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Politik: Zorn der Verzweiflung

"Gott steh uns bei, wenn der an die Macht kommt." Für sie wäre Obama eine nationale Katastrophe. Deshalb haben sie sich freiwillig gemeldet, um gegen ihn Wahlkampf zu machen. Aber sie ahnen die Vergeblichkeit ihres Tuns. Das macht manche von ihnen aggressiv. Unterwegs mit 60 McCain-Unterstützern

Es ist acht Uhr am Samstagmorgen, und der Times Square ist wie ausgestorben. New York dämmert noch müde dem Wochenende entgegen, doch Janet ist schon voll in Fahrt. Aufgeregt wippt die junge Frau auf der Armlehne ihres Sitzes hin und her und redet atemlos auf die anderen Passagiere ein, die an der Ecke zur 43. Straße in einem Reisebus auf die Abfahrt nach Pennsylvania warten. „Ihr habt alle die Debatte gesehen“, sagt sie, und ihre Stimme überschlägt sich dabei fast. „McCain hat doch eindeutig gewonnen oder nicht? Aber alle Zeitungen behaupten, Obama sei der Bessere gewesen. Da sieht man wieder, dass die Medien alle gekauft sind.“

Es ist eine Lieblingstheorie der amerikanischen Konservativen, dass die „Mainstream Media“ fest in der Hand der Linken sind und dazu entschlossen, einen Wahlsieg John McCains mit allen Mitteln zu verhindern. Deshalb hat die New Yorkerin in diesem Kreis auch keinen Widerspruch zu befürchten. Der Bus ist voller New Yorker Republikaner, die sich freiwillig dazu gemeldet haben, einen Tag lang 200 Kilometer westlich von Manhattan in den Pocono-Bergen für McCain Wahlkampf zu machen. „Obama hat bestimmt mal wieder seine Kumpane in den Redaktionen angerufen“, ruft eine Stimme zwei Sitzreihen weiter vorne zustimmend zurück. „Dieser Mann ist der heimtückischste Politiker aller Zeiten“, kommt es von hinten links.

Es ist der Zorn der Verzweiflung, der sich unter den etwa 60 Konservativen schon so früh am Samstagmorgen Bahn bricht. Im Grunde ahnen sie, dass sie womöglich einen verlorenen Kampf führen. Seit Wochen liegt Barack Obama in den nationalen Umfragen vor McCain, zurzeit mit fünf Prozentpunkten. In Pennsylvania, einem Staat, der lange als unentschieden galt, ist der demokratische Kandidat mittlerweile sogar mit 13 Punkten vorne. Trotzdem redet man sich im McCain Bus ein, dass die Expedition einen Sinn hat. „Die Umfragen sind doch genauso getürkt wie die Medienberichte“, glaubt Janet. Die kompletten zwei Stunden bis zur Ankunft in Scranton, einem Bergarbeiterstädtchen in den herbstbunten, waldigen Hügeln von Ost-Pennsylvania, lässt sie ihrem ihrem Zorn freien Lauf. Es dauert nicht lange, bis Janet ihre Theorie der Mediengleichschaltung noch einen Schritt steigert: Die straffe Organisation des Obama-Wahlkampfs, die Art, wie er die Massen mobilisiere und das im Klima einer Wirtschaftskrise – das erinnere doch alles sehr an Deutschland in den frühen 30er Jahren, wettert Janet und erntet dafür Zustimmung. „Gott steh uns bei, wenn der an die Macht kommt“, sagt eine hagere rothaarige Frau, die ein Sweatshirt mit dem Namenszug von Hillary Clinton trägt. Wie Obama mit korrupten und skrupellosen Machenschaften Hillary Clinton verdrängt habe, da habe man gesehen, wie gefährlich der schwarze Senator sei. Deshalb setze sie sich jetzt für McCain ein. Nur er könne Amerika noch vor Schlimmerem bewahren.

Auch Brad war Anhänger von Hillary Clinton, bis Obama die demokratische Vorwahl gewann, auch er ist jetzt im McCain-Lager. Brad ist schwarz, Ende 20 und promoviert in Wirtschaftswissenschaften. Er ist offensichtlich hoch gebildet und macht einen offenen Eindruck. Umso verblüffender ist, was er zum Besten zu geben hat. „Es ist doch erstaunlich“, doziert er während einer kurzen Atempause von Janet, „dass die Börse genau zu dem Zeitpunkt kollabiert ist, zu dem das Präsidentschaftsrennen ganz knapp aussah.“ Erst seit dem schwarzen Montag am 15. September habe Obama einen deutlichen Vorsprung in den Umfragen, und wenn man sich dann anschaue, dass Leute wie George Soros und Warren Buffett enge Freunde von Obama sind, dann müsse man nur eins und eins zusammenzählen. Für die reichsten Männer der Welt sei es sicher kein Problem gewesen, durch Manipulationen die Börse abstürzen zu lassen, um Obama einen Vorteil zu verschaffen. Die Tatsache, dass Buffett jetzt für den Finanzminister-Posten im Gespräch ist, sei doch der beste Beleg für diese Zusammenhänge.

