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Zehn Jahre Bundeskanzlerin: Ein beschenktes Land, nicht erst seit Angela Merkel

Seit nunmehr zehn Jahren ist Angela Merkel Bundeskanzlerin. Sie folgte Vorgängern, die ebenfalls historische Wegmarken setzten. Beschenkt ist das Land, das solche Regierungschefs hatte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Es war der 24. Mai 1949, als das Amt wirklich in Kraft trat. Und Kraft hat es, das Amt des Bundeskanzlers. Angela Merkel hat es seit nunmehr zehn Jahren inne. Zehn Jahre! Dieser Zeitraum begründet den Begriff „Ära“.

Nun ist es nicht so, als verbände sich dieser Begriff allein mit Merkel, der amtierenden Kanzlerin. Sondern beim Rückblick auf die Jahre, Jahrzehnte, lässt sich mit Fug und Recht sagen: Beschenkt ist das Land, das aufs Ganze gesehen solche Regierungschefs hatte.

Und dazu waren es innerhalb dieser langen Zeit auch noch so wenige! Acht an der Zahl. Das spricht für eine wahrlich außerordentliche Stabilität des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Dieser neuen deutschen demokratischen Republik, die sich im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg und nach 1989 in einer friedlichen Revolution noch einmal sowohl fand als auch neu erfand. Was, genau betrachtet, ebenfalls einer Sensation gleichkommt.

Der Bundeskanzler, die Bundeskanzlerin – mächtig qua Amt, aber nicht zu mächtig. Er oder sie bestimmt die Richtlinien der Politik, trägt dafür die Verantwortung, für grundlegende Richtungsentscheidungen wie für sehr wichtige Einzelentscheidungen. Andererseits: Unser Grundgesetz hegt das Amt des Kanzlers aus Prinzip ein, durch das Ressort- und das Kollegialprinzip. Was bedeutet, dass die Bundesminister ihre Ressorts in eigener Verantwortung leiten. Kein Kanzler kann hier einfach so in einzelne Sachfragen eingreifen und die eigene Ansicht durchsetzen. Das Kollegialprinzip besagt, dass Meinungsverschiedenheiten der Regierung vom Kollegium entschieden werden. Kein Kanzler steht über der Entscheidung des Bundeskabinetts.

Alle unsere Kanzler haben früher oder später alles das erlebt, gelebt, was diese vorausgeschickten Sätze beschreiben. Alle unsere Kanzler haben, je zu ihrer Zeit – wie lange sie im Einzelfall auch währte – dem Prinzip nicht nur gehorcht, ihm nicht nur Genüge getan, sondern ihm Geltung verschafft. Und alle unsere Kanzler haben in wichtigen Fragen historische Wegmarken gesetzt. Konrad Adenauer, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Gerhard Schröder: Sie haben sich fraglos um unser Land verdient gemacht. Aber auch die, die heute als die Schwachen gelten, Ludwig Erhard, 1963 bis 1966, oder Kurt-Georg Kiesinger, 1966 bis 1969.

Kiesinger machte den Bundeskanzler zum Vermittler

Erhard, zum Beispiel: Die wichtigste, ja historische Tat in seiner Kanzlerschaft war die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel. Für die nahm er heftige Proteste aus arabischen Staaten, unter anderem, hin. Kiesinger war der Kanzler der ersten großen Koalition, der „Großen Koalition“, wie sie bis heute geschrieben wird. Historiker meinen, deren Leistung vertrüge eine größere Würdigung als allein eine kritische über die Durchsetzung der Notstandsgesetze am 30. Mai 1968. Ihm, Kiesinger, ist überdies das andere Bild eines Bundeskanzlers zu verdanken: Er vermittelte zwischen den beiden großen Parteien, zwischen Union und SPD, anstatt zu bestimmen.

Kommt uns das nicht aus den vergangenen zehn Jahren bekannt vor?

Der Bundeskanzler hat qua Amt Anspruch auf die – im Übrigen gendergerechte – Anrede „Exzellenz“. In jedem Fall im internationalen Schriftverkehr. Unsere Kanzler haben sich das im Amt verdient, mindestens redlich zu verdienen versucht. Wohl dem Land, das das über seine Regierungschefs sagen kann.

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