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Politik: Zeitenwende im Morgenland

DER FALL SADDAM

Von Clemens Wergin

Die Geschichte verteilt selten zweite Chancen. Und doch ist die Festnahme von Saddam Hussein genau das: Eine zweite Chance für die Amerikaner, ihre vielen Fehler im Irak wettzumachen und die negative Dynamik von Anschlägen und daraus resultierender Unsicherheit zu durchbrechen.

„Kriege sind Gottes Weg, Amerikaner Geografie zu lehren“, sagte der Schriftsteller Ambrose Bierce über seine Landsleute. Die letzten siebeneinhalb Monate waren für die USA tatsächlich eine harte Lektion in Irakkunde. Wer geglaubt hatte, die amerikanischen GIs würden von den Irakern jubelnd begrüßt werden und der Rest werde sich dann schon finden, wurde bitter enttäuscht. Die US-Regierung hatte einen perfekten Krieg geplant – und war danach gleich an den ersten Hürden der Nachkriegsordnung gescheitert.

Zunächst die Plünderungen, dann der bewaffnete Widerstand: Die Amerikaner hatten sich weder ausreichend mit nahöstlichen Mentalitäten beschäftigt, die in der Regel US-feindlich sind, noch mit dem besonderen Charakter der saddamitischen Diktatur, die sich auf bestimmte Volksgruppen stützte. So hatten sie keine Strategie, um der Unzufriedenheit unter den Sunniten zu begegnen, die mit dem Ende von Saddams Herrschaft auch ihre herausgehobene Stellung verloren hatten. Der US-Zivilverwalter Paul Bremer machte alles noch schlimmer, als er die Armee auflöste und so eine große Zahl kampferprobter und zorniger Sunniten nach Hause schickte. Viele gingen in den Untergrund und lassen sich von manchen Stammesführern oder Baathisten für Anschläge gegen die Besatzungstruppen bezahlen. Eine Katastrophe.

Die Aufständischen haben mit Saddam keinen Organisator verloren, aber doch eine wichtige Symbolfigur. Diesen Moment gilt es nun zu nutzen. Die Amerikaner sollten der sunnitischen Minderheit, ihren Clan- und Stammesführern, ein großzügiges Angebot machen. Nur wenn die Sunniten glauben, dass sie auch im neuen Irak politische Mitsprache erhalten, wird ihre Unterstützung für den Widerstand nachlassen. Denn auch wenn ein Teil der Attentate auf das Konto von islamischen Gotteskriegern geht, so können die ihre Anschläge doch nur mit lokaler Hilfe planen.

Aber auch die Iraker, die von einem Albdruck befreit wurden und auf den Straßen jubeln, müssen jetzt das Gefühl bekommen, über ihre Zukunft selbst zu bestimmen. Die Macht muss schneller an eine Übergangsregierung abgetreten werden – die Führung im Land braucht endlich ein irakisches Gesicht. Hier spielt auch die Frage hinein, was mit Saddam geschieht. Jeder Anschein von Siegerjustiz würde verhindern, dass die Gerichtsverhandlung zum Beginn eines Auseinandersetzens der Iraker mit der eigenen Geschichte werden kann – und der Anfang einer nationalen Aussöhnung.

Der Prozess ist aber nicht nur wichtig für den Irak. In einer Region, die wie keine zweite von tyrannischen und autokratischen Regimen bedrückt wird, wäre dies die erste öffentliche Abrechnung mit einem Diktator. Wenn Al Dschasira die Zeugenaussagen zu Saddams Untaten in arabische Wohnzimmer und Teehäuser überträgt, wird deutlich: Hier steht der ruchloseste der arabischen Diktatoren stellvertretend für eine ganze Klasse nahöstlicher Tyrannen vor Gericht.

Saddam Hussein war der Held vieler Araber, weil er sich gegen Israel und Amerika aufgelehnt hat. Er war die letzte große Symbolfigur des arabischen Nationalismus, der einst die Monarchien gestürzt hatte, um „republikanische“ Diktaturen an ihre Stelle zu setzen. In der arabischen Öffentlichkeit mischt sich heute die Wut und Enttäuschung über das unrühmliche Ende von Saddams Herrschaft mit der Hoffnung, dass auch andere Autokraten der Region zur Rechenschaft gezogen werden. Es wird aber noch lange dauern, bis die Mehrheit der Araber realisiert, dass die antiisraelische und antiamerikanische Propaganda ihrer Führer vor allem ein Vorwand ist, um den eigenen Völkern minimale Rechte und demokratische Teilhabe zu verweigern. Fördert der Prozess gegen Saddam diesen Bewusstseinswandel, gewinnt die ganze Region. Die Amerikaner können viel dazu beitragen – wenn sie zeigen, dass sie im Irak mehr als Geografie gelernt haben.

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