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Politik: Zerknirschte Nation

Von Malte Lehming

Eine gute Übersetzung gab es nie für jene Strategie, mit der die US-Regierung vor vier Jahren das Regime des irakischen Diktators Saddam Hussein zu stürzen begann. Die Strategie hieß „shock and awe“, was wörtlich „Schock und Ehrfurcht“ bedeutet oder frei „Angst und Schrecken“. Die Gründe für den Krieg waren vielfältig. Es ging, je nachdem, wer befragt wurde, um Massenvernichtungswaffen, Terrorkontakte, Demokratisierung, Öl, Humanität, das Begleichen einer alten Rechnung, den Nahostkonflikt. In Europa lehnten ihn achtzig Prozent der Menschen ab, in den USA wurde er von etwa demselben Anteil unterstützt. Es war ein völkerrechtswidriger Krieg, geführt von einer „Koalition der Willigen“.

Angst und Schrecken: Durch einen gewaltigen Militäreinsatz wollte Amerika sich Respekt verschaffen in der islamischen Welt. Die Anschläge vom 11. September 2001 hatten das Land in seinem Selbstbewusstsein erschüttert, in seinem Selbstwertgefühl verletzt. Die Taliban in Afghanistan erwiesen sich als Gegner zu klein. Ein anderer, stärkerer Bösewicht musste bezwungen werden, um die Ehre wiederherzustellen. Weil das indes niemand so offen aussprechen wollte, wurden andere, offizielle Gründe konstruiert. Doch insgeheim wussten die meisten Amerikaner, dass der Krieg psychologisch motiviert war. Man rettete sich in Analogien: In der Normandie begann der Anfang vom Ende des Faschismus, durch Ronald Reagans Hochrüstung wurde die Sowjetunion in die Knie gezwungen, wenn Bagdad fällt, stürzen bald auch andere Diktatoren im Nahen und Mittleren Osten. Es klang so einfach.

Muss man es erneut betonen? Keine Hoffnung hat sich erfüllt. Im Gegenteil: Im Irak herrscht Bürgerkrieg – unter den Augen der machtlosen Amerikaner. Die Zahl der Zivilisten, die im vergangenen Jahr dabei ums Leben kamen, geht in die Tausende. Die Zustände gebären Terroristen und ziehen diese von überall an. Wo immer in der arabischen Welt gewählt wird, gehen radikale Kräfte daraus gestärkt hervor. Das Demokratisierungsprojekt wurde prompt fallen gelassen. Die letzte Legitimation der US-Truppen im Irak lautet, ein noch größeres Chaos zu verhindern. Das ist mager, peinlich, beschämend. Angst und Schrecken sollten verbreitet werden, Selbstlähmung und Zerknirschung wurden geerntet.

Doch warum brandet in den USA kein Sturm der Entrüstung auf? Ganz einfach: weil fast alle mitgemacht haben. Die oppositionellen Demokraten im Kongress, die gegen den Krieg votiert hatten, muss man mit der Lupe suchen. Die Mehrheit war Teil der erhitzten gesellschaftlichen Atmosphäre, der zufolge nach Nine-Eleven schlicht etwas ganz Drastisches zu geschehen hatte. Darum verhallten auch rasch die Lügner-Rufe an die Adresse von George W. Bush, als klar wurde, dass Saddam Hussein keine Massenvernichtungswaffen hatte: Diese Behauptung war ja ohnehin nur ein Vorwand, um bessere Karten bei den Vereinten Nationen zu haben. Bush konnte später sogar Witze über dieses Thema reißen.

Vier Jahre später: Eine zerknirschte Nation steht vor den Scherben ihrer Wut, die durch Terror verursacht worden war und sich im Irak hätte entladen sollen. Das ging gewaltig schief. Dieser Krieg war falsch, fühlt nun die Mehrheit. Aber dass er überhaupt geführt wurde, wird in erster Linie als Tragik empfunden, nicht als Verbrechen.

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