Inzwischen ist der Bus, dessen Fensterscheiben die Wahlkämpfer von innen mit McCain-Papp-Schildern bepflastert haben, tief im Landesinneren. Langsam zuckelt der Wagen durch den dichten Ausflugsverkehr, der sich am vielleicht letzten schönen Wochenende des Jahres auf der Interstate 80 in Richtung Berge wälzt. Für die bunten Farben der Herbstwälder haben die McCain-Kreuzzügler jedoch keinen Blick. Noch erhitzter als am Morgen diskutieren sie jetzt, was Obama machen wird, wenn er an die Macht kommt.

Die vorsichtigste Prognose ist eine „Sozialdemokratie europäischen Musters“ – was in republikanischen Kreisen dem Stalinismus schon verdächtig nahe kommt. Janet hat allerdings noch eine andere Theorie. Es sei klar, dass Obama ein islamo-faschistisches Regime in Amerika errichten wolle. Von Wahlkampfspenden aus dem Nahen Osten will sie wissen, ebenso von einem anti-israelischen Berater der saudischen Königsfamilie, der Obamas Ausbildung mitfinanziert haben soll. Eine kleine Frau mit spanischem Akzent befürchtet noch Schlimmeres: Obama sei der Anti-Christ, meldet sie sich aus dem hinteren Teil des Busses zu Wort. Man müsse doch nur im Buch der Offenbarung nachschauen, um die Parallelen zu erkennen. Aber als gute Christin hat sie trotzdem Hoffnung: „Er wird letztlich besiegt werden. Allerdings erst durch göttliche Intervention.“

Noch hat der Anti-Christ jedoch nicht die Wahl gewonnen. Noch ist seine Herrschaft ohne den Eingriff von ganz oben zu verhindern und deshalb wirft sich die Gruppe hier mit Verve ins letzte Gefecht. In Scranton, wo der Bus um die Mittagszeit vor dem schlichten Ladenbüro der McCain-Kampagne vorfährt, gibt es, anders als etwa in der Staatshauptstadt Philadelphia, noch Hoffnung. Das Zentrum der einstigen Kohleabbau-Region mit seiner Bevölkerung aus irisch-, deutsch- und polnisch-stämmigen Arbeitern ist wie alle Gegenden, wo die Gewerkschaften einflussreich sind, zwar traditionell demokratisch. Mit Obama können sich den Umfragen zufolge jedoch noch nicht alle so recht anfreunden, obwohl sogar Obamas Vize Joe Biden aus Scranton kommt. Obama ist vielen zu elitär, zu intellektuell. Und – was jeder weiß, aber sich niemand zu sagen traut – zu schwarz.

Die Datenbank der örtlichen McCain-Leute mit mutmaßlich unentschlossenen Wählern ist deshalb riesig. Jeder der New Yorker Freiwilligen bekommt ein Klemmbrett mit rund 60 Adressen, bei denen er zu klingeln hat. Zu der Liste gibt es einen kurzen vorbereiteten Text, den die angereisten Klinkenputzer an der Türschwelle sprechen sollen. Es gilt es, so taktvoll wie möglich zu erfahren, ob der Wähler sich mittlerweile entschieden hat. Falls nicht, sind ein paar Stichworte dazu aufgelistet, mit welchen Themen man sie überzeugen könnte. Abtreibung zum Beispiel sei kein schlechtes Thema, erklärt Joan, die Leiterin des örtlichen McCain-Büros, bevor sie die Trupps in Zweiergruppen los schickt, schließlich sei dies eine tief katholische Region. Und natürlich, dass Obama die kargen Einkünfte der einfachen Leute angeblich zusätzlich besteuern wolle, um seine Regierungsprogramme zu finanzieren.

