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Politik: Zielscheibe Parlament

Vor dem Terroranschlag in Moskau hatten sich die mutmaßlichen Täterinnen nach der Duma erkundigt

Der Reporter des Staatssenders RTR war hörbar nervös: „Jetzt“, stammelte er in bestem Funktionärs-Russisch der Breschnew- Ära „erfolgt die Durchführung der Erschießung der schwarzen Aktentasche“. Eben darin vermuteten die Fahnder einen zweiten Sprengsatz und entschärften ihn per Roboter. Der erste war knapp drei Stunden zuvor detoniert: Um 10 Uhr 50 vor dem Nobelhotel „National“ schräg gegenüber vom Kreml. Sechs Menschen starben, darunter auch die Selbstmordattentäterin, die einen Sprengstoffgürtel trug. Die Explosion riss ihr den Kopf ab. Auch die anderen Leichen waren grauenhaft verstümmelt.

Weitere 14 Menschen wurden bei dem Anschlag verletzt, mehrere schwebten in Lebensgefahr. Außerdem entstand erheblicher Sachschaden. Sämtliche Fenster im Erdgeschoss und im ersten Stock des Hotels gingen zu Bruch. Die Explosion war so stark, dass sie noch in der sieben Kilometer entfernten Geheimdienstzentrale an der Lubljanka zu hören war.

Der Terroranschlag vom Dienstag ist bereits der zweite in weniger als einer Woche: Am Freitag starben im Vorland des Nordkaukasus bei einem Anschlag auf einen Vorortzug 44 Menschen, mehr als 150 wurden verletzt. Beide Anschläge gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das Konto tschetschenischer Terroristen. Der erste sollte offenbar die Bevölkerung bewegen, die Parlamentswahlen am Sonntag zu boykottieren. Mit dem zweiten, so vermuten hiesige Medien, wollten die Separatisten den Kreml offenbar warnen, sich von den neuen nationalpatriotischen Mehrheiten das Mandat für eine noch härtere Gangart in der Rebellenrepublik erteilen zu lassen, um das leidige Problem noch vor den Präsidentenwahlen am 14. März vom Tisch zu bekommen.

Der Kreml hatte die Volksabstimmung über die neue Verfassung der Republik Ende März und die Wahlen des tschetschenischen Präsidenten Anfang Oktober als politische Lösung für die abtrünnige Region verkauft. Kritiker im In- und Ausland machten jedoch geltend, dass dabei die Separatisten außen vor blieben. Außerdem prangerten sie massive Manipulationen des Wählerwillens an, die sich bei den Duma-Wahlen offenbar fortsetzten: Während unabhängige Journalisten aus Tschetscheniens Hauptstadt Grosny berichteten, dass die Tschetschenen die Wahl weitestgehend boykottierten, registrierte die Wahlkommission ausgerechnet dort die landesweit höchste Wahlbeteiligung – und die höchsten Zustimmungsraten für die Kremlpartei „Einiges Russland“. Mit rund 70 Prozent lagen sie fast doppelt so hoch wie im Durchschnitt anderer Regionen.

Ein Ergebnis, das die Zeitung „Nowaja Gaseta“ schon vor dem Urnengang in einem Artikel zu geplanten Wahlfälschungen fast exakt vorausgesagt hatte. Gerade in Tschetschenien, so das Blatt damals, sei es leicht, die Wahlergebnisse zu manipulieren. Denn in der Republik waren auch die etwa 35 000 dort stationierten russischen Soldaten stimmberechtigt. In ihren Einheiten hatten Beobachter von KP-Chef Gennadij Sjuganow am Wahltag gleich mehrfach doppelte Sätze von Stimmzetteln entdeckt.

Russlands Duma sei mit hoher Wahrscheinlichkeit des eigentliche Ziel des Anschlags am Dienstag gewesen, hieß es bei der Moskauer Staatsanwaltschaft, die inzwischen ein Verfahren wegen Terrorismus und vorsätzlicher Tötung einleitete. Nach ersten Erkenntnissen der Ermittler fragten zwei Frauen – die Fahnder gehen von zwei Terroristinnen aus – einen Passanten direkt vor dem Hoteleingang, wo denn „diese Duma" sei. Nur Sekunden später sei die Explosion erfolgt, Offenbar, weil sich der Zünder des Sprengsatzes aus bisher nicht geklärten Gründen von selbst aktivierte.

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