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Politik: Wulffs Kirchenasyl

Wahrscheinlich war es Zufall: Zweimal besuchte der Bundespräsident an diesem Wochenende Gotteshäuser. Am Samstag in Wittenberg, am Sonntag in Berlin Hat dort gesungen und aus der Bibel gelesen. Und da vielleicht gesucht, was ihm derzeit anderswo kaum vergönnt ist – Ruhe im Sturm.

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Es ist noch eine Dreiviertelstunde bis zum Festgottesdienst. Zügig füllt sich an diesem nasskalten Sonntagmorgen die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Viele Kirchgänger kommen zum 50. Jahrestag der Einweihung der neuen Kirche. Pfarrer Martin Germer begrüßt Gemeindemitglieder und geladene Gäste. Diese Kirche, sagt er, sei ein Ort, an dem Menschen frei und ruhig werden. „Und wenn man zur Ruhe kommt, entsteht Freiraum.“ Er blickt zum Eingang. Kurze Zeit später blitzen Kameralichter auf. Es erscheint der Bundespräsident Christian Wulff, an seiner Seite seine Frau Bettina. Gäste, mit denen nicht jeder an diesem Tag rechnete.

Wulff steht unter Druck. Es geht nicht mehr nur um den umstrittenen Privatkredit in Höhe von 500 000 Euro eines befreundeten Ehepaares, um eine mögliche Vermischung von privaten, politischen und wirtschaftlichen Interessen. Christian Wulff muss um seinen Ruf und um sein Amt kämpfen. Die Würde eines Bundespräsidenten wiegt schwer. Das weiß auch Bundespräsident a. D. Richard von Weizsäcker. Zehn Jahre lang bekleidete der CDU-Politiker das Staatsamt. Der 91-Jährige sitzt in der ersten Bankreihe, eine Hand gestützt auf einem Gehstock. Zwei Tage nach dem Mauerfall habe er in der Gedächtniskirche gepredigt, sagt er. „Ein unvergesslicher Tag.“ Er schwärmt von der Architektur des Kirchenensembles und von dessen Erbauer Egon Eiermann. Fragen nach seinem Amtsnachfolger Wulff mag er indes nicht beantworten. „Das wird nichts“, sagt er – und meint damit wohl weniger den Präsidenten als vielmehr den Versuch, von ihm ein Statement zu Wulff zu bekommen.

Beim Fototermin vor dem Altar strahlt das Ehepaar Wulff noch in die Kameras. Routine. Die beiden begrüßen Gäste, legen ihre Mäntel ab, setzen sich in die erste Reihe und schlagen wie auf Kommando jeweils ihr linkes Bein über das rechte. Frau Wulff trägt ein schwarzes Kleid, dazu schwarze Stiefel, Herr Wulff präsentiert den Staatsmann in schwarzem Anzug.

Zum Einzug singt der Chor „Machet die Tore weit“. Die Gemeinde spricht: „Der allmächtige Gott erbarme sich unser. Er vergebe uns unsere Sünden und führe uns zum ewigen Leben.“ Christian Wulff sitzt da, die Gesichtszüge bekommen einen harten Zug. Er blickt zu seiner Frau. Dann ertönt das Adventslied „Wie soll ich dich empfangen“, Strophe 4. „Ich lag in schweren Banden, du kommst und machst mich los; ich stand in Spott und Schanden, du kommst und machst mich groß und hebst mich hoch zu Ehren und schenkst mir großes Gut, das sich nicht lässt verzehren, wie irdisch Reichtum tut.“ Inbrünstig singt Bettina Wulff diese Zeilen. Sie scheint überhaupt die ganze Zeit ein Dauerlächeln zu tragen.

Die Gedächtniskirche strahlt in einem mystischen Blau, wenn das Licht durch die 16 000 kleinen bunten Glasmosaiksteine in den Raum fällt. Der Blick des Bundespräsidenten fällt während der gesamten Liturgie immer wieder auf die über dem Altar schwebende goldene Christus-Figur. Es wirkt so, als ob die zum Segen erhobenen Hände Trost spenden wollen und Wulff dort seinen Halt sucht. 75 Minuten dauert die Messe. Danach ist das Ehepaar Wulff schnell aus der Kirche verschwunden. Auf dem Weg zu ihrem Wagen ruft ein Passant dem Bundespräsidenten zu, er solle nicht zurücktreten. Wulff antwortet: „Nein, das machen wir nicht.“ Diese Szene dreht ein Kamerateam mit.

Am Abend zuvor war Christian Wulff auch in einem Gotteshaus, in der altehrwürdigen Schlosskirche zu Wittenberg, und hatte die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vorgetragen. Ruhig und besinnlich und unaufgeregt – es war ein Höhepunkt der vom ZDF hier aufgezeichneten Sendung „Alle Jahre wieder – Weihnachten mit dem Bundespräsidenten“.

Heiligabend soll die Sendung ausgestrahlt werden, und es gibt Leute, die finden es mutig vom ZDF, davon auszugehen, dass Wulff dann noch Bundespräsident ist. Ulrich Petzold gehört nicht zu ihnen. „Die Vorwürfe sind absurd“, sagt er: „Zum Glück ist Christian Wulff ein sehr kontrollierter Mensch. Der steht das durch.“ Petzold ist Bundestagsabgeordneter der CDU und hat die Einladung zum Weihnachtskonzert vom Bundespräsidialamt bekommen, weil die Lutherstadt in seinem Wahlkreis liegt.

300 Besucher sind gekommen. Unter ihnen seien auch viele ausländische Diplomaten gewesen, sagt Ulrich Petzold, aus Australien, Dänemark, den Niederlanden. Die würden angesichts der Debatte um den deutschen Bundespräsidenten nur mit den Köpfen schütteln: „Hat Deutschland angesichts der Eurokrise keine anderen Probleme?“, habe ihn auch der polnische Konsul gefragt.

