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Wolfgang Schorlau: "Der Protest wird in die Fläche getragen"

Schriftsteller Wolfgang Schorlau unterstützt die Protestbewegung gegen das Milliardenbauprojekt Stuttgart 21. Im Interview erklärt er, warum ausgerechnet die biederen Schwaben seit Wochen dagegen auf die Straße gehen.

Herr Schorlau, in Stuttgart soll der Hauptbahnhof in eine unterirdische Durchgangsstation umgewandelt werden. Warum ist der Protest dagegen so heftig?

Viele Stuttgarter lehnen das Projekt ab, weil es nicht zum Stadtbild passt. Architekten sprechen von einer vierten Zerstörung Stuttgarts, nach jener durch den Krieg und die Verkehrsplanungen der 50er und 60er Jahre. Zudem ist das Projekt irrwitzig teuer und bringt der Stadt verkehrstechnisch eher Nachteile. Es werden Unsummen an Geldern verschwendet, die man in Stuttgart gut an anderer Stelle gebrauchen könnte.

Trotzdem reibt sich der Rest der Republik verwundert die Augen, dass ausgerechnet die biederen Schwaben seit Wochen auf die Straße gehen …

Da liegt auch ein Vorurteil über uns Schwaben zugrunde. Die Schwaben haben ihre Freiheitshelden in Friedrich Schiller und Ludwig Uhland. Es gibt hier sicher eine manchmal unerträgliche, demonstrative Rechtschaffenheit, aber auch einen tief verwurzelten Freiheits- und Gerechtigkeitssinn. Der wurde besonders bei dem klassischen Bildungsbürgertum durch die ganzen Lügen, Tricksereien und widersprüchlichen Gutachten tief verletzt. Die Stuttgarter glauben, sie müssen ihre Stadt retten.

Wird Ihnen das gelingen?

Das weiß ich nicht. Die Auseinandersetzung wird gerade härter. Gerade wurden die Gespräche abgebrochen, weil die Bahn nicht einmal zu einem symbolischen Baustopp während eines Runden Tisches bereit ist. Aber ich denke, die Chancen stehen nicht schlecht. In dieser Woche waren wieder 18 000 Menschen bei der Montagsdemonstration. Es ist in der Geschichte der Bundesrepublik wohl einmalig, dass die Bürger einer Großstadt sich so entschlossen gegen ein Bauprojekt dieses Ausmaßes gestellt haben.

Warum ist es so spät zu Protesten gekommen, als das Projekt formaljuristisch nur noch schwierig zu stoppen war?

Es war und ist nicht zu spät. Was die Stuttgarter empört ist, dass Oberbürgermeister Wolfgang Schuster von der CDU die Verträge mit der Bahn unterschrieben hat, als bereits Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt wurden. Sein Tübinger Amtskollege Boris Palmer wirft ihm deshalb Amtsmissbrauch vor. Die Leute, die die Verträge unterschrieben haben, könnten das Projekt in einer halben Stunde beerdigen. Das hängt nur vom politischen Willen ab. Bahnchef Rüdiger Grube wird das tun, was der Aufsichtsrat ihm aufträgt. Wenn Frau Merkel ihm sagt: „Herr Grube, machen Sie dort Schadensbegrenzung“, wird er das machen.

Wenn Sie Berater der Befürworter des Projekts wären, was würden Sie raten?

So wie es aussieht, wird die CDU die Wahl in Baden-Württemberg verlieren. Ich würde raten, eine Pause einzulegen. Also Baustopp sofort, das Gespräch mit der Bevölkerung suchen und neu planen. Modernere Politiker in der CDU, wie die Stuttgarter Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann und der Ordnungsbürgermeister Martin Schairer, fordern ebenfalls einen Baustopp. Es gibt den „Stuttgarter Appell“, den Befürworter und Gegner unterzeichnet haben, in dem Innehalten und neues Nachdenken gefordert wurde. Genau das braucht Stuttgart in diesen Tagen. Es ist offensichtlich, dass die Bahn auch mit einem modernisierten Kopfbahnhof leben könnte. Das kann sie gut in Frankfurt am Main und München – und sicher auch in Stuttgart.

Was planen die Gegner als Nächstes?

Der politische Druck wird erhöht, der Protest in die Fläche getragen. In Stuttgart organisieren gerade Schüler die Aktion „Bildung statt Stuttgart 21“. Und das Thema wird sicher ganz entscheidend für den Wahlausgang sein. Die Demos werden immer größer. Schließlich hat der Alltag nach den Sommerferien gerade erst wieder richtig begonnen.

Bislang gab ein paar Zwischenfälle, das Verhältnis von Polizei und Demonstranten ist relativ entspannt, auch wenn die Sicherung von Baustelle und Demonstrationen bei den Beamten zu enormen Arbeitsbelastungen geführt hat. Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hat allerdings am Wochenende gesagt, die Gewaltbereitschaft nähme bei manchen Protestlern stark zu ...

Die Demonstranten wissen: Entscheidend ist, dass der Protest friedlich bleibt, weiter aus allen Alters- und Einkommensklassen getragen wird, dass die Bewegung zusammenhält. Sie haben sogar selbst Deeskalationstrupps gebildet. Was die andere Seite betrifft, habe ich große Befürchtungen.

Warum?

Durch meine Arbeit als Krimiautor habe ich gute Kontakte zu Polizisten. Aus diesem Umfeld habe ich Hinweise erhalten, dass es im Innenministerium Überlegungen geben soll, Provokateure einzuschleusen, die Gewalttaten begehen, die man den Demonstranten in die Schuhe schieben kann. Möglicherweise eine Gewalttat an Bereitschaftspolizisten. Das wäre schrecklich. Und eine Eskalation droht ab dem 1. Oktober, wenn laut Gesetz Bäume gefällt werden dürfen. Im Park rund um den Bahnhof sollen viele 200 Jahre alte Bäume weichen. Wird dort gefällt ... Ich mag es mir nicht ausdenken.

Wolfgang Schorlau (59) ist Schriftsteller und lebt in Stuttgart. Bundesweit bekannt wurde er durch seine politischen Kriminalromane. Schorlau unterstützt die Protestbewegung gegen Stuttgart 21 aktiv. Das Gespräch führte Sven Lemkemeyer.

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