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Politik: Wolfgang Schäuble hat einen Gesellschaftsentwurf. Aber nicht mehr das Amt, sich mit dem Kanzler zu messen

Wie oft hat er seinen Hochmut versteckt und, hinter einer fröhlichen Miene, auch seine Verletzlichkeit. In letzter Zeit gelingt das nicht mehr so oft.

Wie oft hat er seinen Hochmut versteckt und, hinter einer fröhlichen Miene, auch seine Verletzlichkeit. In letzter Zeit gelingt das nicht mehr so oft. Selbst der Hochmut wirkt elegisch. Seine Mundwinkel, die Falten im Gesicht, seine Augen - vor allem die sind es, die ihn verraten. Traurige Augen, die ungeweinte Tränen zeigen. So nahe geht Wolfgang Schäuble der Abschied.

Es ist nicht wegen der bloßen, der profanen Macht, die es erlaubt, anderen zu sagen, was sie zu tun haben. Diesen Reiz hat er lange hinter sich. Nein, es ist die Möglichkeit, zu gestalten, eine Partei, vielleicht am Ende sogar eine Gesellschaft nach seinem Bild zu formen. Ein hoher Anspruch, vielfach belegt. Die Bücher, die er geschrieben hat, besonders das eine, "Und der Zukunft zugewandt", die haben ihn doch auch verraten. Schäuble hat einen Gesellschaftsentwurf, genauer: eine Vorstellung von der Welt von morgen. Und es trifft ihn schon, dass er darum nun nicht mehr mit Gerhard Schröder konkurrieren kann. Welche eigenen Bücher verraten Schröder? Der Kanzler im Konjunktiv hätte sich gerne noch mit dem Kanzler im Amt gemessen, um ihm zu zeigen, wo die wahre Macht sitzt.

Er hatte doch schon an Schröder Maß genommen, politisch, persönlich. Mit den Blicken von seinem Oppositionsplatz aus hat er ihn seziert, Schröder in jeder Situation genau analysiert. Die Hände vor dem Mund gefaltet, als wolle er sich das vorschnelle Reden verbieten. Vorbei. Jetzt ist sein Platz ein anderer, und er muss nicht mehr reden. Er darf es auch so schnell nicht mehr.

"Verstehen Sie das, oder ist das zu ..." Ja, er kann schon hochmütig sein. Bis heute. Geliebt haben sie ihn nicht, weder in der Fraktion noch in der Partei. Aber sie respektieren ihn, achten ihn, sie achten auf jedes Wort von ihm. Noch heute. Er weiß es, und er genießt es auch. Heute noch einmal. Sein Lächeln verrät ihn, dieses spitzbübische, badisch genannte. Wenn da nicht diese traurigen Augen wären.

Sein Bruder Thomas hat der Gefühlslage mit seinem Ausbruch vor der Presse ehrlich Ausdruck verliehen. Die ganze Familie verabscheut Helmut Kohl, der die CDU in die Tiefe riss. Der Wolfgang Schäuble mit sich riss. Aus schwindelnder Höhe nach einer Wahlniederlage, die so herb war wie keine zuvor. Die CDU unter Schäuble: Sie war kein Verein mehr, um die Siege des Kanzlers zu garantieren, sondern sollte eine Mannschaft werden, um Siege in den Ländern zu initiieren. Mit ihm als Chef, mit Angela Merkel als Seele. Ein beispielloses Jahr, wie im Rausch, und wenn Kohl mit seinen Kassen nicht gewesen wäre - es ginge wohl weiter so. Was für eine Vorstellung. Am liebsten hätte sogar der neunzigjährige Vater Schäuble noch eine Pressekonferenz gegeben.

Im Bundestag, an seinem neuen Platz in der zweiten Reihe, hat er sich nicht umgeschaut, als Kohl kam. Und sagte kein einziges Wort. Das hat seine eigene Tragik, denn für beide galt: Der eine konnte ohne den anderen nicht das sein, was er war. Jetzt sind sie auseinander, unwiderruflich, und Schäuble teilt die Welt: Da gibt es die, die für ihn sind. Die anderen sind für Kohl. Sein Streit mit Brigitte Baumeister - ja, wer war das noch? Die Abgeordnete gehört nicht mehr der neuen Fraktionsführung an, was Schäuble schon vorher, vor dem Fall, erreichen wollte. Die Fraktion führt inzwischen Friedrich Merz - was er nachher mit Hans-Peter Repnik, seinem Freund, der für ihn ein Prätorianer war, erreichen wollte. Vor der Ankündigung seines Abschieds hatte Schäuble keine Mehrheiten mehr, nun jubelt ihm wieder die Mehrheit zu. Und wo sie es nicht tut, da organisiert er eine Mehrheit für andere.

Sein Abschied ist die Rückkehr in die zweite Reihe. Aber stellvertretender Vorsitzender, wie Bruder Thomas sagt, wird Wolfgang Schäuble nicht.

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