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Politik: Wulffs Glaubensfragen

Der Bundespräsident besucht die Türkei – er dürfte seine Forderung nach mehr Religionsfreiheit für die Christen erneuern

Von allen deutschen Spitzenpolitikern, die in diesem Jahr die Türkei besuchen, kann Christian Wulff mit dem wärmsten Empfang in Ankara rechnen. Die kürzliche Feststellung des neuen deutschen Staatsoberhauptes, auch der Islam gehöre zur Bundesrepublik, wurde von türkischen Politikern gelobt. Bei seinem fünftägigen Staatsbesuch ab Montagabend dürfte es aber dennoch nicht nur harmonisch zugehen. Wulffs Besuchsprogramm lässt erwarten, dass der deutsche Staatschef mehr Rechte für die Christen in der Türkei einfordern wird.

Als erster Bundespräsident seit zehn Jahren besucht Wulff die Türkei, und in dieser Zeit hat sich das Land sehr verändert. Johannes Rau blitzte im Jahr 2000 noch mit dem Wunsch ab, den damals inhaftierten Menschenrechtler Akin Birdal treffen zu dürfen. Heute sitzt Birdal im Parlament von Ankara, und die Türkei verhandelt mit Brüssel über einen Beitritt zur EU.

Ein Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Abdullah Gül steht am Dienstag am Anfang von Wulffs Gesprächen in Ankara. Auch ein Gespräch mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und eine Rede Wulffs im türkischen Parlament sind vorgesehen, bevor der Bundespräsident in die türkische Provinz aufbricht. Nach einem Abstecher in Güls zentralanatolische Heimatstadt Kayseri nimmt der Bundespräsident im südtürkischen Tarsus an einem ökumenischen Gottesdienst in der dortigen Paulus-Kirche teil, bei dem deutsche Katholiken und Protestanten in der Türkei sowie Vertreter der türkischen Christen zusammenkommen.

Das Gotteshaus in Tarsus, der Heimat des Apostels Paulus, steht für die reiche christliche Tradition der Türkei – aber auch für die Probleme der Christen im EU-Bewerberland. Die katholische Kirche fordert seit langem die dauerhafte Umwandlung des zum Museum erklärten Baus in ein Gotteshaus. Grundsätzlich haben Regierung und Religionsbehörden in der Türkei auch nichts dagegen, doch wie so oft hapert es an der Umsetzung, nicht zuletzt wegen des Widerstands der Bürokratie. Der Besuch des Katholiken Wulff unterstreicht das Interesse Deutschlands an diesem Thema.

Im letzten Teil seines Besuchs vertieft Wulff das Thema Religion in Istanbul bei einem Treffen mit dem griechisch-orthodoxen Patriarchen Bartholomäus I. sowie mit Besuchen der Blauen Moschee und der Hagia Sophia. Außerdem nimmt Wulff an der Grundsteinlegung für die seit langem geplante deutsch-türkische Universität teil und führt Wirtschaftsgespräche.

Wulffs Entscheidung, einen seiner ersten Staatsbesuche in der Türkei zu absolvieren, ist an sich schon eine politische Botschaft. Erste Vorbereitungen für den Präsidentenbesuch hatten bereits vor dem Rücktritt von Horst Köhler begonnen, und Wulff übernahm die Reisepläne – was er nicht musste. Gleich nach seiner Wahl forderte er dann eine Vertiefung der deutsch-türkischen Beziehungen und bessere Bedingungen für die Christen in der Türkei, die nach wie vor rechtlich benachteiligt sind. Beide Botschaften dürfte er in Ankara, Tarsus und Istanbul bekräftigen.

Dass der neue Bundespräsident ausgerechnet am deutschen Nationalfeiertag und mitten in einer hitzigen Integrationsdebatte ein Zeichen für die Annahme des Islam als Teil der deutschen Realität setzte, hat ihm am Bosporus viele Vorschusslorbeeren eingebracht. Nächste Woche wird sich zeigen, ob dem Neuen aus Berlin in der Türkei auch dann noch Sympathie entgegenschlägt, wenn er mehr Religionsfreiheit für die Christen fordert.

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