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Außenminister Heiko Maas traf Präsident Jair Bolsonaro in der brasilianischen Hauptstadt Im April.

© Fabian Sommer/dpa

Zukunft des Kontinents: In Lateinamerika warten Geschäfte und globale Herausforderungen

Der Kontinent gilt als Wachstumsregion mit großem Potenzial – trotz aller Probleme. Deutschland will jetzt die Beziehungen intensivieren.

Brasilien

In Anlehnung an Stefan Zweigs berühmtes Buch gibt es in Brasilien den Scherz, dass man immer „ein Land der Zukunft“ bleiben werde. Schade nur, dass diese Zukunft nie komme. Tatsächlich bleibt Brasilien hinter den Erwartungen zurück. Es ist das größte, bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Land Lateinamerikas – und könnte eine der reichsten Nationen der Welt sein. Denn Brasilien hat alles: fruchtbares Land, Tausende Kilometer Küste, wichtige Rohstoffe wie Öl, Eisenerz und seltene Erden, quirlige Großstädte, gute Universitäten, den größten und artenreichsten Wald der Erde, mit São Paulo die wirtschaftsfreundlichste Einzelregion Lateinamerikas.

Leider macht Brasilien zu wenig daraus. Das hat strukturelle Gründe, etwa die extreme Ungleichheit. Hinzu kommen: eine absurde Bürokratie, hohe Abgaben ohne Gegenleistungen des Staats, