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Das Kandidatenkarussell dreht sich. Nun ist Christian Wulff Favorit auf das Präsidentenamt.

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Update

XY ungelöst: Bundespräsident(in) verzweifelt gesucht

Der Tag nach Köhlers Paukenschlag: Ein Nachfolger muss her. Oder eine Nachfolgerin. Ein gewaltiges Problem für Merkels Chaos-Koalition. Viele Namen fallen, auch der von einem der besten Rennpferde aus Merkels Modernisierer-Stall - Ursula von der Leyen. Rettet die Ministerin Schwarz-Gelb?

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Der Abgedankte ist am Tag danach noch mal zurückgekommen in das Amt, das er verlassen hat. Horst Köhler, heißt es, wolle sich im Schloss Bellevue von Mitarbeitern verabschieden. Außerdem Akten aufräumen, vielleicht ein letztes Mal im Pressespiegel blättern. Der ist eine garstige Lektüre, das Echo ist verheerend. Angela Merkel hat ihm das vorausgesagt, als sie am Montag versucht hat, den Präsidenten vom Rücktritt abzuhalten: Solch ein Schritt mit einer Begründung, die kein Mensch verstehen werde, könne eine Krise des Verfassungsorgans auslösen, hat die Kanzlerin sinngemäß gesagt, und dass er nicht nur das Vertrauen der Menschen in das höchste Staatsamt enttäuschen, sondern auch sich selbst beschädigen werde. Die Warnung war hellsichtig. Köhler wollte sie nicht hören. Vielleicht, weil Merkel ihm eins vergessen hat vorherzusagen: dass sein Paukenschlag schon am Tag danach verhallt sein würde.

Am Montagabend in der Telefon-Schaltkonferenz des CDU-Präsidiums haben zwar alle noch mal gerätselt, was den Mann getrieben hat, manche schimpften. „Wir haben dem auch noch für seine zweite Amtszeit eine knappe Mehrheit organisiert und ihn im ersten Wahlgang durchgebracht!“ ärgert sich ein CDU-Mann. Aber Merkel und ihre Parteispitze haben Wichtigeres zu tun, als sich mit unverständlichen Motiven eines Unverstandenen aufzuhalten. Ein Nachfolger muss her – oder eine Nachfolgerin. Das ist ein Problem für Merkel und ihre Chaos-Koalition, aber, sagt ein Christdemokrat, auch eine große Chance: Mit einer überzeugenden Personalie für die Nummer Eins im Staate lässt sich so simpel wie allgemeinverständlich Handlungsfähigkeit beweisen.

Am Dienstag um zwölf informiert der Bundestagspräsident über das weitere Verfahren bei der Wahl des nächsten Staatsoberhaupts. Norbert Lammert wirkt in seinem schwarzen Anzug, dem weißen Hemd und der goldgestreiften Krawatte heute ganz besonders staatsmännisch. Der Eindruck einer veritablen Staatskrise stellt sich in der Lobby vor dem Plenarsaal im Reichstag aber nicht ein. Lammert informiert über die Abläufe, zum Schluss erlaubt er sich sogar einen kleinen Scherz. Der 30. Juni, für den er die 14. Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten eingeladen hat, sei bei der Fußball-Weltmeisterschaft spielfrei: „Das lässt mich auf vollständige Besetzung der Bundesversammlung hoffen.“ Steckt in der Hoffnung ein höchst eigenes Interesse, möglicherweise? „Ich habe die Bundesversammlung in der Funktion wahrzunehmen, die ich ausübe“, antwortet er. Ein höchst lammertscher Satz. Er lässt offen, welche Funktion er an diesem 30. Juni ausüben wird: Sitzungsleiter – oder Kandidat.

