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Mit Gebetsschal und laut dabei. Die "Women of the Wall" wollen auch so beten dürfen wie die Männer.

© Reuters

"Women of the Wall" in Israel: Jüdische Frauenorganisation löst Tumulte an der Klagemauer aus

Die Organisation „Women of the Wall“ setzt sich für Gleichberechtigung in Israel ein und provoziert damit an der Klagemauer Ultraorthodoxe. Die reagieren mit Krawall. Auch am Montag wieder.

Von Katrin Schulze

Die Lebensmittel, die auf sie flogen, hat Noa Mazor ertragen. Auch mit den vielen verachtenden Blicken ist sie irgendwie klargekommen. Diesen einen Spruch aber, den kann sie nicht vergessen. Der hat sie mehr getroffen als die Gegenstände, die man ihr entgegen warf. Du bist gar keine Jüdin, sagte jemand zu ihr, als sie ein lautes Gebet an der Klagemauer sprechen wollte. Du bist gar keine Jüdin! „Das ist das Schlimmste, was man mir vorhalten kann“, sagt die junge Frau.

Noa Mazor trägt meist eine Kippa auf ihren dunklen Haaren, die ihr bis auf die Schulter fallen, und sie studiert Rabbinische Studien in Jerusalem. Wer sich nur ein bisschen für sie interessiert, wird feststellen, wie sehr sie für ihre Religion lebt, aber sie lebt sie eben in einer eher modernen Form. Deswegen hat sich die 32-Jährige entschieden, sich den „Women of the Wall“ anzuschließen, einer Organisation, die für die Gleichberechtigung von Frauen an der Klagemauer kämpft. Wie die Männer wollen sie dort beten: den Gebetsschal umgelegt, laut, singend.

Am Montag wollten es die Frauen von „Women of the Wall“ wieder genau so praktizieren. Ab sieben Uhr an der Klagemauer. So wie an jedem ersten Tag eines neuen jüdischen Monats. Doch diesmal ließ man sie nicht durch. Ernsthafte Sicherheitsbedenken gab die Polizei zur Begründung an, weil die Frauensektion an der Mauer schon gut gefüllt war, als die Protestlerinnen dort ankamen. Ultraorthodoxe hatten offenbar dafür gesorgt, dass kein Platz mehr war. Schon bei den Aktionen zuvor wollten sie die Frauen daran hindern, ihre Zeremonie abzuhalten. Sie bespuckten und beschimpften sie. Warfen mit Stühlen, mit Eiern und Tomaten.

Ultraorthodoxe fühlen sich provoziert

Verrat an der Religion lautet der mit den üblen Gesten einhergehende Vorwurf der Ultraorthodoxen. Denn nach strenger alter Sitte ist es ausschließlich den Männern vorbehalten, laut zu beten. Doch für Frauen wie Noa Mazor ist das kaum noch nachvollziehbar. Gesellschaften ändern sich, glaubt sie. Und dass es überhaupt nicht mehr zeitgemäß sei, „Frauen auszugrenzen, sie anders zu behandeln als Männer“.

Seit 25 Jahren gibt es das jüdische Frauenbündnis, doch erst in der jüngeren Vergangenheit ist es deshalb zu Ausschreitungen gekommen. Je mehr Anhänger die Gruppe von Monat zu Monat gewann, desto größer wurde der Protest, desto öfter schritt die Polizei ein und nahm Frauen fest, wenn sie mit ihren Gebeten auffielen. Vor gut zwei Monaten sollte ein Richterspruch die Angelegenheit klären: Er fiel für viele überraschend aus. Das Jerusalemer Amtsgericht urteilte, dass die „Women of the Wall“ mit ihren lauten Gebeten nicht gegen vorherrschendes Recht verstoßen oder die öffentliche Ruhe stören.

Ruhe in Jerusalem? Von wegen. Die Wut der Ultraorthodoxen befeuerte das Urteil nur noch. 1500 Polizisten waren danach an der Klagemauer im Einsatz – diesmal nicht, um die Frauen festzunehmen, sondern um sie zu schützen. Doch am Montag klappte das nur bedingt. Nachdem die Frauen nicht zur Mauer durchgelassen worden waren, hielten sie ihre Zeremonie außerhalb der Zugänge ab. Wieder wurden sie wüst beschimpft. Wieder flogen Eier – und Steine. Wieder kam es zu tumultartigen Szenen an der heiligsten Stätte des Judentums. "Wenn die Polizei es gewollt hätte, wären wir auch diesmal direkt vor die Mauer gekommen", erzählt Mazor. "Auch hat niemand verhindert, dass Gegenstände flogen."

Tumulte am heiligsten Ort

Jerusalems Polizeichef hat schon einmal von einem „Schlachtfeld“ gesprochen, mitten in der Stadt. So könne es nicht weiter gehen, sagte er, die Mauer dürfe nicht zum zentralen Ort der Streitigkeiten werden. Tatsächlich spaltet der Gebetsstreit das ohnehin schon tief zerrissene Israel weiter. Auf der einen Seite stehen die reformbereiten Juden, dazwischen die gemäßigten und auf der anderen Seite die Ultraorthodoxen, deren Tradition sich seit der Staatsgründung im Land oft durchgesetzt hat. Nun befürchten sie, an Einfluss zu verlieren und fordern die Politiker auf, sich aktiv gegen die Aktivistinnen und für eine klare Regelung einzusetzen. Bislang mit wenig Erfolg.

Noa Mazor hingegen findet, ihr Land habe ein Stück mehr an Gerechtigkeit gewonnen. Ginge es nach der Studentin, könnte man die Teilung an der Klagemauer – die größere Sektion für die Männer, die kleinere für die Frauen – ganz abschaffen. „Warum braucht heute noch diese Spaltungen? Warum sollten Frauen im öffentlichen Raum nicht genauso agieren können wie Männer?“, fragt Mazor, ohne ernsthaft eine Antwort zu erwarten. Auch ihr Respekt vor dem ersten Tag jedes neuen Monats ist bei allem Reformwillen geblieben. „Obwohl bewiesen ist, dass unser Handeln nicht verboten ist, versuchen die Ultraorthodoxen immer noch, uns Angst einzujagen“, sagt Noa Mazor. „Man kann nie sagen, was einen als nächstes erwartet, wenn man zur heiligen Mauer geht.“

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