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Synagoge in der Rykestraße in Berlin

© JEAN-PHILIPPE KSIAZEK/AFP

Zu wenig Engagement gegen Antisemitismus: Angriffe auf Juden sollten wir als Angriffe auf uns alle verstehen

Bundespräsident Steinmeier beteuert, dass der Kampf gegen Antisemitismus eine Frage der Selbstachtung sei. Hätte er doch recht! Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Wie recht der Bundespräsident doch hat. Zum jetzt kommenden und zu feiernden jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana schickt er diese Grußbotschaft: „Wir wollen ein starkes und selbstbewusstes jüdisches Leben in unserem Land. Wer es angreift oder beleidigt, greift uns alle an.“

Ja, wenn es mal so wäre. Wenn es alle als Angriff verstünden, was Juden in Deutschland passiert. Das ganze Jahr über. Beispiele gibt es täglich.9. Januar: „Streit in Lichtenberg. Ein Mann beschimpft seinen Nachbarn als „Judensau“, „Judenfotze“, „Judenwichser“ und „Falsches Judenpack“. Er droht: „Dann schick ich dir ein paar Leute vorbei, da träumt der Führer von.“ So berichtet es die Berliner Stelle RIAS, die „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“, und der Antisemitismusbeauftragte des Senats, Lorenz Korgel, sagt, dass es oft schon für einen Angriff ausreicht, wenn jemand durch einen Davidstern als Jude zu erkennen ist. Oder wenn er Hebräisch spricht.

Anita Lasker-Wallfisch, die die Shoah überlebt hat und gerade mit dem Nationalpreis ausgezeichnet worden ist, hat ihren Dank dafür mit einem Appell verbunden: dem Antisemitismus entgegenzutreten, wo immer er uns begegnet.

Und wo er uns überall begegnet. 25. September: Bekennende Juden-Hasser und Terrorunterstützer haben eine Genehmigung zum Rappen am Brandenburger Tor im Rahmen einer Pro-Palästina-Demonstration. Zwei Rapper, die in ihren Texten dazu anstacheln, Tel Aviv zu bombardieren; zwei, die Juden gerne „zertrampeln“ würden. Erst in quasi letzter Minute verbietet der Innensenator den Auftritt.

Und der Antisemitismusbeauftragte sagt: Der Auftritt hätte nie genehmigt werden dürfen – aber bei vielen Behörden in Berlin sei so etwas auch in Zukunft nicht auszuschließen.Ja, was alles passiert und was einem alles begegnet. Empörung tut not. Nicht zuletzt, wo doch der Bundespräsident sagt: „Wir werden ihm entgegentreten! Mit dem wiederauflebenden Antisemitismus werden wir uns niemals abfinden. Ihn werden wir bekämpfen – in unserem Land ebenso wie als Europäer in Europa. Das jüdische Leben in unserem Land zu schützen, ist für uns eine Frage der Selbstachtung.“ Hätte er doch recht.

Nicht zuletzt im neuen jüdischen Jahr muss sich viel verbessern. Müssen wir uns anstrengen, den an uns gerichteten Anforderungen gerecht zu werden.Nachtrag: Der Antisemitismusbeauftragte Berlins ist nur provisorisch ernannt. Er leitet ein Amt im Übergang: offiziell als „Ansprechperson beim Thema Antisemitismus“. Erst im nächsten Jahr soll – „nach ersten Erfahrungen“ – das endgültige Profil des Amts festgelegt und die Stelle neu besetzt werden. Zur Zeit ist sie organisatorisch schlechter ausgestattet und geringer entlohnt als die Tierschutzbeauftragte.

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