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Politik: Zeit für Gefühle

Der Kanzler zieht Bilanz seiner Reformagenda – doch nur beim Thema Terror reißt er die Abgeordneten wirklich mit

Der Kanzler senkte die Stimme. Es wurde ganz leise im weiten Rund. Spaniens Weg in die Demokratie sei einer der stolzesten Momente Europas gewesen, meinte Gerhard Schröder. Und deshalb sei es nun eine „schlimme Diffamierung“, wenn der neuen Regierung in Madrid nach den Anschlägen vorgeworfen werde, sie habe „vor dem Terror Reißaus genommen und betreibe Beschwichtigungspolitik“. So sehen es viele Konservative in Europa und Amerika, die den angekündigten Rückzug Spaniens aus dem Irak als Einknicken bewerten. Angela Merkels Replik kam prompt. „Niemand außer den Terroristen verhöhnt das spanische Volk“, rief die CDU-Chefin dem Kanzler zu.

Eigentlich steht die Generalaussprache über die Regierungspolitik stets in der herbstlichen Haushaltswoche auf dem Programm. Eigentlich sollte es am Donnerstag um die Agenda 2010 gehen: Bilanz und Ausblick. Stattdessen verteilten die Redner ihre Aufmerksamkeit recht ebenmäßig auf Steuern und Bildung, Forschung und Terror, Zuwanderung und Emissionshandel.

Und es war eben der Terror von Madrid, der für den emotionalsten Moment sorgte. Mucksmäuschenstill war es im Bundestag. Aber nur während dieser Kanzler-Passage. Ansonsten reagierte das Parlament mit gebremster Lebhaftigkeit auf eine Redeschlacht, in der vor allem bekannte Ideen und Schienbeintritte benutzt wurden.

Schröder schaffte es, jeden Angriff auf besitzstandswahrende Reformfeinde mit einem Seitenhieb auf die mangelnde Tugend der Arbeitgeber oder spitzenverdienende Absahner zu garnieren, die „ungeniert Abfindungen in Millionenhöhe“ kassierten. Sprach der Kanzler über „jene, die jede Reform als Angriff auf die Gerechtigkeit begreifen“, rührte sich im Regierungslager keine Hand. Schalt Schröder die Reichen, die „nicht nach Moral und Anstand“ leben, wollte der Beifall kaum enden. Immerhin wartete der Kanzler mit einem neuen Leitsatz auf. „Es gibt natürlich Reformalternativen, aber keine Alternative zur Reform“, sagte er.

Ganz leise wurde er abermals im außenpolitischen Teil, als er über den Widerstand seiner Regierung gegen den bewaffneten Sturz Saddams sprach. Da sage er „ganz selbstbewusst: Wir waren damals auf dem richtigen Weg, und wir sind es auch heute“. Wieder gab es viel Beifall, und es schien fast, als finde Schröder wie einst Kohl zunehmend Gefallen an der Weltpolitik, je mehr die Reformwiderstände im Innern nerven. Immerhin versuchte sich Schröder an einem Fazit des vergangenen Jahres, das er ganz explizit auf beides gemünzt sehen wollte, auf die Innen- wie die Außenpolitik. „Die vergangenen zwölf Monate haben die Politik der Bundesregierung in viefältiger Weise bestätigt.“ Als Schröder zum Schluss auch noch an seinen Amtseid erinnerte, da kam im Bundestag fast ein wenig vorweggenommene Abschiedsstimmung auf. Auch wenn Justizministerin Brigitte Zypries vergebens eine stehende Ovation als Dank einforderte.

Merkel tat sich schwer mit einer Antwort. Wann immer sie konsequentere Reformen finanziert durch Subventionsabbau verlangte, erntete sie schallendes Gelächter, weil im Vermittlungsausschuss kurz vor Weihnachten es doch die Union gewesen war, die allzu harsche Schnitte blockiert hatte. Merkel griff Franz Münteferings Forderung auf, die SPD solle „sich ehrlich machen“. Dazu gehöre dann wohl auch, einzugestehen, dass man bisher gelogen und betrogen habe, forderte die Chefin der Unionsfraktion. Merkels innenpolitisches Credo lautete: Niemand bezweifle, dass die Agenda 2010 ein erster, richtiger Schritt sei, nur dürfe die zweite Legislatur von Rot-Grün nicht lediglich die Korrektur der Fehler aus der ersten Legislatur sein. Über ihren Versprecher, als sie der Opposition Zerstrittenheit vorwarf, musste Merkel selbst lachen. Scharf wurde sie, als sie Schröders Vorpreschen zur Rettung einzelner Betriebe angriff. Der Kanzler möge doch lieber mit seinen Ost-Cousinen Kaffee trinken, als den Bombardier-Arbeitern von Halle die Rettung zu versprechen.

Der Kanzler nahm es gelassen. Müntefering jedenfalls meinte zu Merkels Rede, da sei die Parteivorsitzende wohl großzügig gewesen und habe alle ihre Redenschreiber vorher in den Urlaub geschickt. Den Gegenhieb auf Müntefering formulierte CSU-Landesgruppenchef Michael Glos. „Sie sind ja quasi so ein Stückchen Reservekanzler“, attestierte er dem neuen SPD-Chef.

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