Aber Eurokrise hin und Weihnachtsstimmung her – die Affäre zeigt auch in Wittenberg Wirkung. Zwar trägt sich Christian Wulff wie geplant ins Goldene Buch der Stadt ein, der ebenso geplante Spaziergang durch die Lutherstadt soll aber kurzfristig abgesagt worden sein.

Und irgendwann an diesem Abend gibt Wulff dann auch bei den Journalisten nach und äußert sich doch noch, wenn auch kurz: „Man muss selber wissen, was man macht“, sagt er: „Das muss man verantworten – und das kann ich.“

Beim anschließenden Empfang im Lutherhotel wird dann viel über Verantwortung und Moral und Werte diskutiert. Und das liegt nicht nur an der alten Stadt, in der vor fast 500 Jahren Martin Luther 95 Thesen, bei denen es auch um Werte ging, an die Kirchentür schlug.

Der momentan wortgewaltigste Wittenberger wurde nicht zum präsidialen Weihnachtskonzert eingeladen. Dabei war der DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer viele Jahre lang als Theologe in Wittenberg tätig, unter anderem als Prediger an der Schlosskirche.

Schorlemmer also hat nur im Fernsehen gesehen, wie sich „die Journalisten vor der Kirche auf den Bundespräsidenten gestürzt haben“. Das hat ihm gereicht. „Die taten ja so, als ob sie einen Verbrecher dingfest machen wollten“, sagt er: „Das war eine Hatzgemeinschaft da vor der Kirche. Unglaublich, ein absolut unwürdiger Vorgang, eine völlig überzogene Skandalisierung.“

Der langjährige Sozialdemokrat Schorlemmer ist nicht gerade ein Freund von Christian Wulff. Aber die gegenwärtigen Vorwürfe hält er für übertrieben, da bisher nicht erkennbar sei, dass der Kreditgeber einen Vorteil erlangte. Eine Ungeschicklichkeit sei es gewesen – ja, meint Schorlemmer. Aber kein Verbrechen. Er sagt es für den Katholiken Wulff gern auch theologisch: „Es war eine Sünde, aber eine lässliche Sünde.“

Jedenfalls kein Grund, auf den Mann einzutreten, „bis er darnieder liegt“, erregt sich der Autor des „Buches der Werte“. Er findet es auch bezeichnend, dass „das Fell schon verteilt wird, bevor der Bär erlegt ist“, sprich: dass manche schon wieder Joachim Gauck als Nachfolger von Wulff ins Spiel bringen. Den kann Schorlemmer bekanntermaßen nun gar nicht leiden. Und steht auch dazu: „Ich will keinen Präsidenten, der bei seinen Reden weint“, sagt er. Und hofft, dass Gauck „klug genug ist, sich nicht selbst wieder ins Spiel zu bringen“.

Joachim Gauck ist klug genug. Bislang hat er jede Stellungnahme zum „Fall Wulff“ abgelehnt. Auch dem Tagesspiegel sagt er am Sonntag nur: „kein Kommentar.“ Und trauert erst einmal um einen anderen Präsidenten: Vaclav Havel.

Trotz aller begütigenden Worte, trotz Kirchengesang und Kirchengebet – die Turbulenzen um Wulff sind auch an diesem Wochenende nicht geringer geworden. Die Aufregung um ihn scheint mittlerweile mehr mit Stilfragen zu tun zu haben als mit den unterstellten Gesetzesverstößen. Es ist der Wandel des Christian Wulff, den viele in seinem Umfeld – auch in seiner Partei – nicht verstehen und auch nicht billigen wollen.

Als er Anfang der 90er Jahre auf der landespolitischen Bühne startete, galt der junge Rechtsanwalt aus Osnabrück als Gegenmodell seines SPD-Widerparts Gerhard Schröder. Wulff wollte betont seriös und nüchtern Politik betreiben, predigte Wahrheit und Offenheit als seine Prinzipien und wandte sich gegen jede Form der Mauschelei und Kumpanei, für die der leidenschaftliche Politiker Schröder bekannt war. Mit dieser Art, sachlich, unauffällig und betont seriös aufzutreten, gewann Wulff dann im dritten Anlauf die Macht in Niedersachsen und setzte sich bei der Landtagswahl 2003 gegen den als Dampfplauderer verschrieenen Sigmar Gabriel durch.

Doch im neuen Amt des Ministerpräsidenten begann eine Veränderung in Wulffs Persönlichkeit, die sich auch in privaten Lebensumständen abbildet: Seine erste Frau Christiane war eine bodenständige, im katholischen Glauben verwurzelte Frau, die für den Glanz und Glamour der Macht keine Begeisterung entwickelt wollte und sich vom politischen Amt Wulffs fern hielt. Sie begegnete dem Politikbetrieb stets mit einer Portion Skepsis und sorgte so dafür, dass Wulff selbst auf dem Boden der Tatsachen blieb.

Seine neue Frau Bettina, die der Ministerpräsident 2006 auf einer Auslandsreise kennenlernte, ist das Gegenteil von Christiane: Die lebenslustige Frau liebt Partys und das Auftreten in der Öffentlichkeit, sie bewegt sich gern in der Welt der Prominenten und hat deshalb vermutlich kein Sensorium für die Frage entwickelt, ob sich ein Politiker seinem Amt gemäß oft zurückhaltend und bescheiden geben soll. Viele schreiben daher Bettina Wulff die Verantwortung dafür zu, dass auch Christian Wulff im Laufe der Jahre ein anderer wurde – weniger vorsichtig, kleinlich und bürokratisch in vielen Fragen, dafür lockerer, lebensfroher und toleranter.

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