dann stellt die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), betraut mit der Suche, ihren ersten Zwischenbericht vor.

Seit die Politik die Suche neu startete, gilt die „weiße Landkarte“ – kein Standort in Deutschland ist ausgenommen. Wenn im ersten Schritt zunächst ungeeignete Gebiete ausgeschlossen werden, werden wohl mehrere Dutzend, vielleicht knapp 100 Regionen übrigbleiben, so rechnet die BGE. Das lässt Widerstände erwarten.

Die Erfahrungen aus Gorleben sind der Politik gegenwärtig: der starke Widerstand gegen das geplante Endlager, die massiven Proteste am Standort und gegen die Castortransporte durch das Wendland, an denen Menschen wie Ehmke beteiligt waren. Die Endlager-Akteure beschäftigt nicht nur, wie man die Liste noch geheim hält, sondern auch, wie man vor Ort kommuniziert, ohne dass durch massiven Protest potenzielle Endlagerregionen unmöglich gemacht werden. Die Angst: Es könnten viele neue Gorleben entstehen.

In Kürze werden Regionen genannt, die für ein Atommüll-Endlager infrage kommen. Dagegen könnte es Widerstände wie in Gorleben geben.
In Kürze werden Regionen genannt, die für ein Atommüll-Endlager infrage kommen. Dagegen könnte es Widerstände wie in Gorleben geben.

© imago/photothek

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Dann ist da die Landespolitik. Viel wird davon abhängen, wie kooperativ sich die betreffenden Landesregierungen und Kommunen verhalten. So steht bereits im Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern in Bayern: „Wir denken beim Schutz unserer Heimat über Generationen hinaus. Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager ist.“

Zuletzt machten Landräte und Landtagsabgeordnete in Bayern die Haltung öffentlich, dass ihr Granit ohnehin ungeeignet sei. Gerade erst stellte der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) das Verfahren infrage. Auch Sorge vor einer Instrumentalisierung der Suche durch die AfD besteht, gerade im Osten, wo immer wieder das Argument zu hören ist, man baue kein Endlager für den westdeutschen Atommüll. Der Politik droht ein heißer Herbst.

Viele der Akteure der Endlagersuche werden in Rente sein, bevor der Standort feststeht

Steffen Kanitz zählt die Tage zum Zwischenbericht. Am Tag des Gespräches mit dem Tagesspiegel in Berlin sind es gerade noch achtzehn. „Die Sensibilität ist bereits da“, sagt er. „Die Republik wacht auf. Besser so, als wenn sie am 28. September überrascht wird“.

Der 36-Jährige ist einer der Geschäftsführer der BGE. Von 2013 bis 2017 saß er für die CDU im Bundestag, scheiterte dann, nach den starken Verlsten seiner Partei, am Wiedereinzug über die NRW-Landesliste. Jahrelang saß der gebürtige Dortmunder auch in der Endlagerkommission, diskutierte die Neuordnung der Suche. Heute ist er zuständig für die Standortauswahl.

Im Gespräch skizziert er den Bericht – ohne Namen von Regionen zu nennen. Mehrere Hundert Seiten wird er umfassen. 300 bis 500 Seiten sind es allein, um zu erklären, wie alle Entscheidungen zustande gekommen sind. Eine Deutschlandkarte zeigt dann die Gebiete, die weiter in der Suche verbleiben und jene, die die Anforderungen nach heutigem Stand nicht erfüllen.

Dutzende Regionen, sogenannte Teilgebiete, werden auf der Karte am 28. September sichtbar sein. Kanitz spricht von einer „hohen zweistelligen Zahl“. Einige werden sich über ganze Landkreise erstrecken. Er sagt aber auch: „Es wird ein erster Zwischenstand sein.“

Viele der Akteure der Endlagersuche, werden in Rente sein, bevor der Standort für das Endlager auch nur feststeht. Läuft alles nach Plan, ist das 2031 der Fall. Die Fertigstellung, irgendwann in den 2050er Jahren, werden wohl nur die wenigsten von ihnen erleben. Bei Kanitz ist das anders. Geht es um die Endlagersuche, ist er ein Mann für die Zukunft.

In Deutschland produzierter Atommüll (hier ein Bild einer Protestaktion) soll nicht exportiert werden, sondern auch in Deutschland unter die Erde.
In Deutschland produzierter Atommüll (hier ein Bild einer Protestaktion) soll nicht exportiert werden, sondern auch in Deutschland unter die Erde.

