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Politik: Zeit für Entscheidungen Von Albrecht Meier

Tony Blair hat eine Mission. Zwar ist auch für den britischen Premier schon der politische Herbst angebrochen, aber er hat noch viel vor.

Tony Blair hat eine Mission. Zwar ist auch für den britischen Premier schon der politische Herbst angebrochen, aber er hat noch viel vor. Als er in Großbritannien das Ruder übernahm, erfand er „New Labour“. Damals, in den neunziger Jahren, überzeugte er seine eigene Partei davon, dass sie vor der Globalisierung die Augen nicht verschließen dürfe. Etwas Ähnliches hat Blair jetzt offensichtlich mit Europa vor. Der britische Regierungschef fordert nichts Geringeres als eine Runderneuerung der europäischen Institutionen, die fast ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben. Blair hat vor dem Europaparlament in Brüssel erklärt, dass er sich auch für die EU so etwas wie einen „Dritten Weg“ vorstellt, irgendwo zwischen freiem Markt und sozialem Europa. Kommt jetzt also nach „New Labour“ demnächst „New Europe“? Das wäre fatal. Denn der Wesensgehalt Europas ist nicht wirtschaftlich, sondern politisch.

Man mag einwenden, dass eine boomende Wirtschaft, eine geringe Arbeitslosenquote und ein neuer Wohlstand auf der Insel Blair Recht geben. Für ihn liegt es in der Logik der Sache, auf dem Kontinent Werbung für „sein“ Europa zu machen. Dennoch sollte man dem Handlungsreisenden Blair nicht alles abkaufen. Denn es ist gar nicht Aufgabe der EU, die unterschiedlichen Wirtschafts und Sozialsysteme in den Mitgliedstaaten übermäßig zu harmonisieren. Die EU-Staaten werden auch künftig um die besten Ideen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit konkurrieren müssen. Daran wird sich nichts ändern, wenn Brüssel demnächst einen größeren Anteil seines Haushalts für Forschung und Bildung ausgibt, wie Blair es fordert. Vor allem ist der britische Regierungschef vor dem Europaparlament eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie er sich Europa jenseits einer groß angelegten Modernisierung überhaupt vorstellt.

Dass er sich eine Änderung bei den in der Tat horrenden Ausgaben für die Brüsseler Landwirtschaftspolitik wünscht, ist nämlich als Reformansatz etwas dürftig. Mehr noch, Blair zielt mit seinem Angriff auf die EU-Agrarpolitik, von der vor allem Frankreichs Bauern profitieren, auf das europäische Einigungswerk insgesamt. Beim gegenwärtigen Streit um das EU-Budget wird schließlich das oft vergessen: Bei der gemeinsamen Landwirtschaft, beim Binnenmarkt und beim Euro ging es nie allein um die wirtschaftliche Dimension, sondern auch um die Wahrung des Friedens in Europa. Und damit sind wir in den letzten 50 Jahren gar nicht schlecht gefahren.

Unter dem Eindruck des Neins zur EU-Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden ruft der britische Premier nun dazu auf, künftig in Europa stärker auf das zu hören, was die Menschen wollen. Aber was soll das bedeuten? Sollen in Europa künftig diejenigen den Ton angeben, die die EU-Mitglieder wieder auseinander dividieren wollen? Der schräge Chor der Europa-Gegner ist schon ganz schön laut. In Deutschland hat der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler gegen die EU-Verfassung geklagt; oder besser gegen das, was von ihr noch übrig ist. In Frankreich erklärt der Rechtsaußen Philippe de Villiers, dass die EU 60 Jahre nach Kriegsende ihre Raison d’ être verloren habe. Und in Italien treten Minister auf den Plan, die ihre alte Lira wiederhaben wollen.

Zugegeben: Nach dem Ende der Nachkriegszeit hat es Europa schwer, die Menschen für sich zu begeistern, obwohl die künftigen Herausforderungen für die EU eigentlich offensichtlich sind. Bei der Stabilisierung des Iraks, bei der Heranführung der Türkei, beim Kampf gegen den Terror, überall sind die Europäer gefordert. Sie sind gemeinsam in der Pflicht, denn jeder Staat für sich wäre angesichts dieser Aufgaben überfordert. Auch die USA erwarten übrigens, dass Europa als politische Einheit auftritt.

Auch wenn es Tony Blair nicht so sehen will: Gerade in der gegenwärtigen Krise stellt sich die Frage in zugespitzter Form, was Europa sein will, nur ein Markt oder eine politische Einheit. Die EU-Mitglieder sollten reif genug sein, diesen Grundsatzstreit in den nächsten Jahren offen auszutragen. Selbst wenn es darüber zum Bruch kommt.

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