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Wolfgang Böhmer im Interview: "Umverteilung? Ja, aber richtig"

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Böhmer (CDU) über den Steuerstreit und das Wahlprogramm der Union.

Herr Böhmer, wie viel Solidarität kann Angela Merkel von Ihnen erwarten?

Viel, sehr viel.

Gilt das auch, wenn es um das Steuersenkungsversprechen der Union im Wahlprogramm geht?

Ich kann damit leben, wenn wir uns nicht auf Zeitpunkt und Höhe jetzt schon festlegen.

Was ist ein solches Versprechen dann wert?

Wahlprogramme sind keine Notariatsverträge, sondern politische Absichtserklärungen. Es geht darum, klarzumachen, dass wir Entlastungen für den Mittelstand wollen.

Wir hatten Sie bisher immer so verstanden, dass Sie Steuersenkungen eben nicht wollen, weil Ihr Landeshaushalt die Einnahmeausfälle nicht verkraften würde.

Das muss nicht so sein. Ich sage: Auf Pump kann es keine Steuersenkungen geben. Wir werden die Steuern nur dann senken, wenn wir es uns leisten können. Wann das sein wird, das weiß weder Frau Merkel, noch weiß ich es. Das hängt davon ab, wie schnell wir uns von der Krise erholen und in welchem Maß die Steuereinnahmen wieder steigen.

Mit anderen Worten: Die Union stellt Millionen von Steuerzahlern mit mittleren Einkommen Erleichterungen in Aussicht – wohl wissend, dass daraus womöglich nichts wird.

Es kann im Leben immer vorkommen, dass eine Absichtserklärung sich nicht umsetzen lässt, weil die Voraussetzungen fehlen. Niemand konnte zum Beispiel vor vier Jahren die gegenwärtige Wirtschaftskrise wahrsagen.

Die Bundesregierung rechnet für die nächste Wahlperiode mit neuen Schulden in Höhe von 300 Milliarden Euro. Wie kann man da seriöser Weise Einkommensteuersenkungen in Aussicht stellen?

Es ist gerechtfertigt, wenn man klarmacht, dass diese Steuersenkungen unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit stehen. Deshalb musste sich die CDU auch den Rufen aus der CSU nach einer Festlegung auf eine Jahreszahl verweigern. Ich hätte dabei auch nicht mitgemacht.

Mit der Schuldenbremse haben sich Bund und Länder zum Schuldenabbau verpflichtet. Für den Bund bedeutet das in der nächsten Wahlperiode Einsparungen in Höhe von 35 Milliarden Euro. Wie soll das gehen?

Das geht fast nur, wenn es uns gelingt, aus der Krise herauszukommen. Aber auch dann werden wir die Neuverschuldung nur reduzieren können, wenn wir Ausgaben kürzen oder Steuern erhöhen, oder beides tun.

Welche Variante würden Sie bevorzugen?

Das ist eine heikle Frage. Frau Merkel hat 2005 einen Wahlkampf der Ehrlichkeit geführt und eine Mehrwertsteuererhöhung angekündigt. Das wurde ihr nicht gedankt. Wer jetzt die Kürzung etwa von Sozialausgaben ankündigt, begeht politisch Harakiri.

Schließen Sie eine neuerliche Erhöhung der Mehrwertsteuer nach der Wahl aus?

Das wäre zwar eine denkbare Lösung. Ich hielte eine Erhöhung von derzeit 19 Prozent auf über 20 Prozent aber nicht für sinnvoll. Damit würden wir der Konjunktur schaden und damit letztlich auch die Steuereinnahmen verringern.

Aber Sie können sich vorstellen, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent zum Beispiel auf Lebensmittel oder Zeitungen auf 9,5 Prozent anzuheben?

An dieser Debatte werde ich mich nicht beteiligen, weil die politischen Nebenwirkungen erkennbar größer sind als der beabsichtigte Nutzen. Lassen Sie uns doch erst einmal abwarten, wie sich die konjunkturelle Entwicklung gestaltet.

Welche Ausgaben sind verzichtbar?

Man muss über Einsparmöglichkeiten nachdenken. Aber man sollte nicht konkret werden, bevor die parlamentarische Mehrheit dafür gesichert ist.

Darf man den Wählern verschweigen, auf wessen Kosten man die Schuldenberge abbauen will?

Wenn man es ganz genau wüsste, müsste man es sagen. Wenn man es aber selber nicht so ganz genau weiß, soll man auch nicht so tun. Außerdem kann es ja sein, dass das Defizit kleiner ist als 35 Milliarden, weil die Wirtschaft wieder anspringt.