© Sebastian Kahnert/dpa

Vom Hauptsitz der BGE im niedersächsischen Peine stellt er sicher, dass der Bericht veröffentlicht werden kann, kümmert sich um die IT-Sicherheit, trifft Absprachen mit dem Bundesamt. Und dann ist da der politische Betrieb. Längst herrsche „wuselige Interessiertheit“, sagt Kanitz. Abgeordnete aller Parteien melden sich bei ihm, fragen, was es mit den potenziellen Standortregionen auf sich hat, erfragen Erreichbarkeiten für den 28. September. Kanitz sagt: „Ich glaube noch immer an die Rationalität von Politik – je besser unsere Entscheidungsgrundlage, desto nachvollziehbarer kann auch die Politik entscheiden.“

Dass Konflikte nahen, weiß auch Kanitz. Er sagt aber: „Es besteht Einigkeit darüber, dass wir den hier produzierten Atommüll nicht exportieren werden, er muss in Deutschland unter die Erde.“ Viele werden die Notwendigkeit dieser Arbeit sehen, wenn die bundesweite Aufmerksamkeit auf der Endlagersuche liege, auch dann, wenn es später zu Eingrenzungen kommt, glaubt Kanitz. „Das tut weh und bringt Konflikte mit sich“, sagt er. „Damit kommen wir zurecht. Aber wir ziehen keine Rüstung an.“

Ist der Bericht erst veröffentlicht mit einer Deutschlandkarte, die die potenziellen Teilgebiete zeigt, wird die BGE gefragt sein. Schon heute sind es monatlich rund 3000 Anfragen aus ganz Deutschland, Anrufe, E-Mails, Briefe, Faxe. Und das Interesse wird weiter steigen. Ab Ende September soll der Bericht im Internet erklärt werden, Videos sollen zeigen, wie Methoden angewandt wurden, für jedes betroffene Gebiet Online-Sprechstunden stattfinden. „Ein Teilgebiet ist noch kein Endlager-Standort“, sagt Kanitz.

Die Vorbereitung der Länder

Wie sich die Politik vorbereitet, zeigt ein Blick nach Hannover. Anfang des Monats lud der Landesumweltminister Vertreter der Verbände, Kirchen und Initiativen in die Hannoveraner Hofkirche. Olaf Lies (SPD) steht zum Verfahren, zur Wahl des bestmöglichen Standorts für den Atommüll, aber er will auch die Reihen schließen. „Die Rolle, die das Land hat, ist Anwalt der Bürger zu sein“, sagte Lies nach dem Forum. Zu gut weiß er, was der Müll für einen Ärger machen kann. In Niedersachsen steht nicht nur Gorleben. Auch die Asse, das marode Bergwerk, in das 126.000 Fässer mit strahlendem Schrott gekippt wurden, liegt im Land, ebenso das in Bau befindliche Endlager für schwach- und mittelradioaktive Stoffe Schacht Konrad.

Olaf Lies (SPD), Umweltminister in Niedersachsen, steht zum Verfahren, zur Wahl des bestmöglichen Standorts für den Atommüll.
Olaf Lies (SPD), Umweltminister in Niedersachsen, steht zum Verfahren, zur Wahl des bestmöglichen Standorts für den Atommüll.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel sagt er: „Schon wegen der geologischen Struktur müssen wir davon auszugehen, dass nennenswerte Teile von Niedersachsen dabei sind.“ Hier gibt es zahlreiche Salz- und Tongesteine im Untergrund. „Es ist wichtig, nicht in diesen alten Reflex grundsätzlicher Ablehnung zu verfallen“, sagt Lies.

Der Minister informiert sich allerdings auch im Ausland. 2019 flog er nach Finnland, inspizierte das dortige Endlagerprojekt, gebaut in Kristallin. Anfang des Jahres fuhr er nach Frankreich, besichtige ein Endlager für schwach- und mittelradioaktive Stoffe, gebaut in Ton. Im Oktober folgt die Schweiz. „Wir wollen besser mitreden können“, sagt er. Das ist der technische Part. „Der Atommüll macht den Menschen Angst.“ Nun sei es wichtig, junge Menschen einzubringen, „nicht nur jene, die sich ohnehin seit Jahrzehnten mit dem Thema auseinandersetzen“.

Nach dem Forum in der Hofkirche sagte Lies auch: „Niedersachsen wird genau darauf achten, dass dieser Prozess in ganz Deutschland stattfindet.“ Das weckt Erinnerungen an den Schlagabtausch zwischen Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und seinem bayerischen Kollegen Markus Söder (CDU). „Geologisch gesehen passt Bayern nicht, da das vorhandene Gestein eine deutlich schlechtere Sicherheit aufweist als zum Beispiel Gorleben“, erklärte der CSU-Politiker.

„Niemand soll glauben, Niedersachsen sei das Atomklo der Bundesrepublik Deutschland“, antwortete Weil. Lies sagt heute: „Die Antwort kann nicht sein: ‚Wir wollen das nicht.‘ Und dann lässt man den Müll stehen für die kommenden Generationen.“

Die Haltung der Gemeinden

Menschen wie Josef Klaus machen den Akteuren der Endlagersuche Hoffnung. Der Bürgermeister der bayerischen Gemeinde sagt: „Wir müssen den bestmöglichen Standort für das Endlager finden. Wenn der am Ende in Granit und in Bayern liegen sollte, dann bin ich damit einverstanden.“ Klaus kennt die Erklärung der Landräte und Abgeordneten im rund 100 Kilometer entfernten Saldenburg, immerhin Parteikollegen aus der CSU – doch er lehnt sie ab.

„Wir sollten den Menschen die Ängste nehmen. Politische Querschüsse bringen uns jetzt nicht weiter.“ Er selbst blickt vom Rathausfenster auf das Zwischenlager Bella und die Kühltürme eines AKW, wie er sagt. „Der Müll ist ja da. Und er muss unter die Erde, bevor er nicht mehr sicher gelagert werden kann.“

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