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Politik: Würden Sie mit Attac auf die Straße gehen, Herr Gauweiler? Der CSU-Abgeordnete und der Globalisierungsgegner Christoph Bautz

im Gespräch über den Irak, Amerika und die Schwierigkeit, anders zu denken

Herr Bautz, was halten Sie von folgendem Satz: „Dörfer, Siedlungen und Städte zwischen Euphrat und Tigris mit Raketen in Brand zu setzen, um einen Regierungswechsel zu erzwingen, das ist weder moralisch noch mutig."

Bautz: Würde ich auch sagen.

Das hat Herr Gauweiler in der „Bild"-Zeitung geschrieben.

Bautz: Kann ich trotzdem unterschreiben.

Herr Gauweiler, „wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht". Kennen Sie den Spruch?

Gauweiler: Nach Ihrem Spiel ist das bestimmt ein Satz, mit dem die Bewegung von Herrn Bautz wirbt. Aber er könnte auch im Neuen Testament stehen.

Sie könnten ihn also unterschreiben?

Gauweiler: Ja, könnte ich.

Warum sind Sie gegen den Krieg?

Gauweiler: Es gibt nur zwei Fälle, in denen als letztes Mittel Krieg zulässig ist: zur Selbstverteidigung oder im Auftrag der Vereinten Nationen. Im Moment ist beides nicht der Fall.

Und wenn es ein UN-Mandat für den Irak-Krieg gäbe, wären Sie dafür?

Gauweiler: Niemand ist verpflichtet, alles, was die UN sagen, richtig zu finden. Aber bei einem solchen UN-Mandat wäre ein militärisches Eingreifen – jedenfalls nach heutiger Definition – gerechtfertigt. Im Moment ist das freilich alles nicht der Fall. Zurzeit kann man einigen Leuten in Washington nur das sagen, was auch die „New York Times" meint: Hört auf, Blödsinn zu reden.

Bautz: Die Gründe, die angeführt werden, um den Irak-Krieg zu rechtfertigen, sind vorgeschoben. Ich glaube nicht, dass Sadam Hussein Massenvernichtungswaffen an Terroristen liefern wird. Er ist traditionell mit islamistischen Gruppen verfeindet. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er noch einmal Massenvernichtungswaffen einsetzt. Saddam ist ein Machtpolitiker und wird wissen, dass seine Tage gezählt sind, wenn er davon Gebrauch macht.

Worum geht es dann den Amerikanern?

Bautz: Es geht um Öl. Die USA wollen direkt auf die Erdölvorkommen des Irak – die zweitgrößten der Welt – zugreifen. Außerdem brauchen sie in der Region einen sicheren Stützpunkt. Saudi-Arabien wird innenpolitisch immer wackliger. Hinzu kommt auch, dass US-Präsident Bush innenpolitische Probleme hat. Seine Umfragewerte sind im Keller, weil es den USA ökonomisch schlecht geht. In solchen Situationen ist es immer günstig, Krieg zu führen.

Und was ist, wenn die Inspekteure „smoking guns" im Irak finden?

Bautz: Viele Staaten haben Massenvernichtungswaffen. Wenn die USA losschlagen und Saddam sich an die Wand gedrückt fühlt, besteht viel eher die Gefahr, dass er sie einsetzt. Natürlich hat Saddam schon Massenvernichtungswaffen eingesetzt, aber doch nur in der Zeit, als er politisch und logistisch von den USA unterstützt wurde.

Herr Gauweiler, geben Sie Herrn Bautz Recht?

Gauweiler: Zum Teil, ja. Ich glaube aber nicht, dass man so naiv sein darf zu glauben, dass Saddam keine Massenvernichtungswaffen einsetzen würde. Er hat es doch schon getan! Im Iran – auf brutalste Weise. Im übrigen liegt Herr Bautz gar nicht so falsch. Wir dürfen nicht vergessen, dass im Irak mehr religiöse Toleranz herrscht als bei den US-Bundesgenossen in Saudi-Arabien. In Riad steht das Abhalten eines katholischen Gottesdienstes unter Strafe. Touristen dürfen nicht mal ein Kreuz an der Halskette tragen. In Bagdad dagegen residiert ein katholischer Patriarch, der offensichtlich ungehindert seine Gemeinde betreuen kann.

Auch an Sie die Frage: Was ist, wenn die Inspekteure „smoking guns" finden?

Gauweiler: Genau an diesem Punkt ist die amerikanische Politik nicht glaubwürdig. Nordkorea – ein extremer kommunistischer Staat – verfügt auch über atomare Massenvernichtungsmittel. Hier braucht niemand mehr zu suchen. Trotzdem denkt niemand daran, einen Präventivkrieg gegen Nordkorea zu führen.

Bautz: Nordkorea entlarvt die Verlogenheit dieser Politik. Niemand schlägt zu, weil das Regime sich wehren kann und eine echte Bedrohung darstellt. Für andere Regime ist das doch geradezu eine Einladung, sich Atomwaffen anzuschaffen, damit sie nicht von den Amerikanern angegriffen werden können.

