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Zivilopfer: Afghanistan: Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst

Zivile Todesopfer gehören zu den dunkelsten Kapiteln dieses endlosen Krieges. Und ihre Zahl steigt alarmierend. Allein 2008 wurden in Afghanistan laut UN 2118 Zivilisten getötet, 40 Prozent mehr als im Vorjahr.

Neu-Delhi - Wahrscheinlich wird man nie genau wissen, wie viele Unschuldige am 4. Mai in der afghanischen Provinz Farah im Bezirk Bala Buluk getötet wurden. Auch was sich genau abspielte, bleibt widersprüchlich. US-Flieger sollen Häuser und Gebäudekomplexe bombardiert haben, weil sie sie für Taliban- Verstecke hielten. Dabei wurden Dutzende Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder, getötet. Von 26 toten Zivilisten spricht Washington, von 80 bis 100 sprechen afghanische Quellen.

Zivile Todesopfer gehören zu den dunkelsten Kapiteln dieses endlosen Krieges. Und ihre Zahl steigt alarmierend. Allein 2008 wurden in Afghanistan laut UN 2118 Zivilisten getötet, 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Und in den ersten sechs Monaten dieses Jahres starben bereits mehr als tausend, ein Plus von 24 Prozent. Die meisten Toten sollen auf das Konto der Taliban gehen. Aber auch den Amerikanern wird vorgeworfen, in Rambo-Manier loszuschlagen. Inzwischen scheint Washington erkannt zu haben, dass es diesen Krieg nicht gewinnen kann, wenn es die Afghanen weiter gegen sich aufbringt. Anfang Juli ordnete der neue Isaf-Kommandeur, der US- General Stanley McChrystal, für die Nato-geführte Isaf und die US-Truppen einen Strategiewechsel an.

Die neue Losung lautet: „Weg von der Jagd nach den Bösewichten, hin zum Schutz der Zivilbevölkerung“. Konkret reduzierte man die Luftangriffe. Gerade dabei waren immer wieder Unschuldige getötet worden. Die neue Strategie zahlt sich angeblich aus. Die Zahl ziviler Verluste sei gesunken, gab Nato-Sprecher James Appathurai bekannt. Auch die Taliban traten in den Wettbewerb „Wer ist die nettere Kriegspartei“ ein. Sie verteilten angeblich ein neues „Regelbuch für den Dschihad“, in dem die Kämpfer gemahnt werden, „anständig“ mit dem Volk umzugehen und Zivilisten zu schonen.

Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst: Todeszahlen sind von jeher Spielball in der Propaganda-Schlacht. Das gilt auch in Afghanistan und Pakistan. Militär und Taliban schieben sich gegenseitig die Schuld für die zivilen Opfer zu. Fast täglich gibt es zudem neue Erfolgsmeldungen über getötete Taliban. Aber wer kann schon sicher sagen, ob die Toten wirklich alle Taliban waren? Das Militär verschweigt „Kollateralschäden“ gerne. Umgekehrt haben die Taliban ein Interesse daran, die Zahl ziviler Opfer aufzubauschen.

Die Isaf unterhält zwar neuerdings ein „Civil Casualty Tracking Centre“, führt aber noch keine offizielle Statistik. Während getötete Soldaten säuberlich gezählt werden, kursieren zu den zivilen Opfern unterschiedliche Zahlen. Ein Problem ist die Guerilla-Strategie der Taliban. Die Rebellen tauchen oft in der Zivilbevölkerung unter.

Auch die Bundeswehr steht vor diesem Dilemma. Im Juli töteten deutsche Soldaten in Kundus einen jungen Zivilisten. Ein Kleinlaster soll auf ihre Stellung zugerast sein. Die Soldaten hätten das Fahrzeug mit Schüssen auf den Motorblock zum Stehen gebracht. Dabei sei der Jugendliche getötet worden. Bei einem ähnlichen Vorfall hatte ein Bundeswehrsoldat vergangenes Jahr bereits eine Frau und zwei Kinder getötet. Die Bundesregierung zahlte den Angehörigen Geld, um eine Blutrache zu vermeiden. Christine Möllhoff

Christine Möllhoff

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