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Zerknirscht: Ex-Bundespräsident Christian Wulff.

© dapd

Wulff-Affäre: Abschiedsmusik zum Ehrensold

Es rätseln die Experten: Kann Wulff mit einem Zapfenstreich abtreten? Und wie viel Geld muss/darf/soll er dann bekommen – und für wie lange?

Von Robert Birnbaum

Der Große Zapfenstreich ist eine äußerst detailliert geregelte Veranstaltung. Der Aufzug der Ehrenformation, das Vor- und Zurücktreten des zu Ehrenden, die Befehle, die Melodien, die Kleiderordnung ist präzise festgelegt. Selbst für Militärs im Publikum gilt die Zentrale Dienstvorschrift 37/10; sie befiehlt ihnen den Großen Dienstanzug („ggf. mit Abwandlung Mantel, Wollschal ...“). Weit weniger präzise geregelt scheint die Frage, wer wem außerhalb des Geltungsbereichs solcher Dienstvorschriften einen Zapfenstreich zubilligen oder auch verweigern könnte. Amtliche Auskünfte zum Thema sind derzeit nicht zu kriegen.

Staatspraxis ist es, dass für Bundespräsidenten, Kanzler und Verteidigungsminister nach dem Ausscheiden aus dem Amt die „militärmusikalische Veranstaltung der Truppe“ (Zentrale Dienstvorschrift 8/10) zelebriert wird. Karl-Theodor zu Guttenberg trat ein letztes Mal auf dem Feld hinter dem Verteidigungsministerium an, Horst Köhler wurde hinter dem Schloss Bellevue die letzte Serenade geblasen. Bei beiden stand die Ehrung außer Frage, auch wenn ihr Abschied aus ganz unterschiedlichen Gründen Fragen offen ließ.

Ob die Zeremonie für Christian Wulff ebenfalls stattfinden kann, darüber zerbricht sich hier und da in Berlin inzwischen mancher den Kopf: Ein Staatsakt für einen, dem der Staatsanwalt nachspürt – geht das? Bisher ist nicht einmal klar, ob Wulff überhaupt will; schließlich muss niemand das Zeremoniell in Anspruch nehmen. Formal befehlen muss es der musizierenden Truppe dann der Verteidigungsminister auf Bitten des Präsidialamts hin. Dass Thomas de Maizière einfach so Nein sagen würde, kann sich keiner vorstellen.

Ganz so einzigartig, wie er auf den ersten Blick scheint, ist der Fall aber gar nicht. Als Guttenberg verabschiedet wurde, hatte die Staatsanwaltschaft Hof nämlich auch gerade amtlich die Ermittlungen aufgenommen. Das Verfahren wegen Urheberrechtsverletzung wurde erst viel später eingestellt. Gegen die militärischen Ehren hatte keiner Einwände.

Ohne Vorbild, auf das man zurückgreifen könnte, ist die weiter ungeklärte Frage nach dem Ehrensold für Wulff. Zuständigkeitshalber prüft das Präsidialamt. Inoffiziell hat sich der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages mit der Frage beschäftigt. Das Gutachten, vom FDP-Haushälter Jürgen Koppelin beauftragt, gesteht durchaus eine gewisse Ratlosigkeit ein: Abgesehen von dem Speyerer Verwaltungsjuristen Hans-Herbert von Arnim scheint sich noch niemand mit der Frage befasst zu haben, ob ein Präsident auch dann Anspruch auf lebenslangen Ehrensold hat, wenn sein Rücktritt nicht die im einschlägigen Gesetz ausdrücklich genannten politischen oder gesundheitlichen Gründe gehabt hätte, sondern eher persönliche.

Arnim kam bekanntlich zu dem Schluss, Christian Wulff stünden die knapp 200 000 Euro nicht zu. Der Wissenschaftliche Dienst legt einen differenzierteren Schluss nahe. Die Juristen weisen nämlich darauf hin, dass das Gesetz über die Bezüge des Bundespräsidenten – kurz BPräsRuhebezG – das Ziel verfolge, eine der Würde des Amtes angemessene Versorgung zu sichern. Schließlich habe auch ein nur zeitweiliges Staatsoberhaupt „in einem einzigartigen, verfassungsrechtlich begründeten Amtsverhältnis zum Bund“ gestanden: „Diesem Status widerspräche es wohl, ihn nach dem Ausscheiden aus dem Amt vollkommen ohne staatliche Versorgung, die in diesem Amt begründet liegt, zu lassen.“

Ohne die Kernfrage nach Wulffs Ehrensold zu beantworten, weisen die Juristen überdies darauf hin, dass das Gesetz in einem sehr viel schwerer wiegenden Fall Nachsicht übt: nämlich dann, wenn der Bundestag ein Staatsoberhaupt zwecks Amtsenthebung vor das Bundesverfassungsgericht zerrt. Selbst dann – und selbst, wenn er als vorsätzlicher Rechtsbrecher verurteilt würde – stellt das Gesetz den Karlsruher Richtern frei, ihm die Ruhebezüge zu gewähren. Es erscheine als „Bruch des Systems“, wenn dem Präsidenten im minder schweren Fall der Sold automatisch entzogen werden müsste, schreiben die Bundestagsjuristen. Mindestens aber, so ihr Befund unter Hinweis auf weitere Vorschriften im BPräsRuhebezG, stünde dem Ex-Staatsoberhaupt wohl das Gleiche zu wie entlassenen Beamten. Das wären dann noch drei laufende Gehälter sowie für – je nach Dienstzeit – ein halbes bis höchstens drei Jahre 71,75 Prozent des regulären Ruhegehalts.

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