Der zweite Mann im Staat ist einer von denen, die an der Kandidaten-Börse gehandelt werden. Schon in der ersten kleinen Krisenrunde bei Merkel, aber auch am Dienstagmorgen bei einem Dreier- Treffen der Parteichefs herrscht Einigkeit: So einen wie Köhler, einen Politikfernen, ja Politikverächter halsen wir uns nicht noch mal auf. Keinen Ex-Verfassungsrichter, keinen Altvorderen. Unionsfraktionschef Volker Kauder nennt die Kriterien: „Wir glauben, dass wir jemand mit politischer Erfahrung brauchen“ und „aus der aktiven Politik heraus“.

Um kurz nach elf lacht Ursula von der Leyen laut heraus. Die Ministerin hat die Entwicklung des Arbeitsmarktes im Mai kommentiert, monatliche Routine, nur dass diesmal verdächtig viele Fotoapparate auf sie zielen. Fragen bitte.

Welche Ambitionen sie selbst denn auf den interessantesten Arbeitsplatz hat, den dieses Land seit gestern wieder zu vergeben hat? Von der Leyen hebt abwehrend die Hand, ihre Miene könnte man verlegen nennen oder auch geschmeichelt, aber dann prustet sie los. Lachen befreit, auch von der Pflicht zur raschen Antwort. „Das ist jetzt zwar die Zeit der Spekulationen“, sagt sie, „aber nun muss unter hohem Zeitdruck eine gute Lösung für dieses Land gefunden werden, und deshalb gilt für mich einfach ... so“ – rasch den Zeigefinger auf die Lippen gelegt, als Zeichen des Schweigens. Die flotte Niedersächsin kennt das Gefühl, für ein Amt zu früh genannt zu werden und es dann doch nicht zu kriegen; aus der Gesundheitsministerin von der Leyen wurde ja bekanntlich auch nichts.

Viel sagen könnte sie überdies wirklich nicht. Merkel, versichern enge Mitarbeiter, habe sich noch nicht festgelegt. Aber Lammert und von der Leyen sind sozusagen die Rollenmodelle, zwischen denen es zu entscheiden gilt. Der Bundestagspräsident – redegewandt, repräsentabel, freilich nur begrenzt volksnah, trotz des Bochumer Zungenschlags. „Das wäre mehr ein Präsident für den Kulturteil der Zeitungen“, sagt ein Christdemokrat, der Lammert gleichwohl gute Chancen auf den Aufstieg gibt.

Lammert selbst gibt sie sich wahrscheinlich auch. Am Mittwoch reist er nach Griechenland. Aber er kehrt am Abend zurück, weil sie in der CDU-Spitze verabredet haben, je nach Lage der Dinge eventuell am Donnerstag das Präsidium wieder zusammenzurufen. Die Entscheidung eile nicht, heißt es in der Parteispitze, doch „alles, was schneller geht als eine Woche, wäre gut“.

Lammert also ist das eine Modell: ein Bewährter mit begrenztem Überraschungseffekt. Wolfgang Schäuble wäre bewährt und trotzdem eine Überraschung. Aber ob der Finanzminister überhaupt noch Interesse daran hätte, diesen Köhler zu beerben, den ihm Merkel 2004 vorgezogen hat – eher unwahrscheinlich. Mehr Interesse haben könnte Christian Wulff. Der Niedersachse sagt über eigene Ambitionen wohlweislich nichts, findet aber am Dienstag, dass es für die Auswahl „alle Zeit der Welt“ gebe. Zeit könnte für ihn arbeiten. Auch Bildungsministerin Annette Schavan fiele in die Kategorie „geringes Risiko“.

Von der Leyen ist zu all denen das Gegenmodell: ein Signal, dass die Republik auch mal etwas anderes wagt. Eine Frau, eine Jüngere, eins der besten Rennpferde aus Merkels Modernisierer-Stall. Dass die Kanzlerin mit dem Gedanken spielt, darauf gibt es Hinweise. Der Gedanke hat überdies den Charme, dass im Kabinett ein Platz frei würde. Jürgen Rüttgers könnte ein guter Arbeitsminister sein. Ohne ihn verhandelte sich eine große Koalition in NRW überdies einfacher. Aber ob Merkel es ihrer Union zutraut, eine Frau zu wählen, die in den eigenen Reihen immer umstritten war? Gewiss, Schwarz-Gelb hat eine komfortable Mehrheit in der Bundesversammlung, voraussichtlich mehr als 20 Stimmen über dem Notwendigen. Doch scheinbar sichere Mehrheiten lockern die Parteidisziplin.