Wir halten fest: Die Union spricht im Wahlkampf lieber über unwahrscheinliche Steuersenkungen als über wahrscheinliche Ausgabenkürzungen.

Auch die praktische Politik hat ihre eigenen Gesetze. Wenn es notwendig wird, Leistungen zu kürzen, wird die dann regierende Mehrheit sich einigen müssen, welche das sein werden. Und dann wird sie es auch laut sagen. Alles andere sind Phantomdiskussionen, vor denen ich nur warnen kann.

Müssen Reiche stärker an den Kosten der Krise beteiligt werden?

Ich habe gegen höhere Steuersätze für Bestverdiener nichts einzuwenden. Wenn sie wie Manager von Dax-Unternehmen oder Fußballspieler ohne persönliches Risiko erhebliche Einkünfte erzielen, spricht nichts gegen eine höhere Belastung. Das ist auch deshalb nötig, weil es in Deutschland in den vergangenen 40 Jahren zu einer zunehmenden Asymmetrie bei der Vermögensverteilung gekommen ist. Bei immer weniger Menschen sammelt sich ein immer größeres Vermögen. Das kann eine Gesellschaft auf Dauer nicht aushalten, das führt zu sozialen Verwerfungen und Zerwürfnissen. Dieser Tendenz müssen wir entgegenwirken.

Sie plädieren für mehr Umverteilung?

Ja, aber bitte richtig. Die Wiedereinführung der Vermögensteuer, wie sie von vielen Linken gefordert wird, ist nicht praktikabel. Es bleibt also nur eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Das Vermögen, das Familienunternehmer in ihren Firmen belassen, muss davon aber unberührt bleiben.

Herr Böhmer, stimmt der Satz, dass sich die Zukunft dieses Landes am Bildungsgrad seiner Kinder entscheidet?

Ja, das ist so in einem Zeitalter fortschreitender technologischer Entwicklung. Die Anforderungen in einer globalisierten Welt werden größer, also muss auch der Bildungsaufwand größer werden.

Warum weigert sich die Bundeskanzlerin und CDU- Vorsitzende dann zu sagen, dass Bildungsinvestitionen im Zweifel wichtiger sind als Steuersenkungen und Schuldenabbau?

Wenn man im Wahlkampf mit Prioritäten arbeitet, schafft man Angriffsfläche. Das muss nicht sein. Seien Sie sicher: Wir werden die Bildung nicht aus den Augen verlieren.

Lassen Sie uns zum Schluss über die Machtperspektiven der Union sprechen. Wäre eine Fortsetzung der großen Koalition ein Unglück?

Von einem Unglück würde ich nicht sprechen. Die große Koalition hat in den vergangenen vier Jahren ordentlich gearbeitet. Aber es würde für beide Parteien schwer, weitere vier Jahre dranzuhängen. Was wir gemeinsam erreichen konnten, haben wir weitgehend erreicht. Mit der FDP könnten wir am meisten von dem umsetzen, was in unserem Programm steht, weil wir die größere Übereinstimmung haben.

Die FDP träumt von einem Spitzensteuersatz von 35 Prozent und einer Nettoentlastung von 35 Milliarden Euro.

Ich hatte in Sachsen-Anhalt mal einen Finanzminister von der FDP. Der ist zuerst an Adam Riese und dann an seiner eigenen Partei gescheitert.

Außerdem will die FDP die Bundesagentur für Arbeit und den Gesundheitsfonds abschaffen.

Ich bin sicher, dass die allermeisten Wähler dem nicht folgen werden, wenn sie über die Konsequenzen nachdenken.

Welche Punkte sind für die Union im Falle eines Wahlsiegs nicht verhandelbar, auf was kann sich der Wähler verlassen, wenn er für Ihre Partei stimmt?

Unsere Wähler können sich darauf verlassen, dass es mit einer Bundeskanzlerin Merkel keine unkalkulierbaren Experimente gibt.

Womit wir bei der eigentlichen Wahlkampfbotschaft der Union angelangt wären: Merkel, Merkel, Merkel.

Ja und? Angela Merkel steht für Stabilität und Augenmaß. Wer einmal mitbekommen hat, wie viele Regierungschefs anderer Länder in der Europäischen Union darauf hoffen, dass Frau Merkel ihnen hilft, ihre Wünsche durchzusetzen, bekommt hohen Respekt vor ihrer Autorität. Viele männliche Politiker lassen sich zu sehr von Emotionen leiten, da gibt es eine ausgeprägte Neigung zur Selbstdarstellung. Angela Merkel geht mit einer disziplinierten Gelassenheit an die Dinge heran, die mir imponiert. Ich bewundere das.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Antje Sirleschtov. Das Foto machte Uwe Steinert.