Muss der Westen nicht unbedingt verhindern, dass Terroristen Massenvernichtungswaffen in die Hände bekommen?

Bautz: Ich halte es für eine Illusion, Terrorismus mit militärischen Mitteln bekämpfen zu wollen. Das hat sich in Afghanistan gezeigt. Vielleicht sind einige Basislager zerstört worden, aber Osama bin Laden ist nicht gefasst. Terrorismus operiert in Netzwerken und kann nur polizeilich bekämpft werden. Und man muss die sozialen Ungleichheiten beseitigen, denn da liegt die Ursache des Terrorismus.

Herr Gauweiler, Sie rollen mit den Augen.

Gauweiler (lacht): Das liegt an meiner Kurzsichtigkeit. Ich habe mir in meiner Zeit im bayerischen Innenministerium und als Münchner Ordnungsdezernent mühsam einen stabilen Ruf als „Law and Order"-Politiker erworben, den ich jetzt natürlich nicht gefährden will. Sie haben Recht, Herr Bautz, zu jeder Strafverfolgung gehört auch Vorbeugung. Aber zum Beispiel Wohnungsnot rechtfertigt keinen gewaltsamen Hausfriedensbruch. Und die Ungerechtigkeiten auf diesem Planeten rechtfertigen nicht, andere Menschen via Terrorismus umzubringen.

Bautz: Natürlich sind die Terroranschläge vom 11. September durch nichts zu rechtfertigen. Trotzdem denke ich, dass die Reaktion darauf – Afghanistan anzugreifen – ein Fehler war. Das hätte man mit polizeilichen Mitteln lösen müssen.

Gauweiler: Aber wo würden Sie denn die Grenze ziehen? Polizisten gehen doch auch mit Feuerwaffen und nicht mit Wattebällchen vor.

Bautz: Wenn sicher wäre, dass sich in einem bestimmten Teil Afghanistans Terroristen aufhalten, würde ich einen punktuellen Einsatz für gerechtfertigt halten.

Gauweiler: Mit Raketen…

Bautz: Nein, vielleicht mit Hubschraubern. Flächenbombardements, bei denen Tausende Zivilisten sterben, sind jedenfalls nicht zu rechtfertigen.

Stimmen Sie darin überein, dass sich Deutschland im Falle eines Irak-Kriegs weder an Awacs-Aufklärungsflügen beteiligen noch den Amerikanern Überflugrechte gewähren soll?

Gauweiler: Wenn der Weltsicherheitsrat mit einer zweiten Resolution für den Krieg stimmt, darf die Bundesregierung UN-Maßnahmen nicht unterlaufen. Als Mitglied der Vereinten Nationen ist sie zur Unterstützung des Sicherheitsrats verpflichtet. Die Bundesregierung braucht sich aber an einem militärischen Einsatz nicht aktiv zu beteiligen. Deutschland hat nach den USA bei internationalen Einsätzen die meisten Soldaten und Geldmittel gestellt. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Äußerung des amerikanischen Botschafters, dass Deutschland „nicht relevant" sei, eine Unverschämtheit.

Und bei einem Alleingang der Amerikaner?

Gauweiler: Dann wäre ein solcher Krieg vom Völkerrecht nicht gedeckt, und niemand in Deutschland dürfte sich daran beteiligen, weder durch die Gewährung von Überflugrechten für amerikanische Militärmaschinen noch durch die Beteiligung an Awacs-Aufklärungsflügen an der türkisch-irakischen Grenze.

Bautz: Es handelt sich in jedem Fall um einen Angriffskrieg, auch wenn er unter UN-Mandat geführt wird. Das Grundgesetz erlaubt nicht, einen Angriffskrieg zu unterstützen. Dann ist eine Beteiligung Deutschlands, auch indirekt mit Überflugrechten, nicht zu rechtfertigen.

Im Großen und Ganzen sind Sie sich erstaunlich einig. Sehen wir Sie jetzt Hand in Hand bei Friedensdemonstrationen?

Gauweiler: Immerhin haben Sie uns schon an einen Tisch gekriegt. Aber aus der gemeinsamen Demo wird nichts. Meine Abneigung gegen Demonstrationen rührt her aus der 68er Zeit. Mir ging die damalige Mischung von Ethik und Heuchelei gewaltig auf den Keks.

Aber Sie sympathisieren mit den Zielen der Friedensdemonstranten?

Gauweiler: Ich hoffe, die sympathisieren mit mir. Zusammen mit Freunden in der CDU/CSU habe ich eine große Debatte über den Irak-Krieg begonnen, die noch lange nicht zu Ende ist.

Aber Sie stehen ziemlich alleine da.

Gauweiler: Nein, ich kriege täglich E-Mails und Briefe von Leuten, die sagen: Wir haben Sie nie gewählt, aber was Sie jetzt machen, finden wir toll.