Und dann haben da ja noch ein paar andere ein Wort mitzureden. Am Dienstagfrüh fahren Horst Seehofer und Guido Westerwelle ins Kanzleramt. Man hat sich vor zehn Tagen zur Vorbesprechung der Sparklausur verabredet. Aber seit gestern haben die Parteichefs – auch wenn sie an diesem Tag noch nicht über Namen reden – ein Thema zusätzlich. Seehofers CSU spielt darin keine Hauptrolle. Einen präsidiablen Kandidaten haben die Bayern im Moment nicht. „Der Herr von und zu ist ja noch keine 40“, lästert ein CDU-Mann in Anspielung auf Kabinettsstar Karl-Theodor zu Guttenberg. Die CSU muss nur nicht gegen Merkels Wahl sein.

Bei der FDP ist es anders. Westerwelle braucht jetzt langsam mal einen Befreiungsschlag. Auch er hat versucht, Köhler umzustimmen. Aber auch er sieht längst die Chancen dieses Rücktritts. Für den Abend hat Westerwelle die Oberen seiner Partei zu einer außerordentlichen Präsidiumssitzung nach Berlin eingeladen. Entscheidungen stehen nicht an, eine Telefonkonferenz hätte es auch getan. Doch Westerwelle kann am Telefon nur schlecht das dokumentieren, auf das es ihm ankommt: Führungsanspruch. Mit dem Gerede, dem immer öffentlicheren über einen, der als Parteichef und Außenminister sich zu viel zugemutet habe, soll Schluss sein. Mit seinen Ämtern überfordert? Nach Merkels Absage an Steuersenkung strategisch im Abseits? Jeder seiner Stellvertreter soll Zeuge werden, wie er, Guido Westerwelle, das Land gemeinsam mit der Bundeskanzlerin aus der Krise führt.

Dafür bedarf es freilich einiger Vorbedingungen. Zum Beispiel darf sich Merkel nicht zu früh und nicht zu engagiert mit der anderen Volkspartei SPD über eine breite Mehrheit für einen Präsidentschaftskandidaten verständigen. „Das Verfahren ist viel wichtiger als der Name“, sagt einer aus der Fraktionsspitze der FDP. Auf keinen Fall darf sich die Szene wiederholen, als die Kanzlerin vor aller Augen im Bundestag zu erkennen gab, dass ihr eine Einigung mit der SPD über die Finanztransaktionssteuer wichtiger war als die Zustimmung des Koalitionspartners FDP.

Merkel weiß um diese Empfindlichkeiten. Als sie am Abend von Köhlers Rücktritt ein Fernsehinterview gibt, erscheint nicht nur eine souverän entschlossene Kanzlerin, sondern auch eine, die vom „gemeinsamen“ Kandidaten spricht: Der werde zuerst im Kreise der drei Koalitionsparteien bestimmt und anschließend der Opposition vorgestellt werden. „Dass sie dieses Verfahren wählt“, heißt es am Dienstag in der FDP, „verstehen wir als wichtiges Bekenntnis zu Schwarz-Gelb“.

Womit freilich ebenfalls klar sein dürfte: Es wird dann auch dieses Bündnis sein, das die Mehrheit bringen muss. Die Sozialdemokraten, heißt es in Parteikreisen, wollten keinen Kandidaten mittragen, der dem anderen Lager zuzuordnen sei. Von der Leyen und Lammert also schon mal nicht – dann würde man einen Gegenkandidaten ins Rennen schicken. Auch das dürfte Merkel klar sein. Bei der SPD angerufen, heißt es dort, habe die Kanzlerin bisher nicht.

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