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Polizisten am Eingang zum Oktoberfest im vergangenen Jahr. Mit Rucksackverbot und Kontrollen an den Eingängen soll die Wiesn dieses Jahr noch sicherer werden.

© dpa

Zivilschutz und Rucksackverbot: Mut zur Freiheit in Zeiten des Terrors

Was tun gegen Angst, wie bekämpft man ein Gefühl? Mit Waffen, sagen viele Bürger. Mit Überwachung, sagen Politiker. Alles Quatsch. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sidney Gennies

Wie geht man an gegen die Ohnmacht? Wie lässt sich die Angst vertreiben, wenn die Welt in Flammen steht? Nicht mehr nur in Nahost, nicht mehr nur jenseits des Atlantiks, sondern vor der eigenen Tür – wie bekämpft man ein Gefühl? Viele Deutsche haben darauf für sich eine Antwort gefunden: mit Waffen. Seit der Silvesternacht in Köln, dem Amoklauf und den Anschlägen in Bayern sind die Verkaufszahlen von Gas- und Schreckschusspistolen stark gestiegen, in der Drogeriekette „DM“ steht neben Badezusatz und Babynahrung jetzt auch Pfefferspray. Fast 300.000 Menschen in Deutschland besitzen inzwischen einen „kleinen Waffenschein“. Tendenz steigend. Fühlt sich schon jemand sicherer?

Wo Angst herrscht, ist die Ratio fern

In normalen Zeiten wäre es wohl auch kein großer Aufreger gewesen, dass das Bundeskabinett ein vor vier Jahren in Auftrag gegebenes Konzept für den Katastrophenfall beschließen will. Aber nach den Attentaten von Paris, Brüssel und Nizza sind dies keine normalen Zeiten. So verstärkte die Empfehlung, die Bevölkerung möge zehn Liter Trinkwasser pro Person und eine Wochenration Lebensmittel vorhalten für den Fall eines Angriffs, genau das Gefühl, das sie mildern sollte: Angst.

Und das in einem Land, dessen Bürger jedes Jahr sieben Millionen Tonnen unverdorbener Lebensmittel wegwerfen. Einfach in der Speisekammer lassen, dann ist für die Apokalypse vorgesorgt – so kann man das sehen. Aber das wäre eine rationale Sicht auf die Dinge, und wo Angst herrscht, ist die Ratio fern.

Die Angst ist real, die Bedrohung ist es nicht

Was Furcht aus einem Land machen kann, lässt sich in Israel beobachten. Bewaffnete Sicherheitskräfte vor jedem Supermarkt, Metalldetektoren am Busbahnhof, Soldaten mit Maschinenpistolen beim Picknick im Park. Ausnahmezustand als Alltag. Es gibt allerdings einen wichtigen Unterschied: Israel grenzt an feindliche Staaten, musste seit Staatsgründung acht Kriege führen, wird von der radikalislamischen Hisbollah mit Raketen beschossen, erlebt mit zahlreichen Mordanschlägen durch Palästinenser im eigenen Land gerade wieder so etwas wie eine dritte Intifada – und dafür sind die Israelis noch relativ gelassen.

In Deutschland hingegen ist zwar die Angst real, die Bedrohung aber ist es nicht. Zumindest ist sie nur abstrakt, wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagt. Tote bei islamistischen Terroranschlägen in Deutschland 2016: zwei, die beiden Attentäter. Das soll die Gefahr durch Terrorismus nicht klein reden, nur die Angst in Perspektive rücken.

Zur Wahrheit gehört außerdem, dass sich Anschläge nicht verhindern lassen. Nicht mit Burkaverbot, das in Frankreich seit 2011 gilt, nicht mit Waffengewalt, wie in den USA – dem mächtigsten Land der Welt – zu sehen ist. Dort fielen seit 2001 mehr als 3000 Menschen Attentaten zum Opfer. Immerhin nicht so viele, wie im gleichen Zeitraum durch Schusswaffen starben. Das waren mehr als 400.000. Und ganz sicher lässt sich Terror nicht mit Pfefferspray in den Griff kriegen. Aber das mulmige Gefühl vielleicht?

Es gibt auch einen anderen Weg

Thomas de Maizière scheint das zu hoffen, anders ist seine Forderung nach einem Rucksackverbot bei Großveranstaltungen nicht zu erklären. Nach Männern mit Bärten und Frauen in Burkas fügt der Innenminister also eine weitere Gruppe zur inoffiziellen Liste der grundsätzlich Terrorverdächtigen hinzu: Menschen mit Rucksäcken. Also potenziell alle. Und wo alle verdächtig sind, müssen auch alle überprüft werden. Insofern ist es zumindest konsequent, dass de Maizière Videoüberwachung mit Gesichtserkennung im öffentlichen Raum fordert. Man muss Orwell nicht gelesen haben, um nicht trotz, sondern wegen dieser Anti-Terror-Maßnahmen in Panik zu verfallen.

Es geht auch anders. Als 2011 in Norwegen Anders Breivik 77 Menschen ermordete, wandte sich Kronprinz Haakon wenige Tage später an sein Volk. „Wir wollen ein Norwegen, in dem Freiheit stärker ist als Angst. Heute Abend sind die Straßen mit Liebe gefüllt“, sagte er. Das war das Gegenteil von Angst: Mut.

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