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Politik: Zeit für Emanzipation

DER SPD-PARTEITAG

Von StephanAndreas Casdorff

Stellen wir uns einen Augenblick vor, Edmund Stoiber wäre Bundeskanzler. Wie gut ginge es dann Gerhard Schröder! Er wäre Chef einer Partei, die in den Umfragen so viel gewinnen würde, dass 43 Prozent für sie nur ein mittelschönes Ergebnis wären. Sie würde zulegen und Zulauf haben, weil der Kanzler reformieren und umbauen und streichen müsste, was das Zeug hält, und sich damit immer unbeliebter machte. Die Gewerkschaften stünden auf der Straße, und die SPD könnte aus vollem Herzen für soziale Gerechtigkeit eintreten. Schröder, der Oppositionsführer, hätte traumhafte Werte, er würde gelobt – für eine Politik, die er als Kanzler für falsch halten muss. Denn dieser Kanzler will Deutschland gerade modernisieren, gegen alle Widerstände, weil seine Aufgabe nichts anderes erlaubt.

Schröder und die SPD können das tun, ohne dass gleich alle betroffenen Gruppen Gegenmacht mobilisieren. Es ist eine innenpolitische Situation entstanden, die in ihren Anforderungen der außenpolitischen Ende der 90er Jahre ähnelt. Da musste die Regierung auch die frühere Zurückhaltung aufgeben, konnte nicht mehr ausweichen, musste Grundstürzendes durchsetzen – wie den Krieg im Kosovo. Der Bruch mit der Tradition militärischer Zurückhaltung war dadurch besser vermittelbar, dass ihn eine Koalition mit stark pazifistischen Anteilen vollzog. Für den Umbau des Sozialstaats gilt Ähnliches. Eine Mitte-Links-Koalition kann ihn leichter ohne große Verwerfungen in der Gesellschaft begründen als eine konservativ-liberale, denn ihr wird zugute gehalten: Wenn die mit ihrer sozialstaatlichen Tradition das schon sagen, dann wird es wohl unumgänglich sein.

Das wird eine Mehrheit der Bürger-Wähler aber erst dann sagen, wenn sie die großen Linien verstehen können; wenn sie den höheren Plan im Ganzen erkennen. Zahnersatz allein ist nicht stellvertretend für die große Gesundheitsreform. Es muss klar werden, warum wir alle, die Bürger, jetzt diese Anstrengungen machen müssen und was dann an Vorteilen herausspringt; spätestens für die Kinder. Sobald der Einzelne den Lohn der Kosten und Schmerzen erkennt, macht er mit. Genau darum geht es für Schröder jetzt auf dem Bochumer Parteitag. Der Kanzler, mit seiner SPD im tiefen, tiefen Tal der Werte, muss zuerst in den eigenen Reihen das Verständnis und die Einsicht fördern, dass sein Weg richtig ist. Nur dann wird er die Reihen hinter sich schließen können. Und nur dann, wenn die SPD überzeugt ist, wird sie andere überzeugen.

So einfach – und so schwierig. Denn Schröder als Kanzlerparteichef ist zugleich das Dilemma der SPD. Er kann sich nicht in einer Weise um die Partei kümmern, wie es ihr Herz erwärmen würde, und er kann es auch in Zukunft nicht. Was er als Bundeskanzler zu leisten hat, lässt keinen Parteivorsitz zu, bei dem Schröder Strukturreformen vornimmt oder theoretische Debatten anstößt und sie führt. Das passt nicht zusammen. Zu einer Trennung der Ämter wird es aus machtpolitischen Erwägungen nicht kommen – aber eine Emanzipation der Partei muss es trotzdem geben. Die Stellvertreter, der Generalsekretär, die Jungen, sie alle müssen sich stärker um das Fundament an Begründungen bemühen, das – wie alle Umfragen zur SPD zeigen – brüchig geworden ist. So brüchig, dass in wenigen Jahren, wenn Schröder nicht mehr regiert, von der stolzen Sozialdemokratie wenig übrig sein könnte.

Der Kanzler selbst aber hat keine Wahl. Irgendwann kommt in jeder Regierungszeit der Augenblick, da geht es nur noch mit Prinzipien. Da muss man gegen alle Widerstände stehen. Und kann nicht mehr anders.

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