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Politik: Zuhören muss nicht sein

Ministerium will Bürokratie abbauen – Kritiker sehen weniger Bürgerbeteiligung

Berlin - Ob Stuttgart 21, der Neubau des Airports Berlin-Brandenburg oder die dritte Startbahn am Münchner Flughafen – Bürgerprotest gegen große Bauprojekte hat in Deutschland Konjunktur. Die Menschen ärgert, wie Absprachen augenscheinlich in politischen Hinterzimmern getroffen werden und dabei die Öffentlichkeit außen vor bleibt. Einige Politiker scheinen aber aus Stuttgart 21 gelernt zu haben: Großprojekte seien nur „im frühzeitigen und engen Dialog mit den Menschen umsetzbar“, sagte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Und der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hat nach dem Wirbel um den unterirdischen Bahnhof eine Beteiligungsinitiative im Bundesrat angekündigt.

Das Bundesinnenministerium dagegen hat jüngst einen Gesetzesentwurf geschrieben, der formal Bürokratie abbauen soll. Auf den 55 Seiten, die dem Tagesspiegel vorliegen, sollen aber auch Beteiligungsrechte der Bürger weiter eingeschränkt werden. Konkret geht es um das „Gesetz zur Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren“. Künftig soll eine öffentliche Erörterung während der Planungsphase eines Bauprojekts nicht mehr zwingend sein.

„Das ist ein Skandal“, sagt Olaf Band, Geschäftsführer beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Die Politik hat seit 1991 eine Serie von Gesetzen erlassen, die die Bürgerbeteiligung einschränken. Dass solch ein Entwurf jetzt nach Stuttgart 21 vorgelegt wird, setzt dem Ganzen noch die Krone auf.“

Das Innenministerium kann die Kritik nicht verstehen: Die Regelung gelte bereits für viele Fachgesetze und werde jetzt nur vereinheitlicht in das Verwaltungsverfahrensgesetz übertragen. „Bei den meisten Planfeststellungsverfahren steht die Ansetzung eines Erörterungstermins bereits jetzt im Ermessen der Behörden“, sagt Ministeriumssprecher Philipp Spauschus. Für die Masse der Fälle, zum Beispiel bei Bauvorhaben der Bahn oder bei Flughäfen, ändere sich mit dem Entwurf nichts. Auswirkungen hätte dieser aber beispielsweise auf das Bundesberggesetz und das Personenbeförderungsgesetz. „Gerade der Bergbau ist ein Bereich, in dem es immer wieder zu Eingriffen in Naturschutzgebiete kommt“, sagt Band. „Ohne zwingende öffentliche Erörterung kommt es hier zu einem ganz substanziellen Abbau von Bürgerrechten.“ Die geplante Gesetzes-Vereinheitlichung sei auf niedrigstem Niveau. Band: „Statt eine Kehrtwende zu machen und die Bürger wieder ernster zu nehmen, wird das niedrigste Beteiligungsniveau jetzt zum Standard. Das einzige Gespräch, das es hier zwischen Bürgern und Behörden noch gibt, wird weiter eingeschränkt.“

Das Innenministerium will mit dem Vorschlag nach eigenen Angaben aber etwas ganz anderes erreichen: die Bürokratie verschlanken. „Es geht darum, Prozesse in der Verwaltung zu beschleunigen und Verfahren zu vereinheitlichen. Wir wollen damit nicht die Rechte der Bürger ausklammern“, sagt Spauschus. So umfasst der Gesetzesentwurf konkretere Fristen für Anträge und Einwände als bisher. Auch sei der Entwurf keine grundsätzliche Absage an den Erörterungstermin: „Die Behörde muss sich in jedem Einzelfall Gedanken machen, ob die schriftlichen Stellungnahmen reichen – oder ob sich durch eine mündliche Erörterung weitere Erkenntnisse ergeben könnten.“

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) bewertet die Initiative als überwiegend positiv. „Es ist in puncto Bürokratieabbau genau der richtige Weg, den das Ministerium da beschreitet“, sagt Tine Fuchs, DIHK-Expertin für Planungsrecht. Bei der Bürgerbeteiligung wünscht sie sich allerdings auch Nachbesserungen: „Die Planungen für Bauvorhaben müssen so früh wie möglich öffentlich gemacht werden und dort die Bürger, die Wirtschaft und die Vorhabensträger einbeziehen.“ Für Transparenz müsse während des gesamten Verfahrens gesorgt werden – auch mithilfe von Diskussionen in Internetforen und auf Weblogs.

Der Transparenz verwehrt sich das BMI gar nicht, im Gegenteil: „Natürlich ist es bei Bauvorhaben wichtig, vorher Informationsarbeit zu leisten. Da steckt das Gesetz überhaupt keine Grenzen“, sagt Spauschus. Bundesrat und Bundestag hatten das Gesetz übrigens „zur Rechtsbereinigung“ gefordert – und zwar schon 2006.

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