In der Elm Street steht praktisch jede Hausnummer auf der Liste der McCain-Wahlkämpfer. Die Elm Street ist ein Idyll der einfachen Leute am Rande von Scranton. Die schlichten, zweistöckigen Einfamilienhäuschen sind frisch gestrichen, die kleinen Rasenflächen davor sorgsam gemäht, der Bürgersteig sauber gefegt. Viele sind am Samstagnachmittag hier auf der Straße und waschen ihre Autos. Vor der Nummer 434 sitzt Judith Barnes im Jogginganzug auf ihrer Treppe und raucht in der milden Herbstsonne eine Zigarette. Ja, es stimme, sie sei noch unentschlossen, gibt sie zu, nachdem Janet ihren Text aufgesagt hat. Auf die Frage, warum sie noch überlege, nimmt Judith einen tiefen Zug aus ihrer Marlboro und hebt dann bedächtig an. Sie habe ihr ganzes Leben lang gearbeitet erzählt sie – unter Tage, in Fabriken, als Verkäuferin, zuletzt als Lagerarbeiterin. Jetzt sei sie 65, ihre Gesundheit sei ruiniert. Ihr Arzt habe ihr das Arbeiten verboten, und so müsse sie versuchen, sich mit Sozialhilfe durchzuschlagen. Aber das sei praktisch unmöglich. Sie versuche noch heraus zu bekommen, welcher Kandidat ihr in ihrer Situation helfen könne, sagt sie schließlich. Es klingt ziemlich hoffnungslos. Judith weiß, dass ihr wahrscheinlich niemand helfen wird.

Janet beirrt das jedoch nicht. Sie hebt zu einem langen Vortrag über McCains Wirtschaftspolitik an, darüber, wie die Steuerbegünstigungen für Unternehmen Arbeitsplätze schaffen und dafür sorgen werden, dass es in Scranton bald wieder allen besser geht. Zu guter Letzt gibt sie Judith noch die Kopie eines Artikels aus dem „Wall Street Journal“, der belegt, dass die Republikaner sich stärker als Demokraten für die gerechtere Entlohnung von Frauen einsetzen. Judith nimmt das Papier, faltet es und legt es neben sich auf die Treppenstufen. Was sie zu Janets Ausführungen sagen soll, weiß sie nicht so recht. Mit abwesendem Blick raucht sie still vor sich hin, bis die Wahlkämpferin sich schließlich verunsichert verabschiedet.

Zwei Häuser weiter ergeht es Janet nicht viel besser. Ein bulliger Mann mit Glatze und Ziegenbart, der sich als Gefängniswärter zu erkennen gibt, ist auch nicht davon zu überzeugen, dass McCain die Probleme von Scranton lösen kann. „Ich wähle den, der Amerika wieder aus diesem Schlamassel führen kann“, sagt er. Das traue er jedoch weder Obama noch McCain zu. Er werde aus Staatsbürgerpflicht zwar zur Wahl gehen, wahrscheinlich aber den unabhängigen Ralph Nader wählen. Für Janets Versuche, die Vorzüge von McCains Wirtschaftspolitik zu preisen, hat der Gefängniswärter nur wenig Geduld. Er lächelt sie an und verschwindet einfach stumm im Haus, während die New Yorkerin verzweifelt versucht, ihm etwas von Konjunkturspritzen und der Förderung umweltfreundlicher Kohleverbrennung zu erzählen.

Spätestens jetzt wird klar, warum viele Leute von Scranton noch immer unentschlossen sind. Sie spüren unmittelbarer als viele ihrer Landsleute, wie schlimm es um Amerika bestellt ist, und sie haben wenig Vertrauen, dass irgendjemand tatsächlich ihre Probleme lösen kann. Obama nicht und ganz bestimmt auch nicht McCain. Zu einem kurzen Wahlkampfauftritt von Cindy McCain in einer Turnhalle in Wilkes Barre, der Nachbarstadt von Scranton, kommen deshalb am Samstagabend auch außer dem New Yorker Bus bestenfalls zwei Dutzend Leute. Die Kandidatengattin kann nach ihren zwanzigminütigen Ausführungen über die Charaktervorzüge ihres Mannes beinahe jedem einzelnen ein Autogramm geben.

So ist die Stimmung im Bus auf der Heimfahrt nach New York auch wesentlich gedämpfter als am Morgen. Die meisten schauen still aus dem Fenster in die Dunkelheit oder halten ein Nickerchen. Als Harriet, die Organisatorin der Reise, durch den Gang läuft und fragt, wer am nächsten Wochenende wieder mitkommt, meldet sich kaum mehr jemand. Auch den letzten Aufrechten ist nach diesem Tag der Mut gesunken. Nicht einmal Janets Stimme tönt noch durch den Bus.

Sebastian Moll[Scranton, Pennsylvania]

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