MEDIZINER

Wolfgang Böhmer, 1936 in der Oberlausitz als Bauernsohn geboren, studierte in Leipzig Medizin. 1966 wurde er als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe anerkannt. Zuletzt arbeitete er als Chefarzt in Wittenberg.

FINANZPOLITIKER

In der DDR „aus Überzeugung parteilos“, kandidierte Böhmer 1990 zum ersten Mal für den Magdeburger Landtag. 1991 wurde er Finanz-, 1993

Sozialminister.

LANDESVATER

Als Spitzenkandidat der Landes-CDU gelang es Böhmer 2002 überraschend, die CDU zum Sieg und in eine Koalition mit der FDP zu führen. 2006 ging

er dann ein Bündnis mit der SPD ein. Eines der wichtigsten Projekte der großen Koalition ist der Kampf gegen die hohe Verschuldung des Landes. Zur Landtagswahl 2011 will der heute 73-jährige Böhmer nicht mehr als Spitzenkandidat antreten. 

Alle sechs Monate das gleiche Ritual: Ein neues Land übernimmt den Vorsitz der EU, informiert die Öffentlichkeit über seine Prioritäten, stellt eine eigene Website online. Zu jeder EU-Präsidentschaft gehört auch eine eigens für den Anlass entworfene Krawatte, die sich bei Sammlern großer Beliebtheit erfreut – und ein Logo. Im Fall Schwedens, das am Mittwoch von Tschechien die EU-Geschäfte übernimmt, handelt es sich um ein gelbes S auf blauem, kreisrundem Grund. Das Logo könnte den Globus symbolisieren, aufgeheizt durch Treibhausgase. Die Vorbereitung der Kopenhagener Klimakonferenz im Dezember gehört tatsächlich zu den wichtigsten Aufgaben des schwedischen EU- Vorsitzes, der am 31. Dezember endet. Danach ist Spanien an der Reihe.

Es stellt sich aber die Frage, wie sinnvoll die permanente Rotation im EU-Vorsitz überhaupt noch ist. Denn das „Goldene Zeitalter“ der Präsidentschaften ist seit der EU-Erweiterung im Jahr 2004 eigentlich vorbei. Die EU wuchs damals auf 25 Mitglieder an, inzwischen sind es 27. Ein Land, das den EU-Vorsitz innehat, ist inzwischen vor allem damit beschäftigt, die vielfältigen Interessen der europäischen Staatengemeinschaft zu koordinieren. Viele Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen, gibt es nicht mehr.

Das Rotationsprinzip entspringt der Idee eines gleichberechtigten Miteinanders unter den europäischen Mitgliedstaaten – egal ob sie groß oder klein sind, ob sie zum UN-Sicherheitsrat, zur Eurozone gehören oder nicht. In den Anfangsjahren der 1957 gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hatten die Länder, die jeweils die Geschäfte der Gemeinschaft führten, allerdings nur geringe Möglichkeiten, entscheidenden Einfluss auf die Agenda zu nehmen – die Tagesordnung wurde damals vor allem von der Kommission bestimmt. Die Glanzzeit der EU-Präsidentschaften begann erst mit dem Maastrichter Vertrag von 1992, der als eine „neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“ gilt. Im folgenden Jahrzehnt nutzten mehrere Ratspräsidentschaften die Möglichkeit, der Weiterentwicklung des Vertrages einen eigenen Stempel aufzudrücken: Unter niederländischem Vorsitz wurde der „Vertrag von Amsterdam“ aus der Taufe gehoben, Frankreich brachte eine Einigung über den Nizza-Vertrag zustande.

Zwar sehen Staats- und Regierungschefs, die jeweils die EU-Geschäfte führen, das Präsidentschaftsamt auch jetzt noch als Chance, sich auf europäischer Bühne zu profilieren. So hatte auch Kanzlerin Angela Merkel während des deutschen EU-Vorsitzes 2007 entscheidenden Anteil am Zustandekommen des Lissabon-Vertrags. Dennoch: Kein EU-Vorsitz tritt mehr mit dem Anspruch an, das europäische Rad neu zu erfinden. Der Lissabon-Vertrag sieht deshalb das Amt eines „Gipfelpräsidenten“ vor, der immerhin für jeweils zweieinhalb Jahre amtieren würde. Im Gespräch für diesen Posten sind unter anderem der britische Ex-Premier Tony Blair, der niederländische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende, sein luxemburgischer Amtskollege Jean-Claude Juncker und der frühere finnische Regierungschef Paavo Lipponen.

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