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Politik: Zeit, sich an den Aufbau zu machen

Kirgisiens Außenminister zur Lage seines Landes

Die Revolte in Kirgisien nach den gefälschten Parlamentswahlen liegt ein Jahr zurück, seit sechs Monaten hat Ihr Land eine neue Regierung. Was hat sich getan?

Sowohl der kleine Mann auf der Straße als auch die politische Elite haben verstanden, dass es wirklich höchste Zeit ist, sich an den Aufbau des Landes zu machen. 2005 war ein schwieriges Jahr, im Parlament ging es außerordentlich heiß her. Es gab Streit zwischen den Clans im Land. Doch es ist der Regierung gelungen, die Stabilität im Land zu gewährleisten und damit auch die Grundlage für wirtschaftliche Erfolge zu schaffen.

Es gab auch Rückfälle: Eine Volksbewegung brachte die größten Kohlebergwerke unter ihre Kontrolle. Mehrere Parlamentsabgeordnete wurden erschossen. Wie stabil ist der Prozess wirklich?

Die Prozesse, die im März 2005 eingesetzt haben, waren alles andere als einfach oder eindeutig. Vor einem Jahr kam alles an Negativem an die Oberfläche, was sich in den Jahren zuvor angestaut hatte. Das war gar nicht so schlecht wie wenn ein eitriges Geschwür aufbricht, um dann zu heilen. Die positive Entwicklung ist unumkehrbar.

Bei Ihren Nachbarn in Zentralasien sind die Demokratiedefizite zum Teil deutlich höher. Kann Kirgisien positiv ausstrahlen?

Aus dem europäischen Blickwinkel erscheint die Region Zentralasien homogen. Wir, die wir dort leben, wissen, dass die einzelnen Länder und Völker sich hochgradig unterscheiden. Jedes Volk hat seinen Weg gewählt. Wir in Kirgisien müssen die Wahl der Völker in den Nachbarländern akzeptieren und achten. In Kirgisien gibt es keine Bestrebungen, das Mehr an Demokratie, das es bei uns gibt, in die anderen Länder zu exportieren. Wir sind an einem gut nachbarlichen Verhältnis interessiert.

Wie groß ist die Gefahr, dass Islamisten in Kirgisien mehr Einfluss gewinnen?

Kirgisen sind ein Nomadenvolk. Nomaden sind sehr freiheitsliebend und auch tolerant. Darum gibt es bei uns nicht nur Moslems, sondern auch viele, die dem Animismus anhängen, also Naturgeister anbeten, Berge, Flüsse. Es gibt sogar Fälle von Schamanismus. Und auch noch Leute, die von kommunistischen Ideen überzeugt sind. Bei uns herrscht ein starker Pluralismus. Deswegen gibt es im Moment keine islamistische Gefahr. Wobei die Extremisten nicht untätig sind. Wir müssen aufpassen, dass es ruhig bleibt.

Georgien und die Ukraine haben sich nach den jüngsten Revolutionen stärker in Richtung Westen orientiert. Sie halten sich weiter an Moskau. Warum?

Die Ukraine und Georgien sind viel näher an Europa dran. Russland ist an der Zusammenarbeit mit uns interessiert, und Außenpolitik ist niemals eine Einbahnstraße. Wir können noch so sehr an einer Zusammenarbeit mit Europa interessiert sein. Wenn wir im europäischen Gesichtskreis nicht vorkommen, kann es nicht zu aktiven bilateralen Beziehungen kommen. Deutschland als unser bester Freund in Europa kann hier Vorreiter sein.

Alikbek Dschekschenkulow (48) ist seit dem Machtwechsel in Bischkek im Sommer des vergangenen Jahres Außenminister in Kirgisien.

Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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