Aber in der Union hält nur Willy Wimmer, der früher Staatssekretär im Verteidigungsministerium war, zu Ihnen.

Gauweiler: Ach wissen Sie, der Platz zwischen den Stühlen verhindert, dass man zu schnell einschläft. Ich bin gewählter Abgeordneter, und ich muss tun, was ich für richtig halte. Und ich kann mich auch über Zustimmung aus der CDU/CSU nicht beklagen.

Warum schweigen Ihre Anhänger verschämt?

Gauweiler: Das kann man Ihnen nicht vorwerfen. Die CDU/CSU ist hin- und hergerissen, sie fühlt sich als die Partei, die – zu Recht – die deutsch-amerikanischen Beziehungen immer gepflegt hat. Sie hegt große Sympathien für den Vater Bush, weil er uns Deutschen bei der Wiedervereinigung so geholfen hat. Jetzt tut sich die CDU/CSU schwer, hart über den Sohn zu urteilen.

Wie ist es bei Ihnen, Herr Bautz: Kriegen Sie Zuspruch aus dem bürgerlichen Lager?

Bautz: Ich glaube, dass wir bei diesem Krieg wie nie zuvor auch die Mitte der Gesellschaft mobilisieren können. Und ich finde es im Gegensatz zu Herrn Gauweiler sehr wichtig, dass Menschen demonstrieren. Worten müssen Taten folgen.

Gauweiler: Die Demonstrationen der Friedensbewegung der 80er Jahre sind zu oft missbraucht worden. Das hatte etwas Unappetitliches an sich und wirkte so gestellt. Thomas Mann hat im Mai 1945 die „Deutschen im weißen Kleid" – die eingebildeten Guten – kritisiert. Genau so kam mir damals die Friedensbewegung vor: Seht her, wir sind die Deutschen im weißen Kleid, die eingebildete hohe Warte!

Unter welchen Umständen wäre dann ziviler Ungehorsam aus Ihrer Sicht erlaubt?

Gauweiler: Es gibt zwei bedeutende Beispiele veredelten Ungehorsams. Gandhi war das eine. Der hat seine Gegner gewaltfrei entwaffnet, so dass es denen am Ende wie Schuppen von den Augen fiel. Das andere, ein christlich-demokratisches Beispiel, war Martin Luther King, mit seinem Bus-Streik in Alabama. Authentisch, nicht geheuchelt. Aber moderne Massendemonstrationen laden dazu ein, die Probleme der Welt schwarz-weiß zu malen.

Bautz: Das finde ich sehr gewagt. Soziale Bewegungen, Demonstrationen und ziviler Ungehorsam waren die zentralen Triebfedern des letzten Jahrhunderts. Es gäbe heute ohne den Druck der Arbeiterbewegung keinen Sozialstaat. Ohne Martin Luther King gäbe es noch heute Rassentrennung in den USA. Und ohne Feministinnen gäbe es keine Gleichstellung von Mann und Frau. Es gäbe auch keine ökologische Bewegung. Herr Gauweiler wäre nie Umweltminister in Bayern geworden.

Gauweiler: Einspruch, Euer Ehren! Die Bayern haben 1972 als erstes Land in Europa ein Umweltministerium eingerichtet. Die alternative Öko-Bewegung wurde erst viel später gegründet.

Herr Gauweiler, können Sie sich Umstände vorstellen, unter denen Sie demonstrieren?

Gauweiler: Kann ich. Ich habe ja auch schon demonstriert. 1972 nach dem Mordanschlag gegen die israelischen Sportler bei den Olympischen Spielen in München. Die K-Gruppen haben damals eine Pro-Al-Fatah-Demonstration abgehalten, ich war Gegendemonstrant, was mir einen Strafbefehl eingetragen hat.

Dann müssen Sie doch Verständnis für Herrn Bautz haben?

Gauweiler: Ja, ich habe hohe Achtung vor seinem persönlichen Engagement. Nur: Wir waren damals in der Minderheit, es war viel schwerer, gegen den Strom zu schwimmen. Bautz: Na, ich denke, dass wir gar nicht hier säßen ohne diese Demonstrationen.

Gauweiler: Ich sitze hier, weil ich mich zu einem Thema geäußert und mit meinen Worten für ein bisschen Aufregung gesorgt habe.

Würden Sie Herrn Gauweiler gerne bei Ihren Aktionen sehen?

Bautz: Na ja, „gerne" ist vielleicht nicht das richtige Wort, Resist will die Mitte der Gesellschaft erreichen, wo ich aber Herrn Gauweiler nicht verorten würde, dazu ist er zu sehr „Law-and-Order"-Politiker.

Gauweiler: Trotzdem wird keiner von uns umhinkommen, richtige Positionen zu unterstützen – egal wer sie vertritt. Das ist wohl jetzt unser gemeinsames Schicksal.

Das Gespräch führten Kerstin Schneider und Jan-Philipp Sendker.

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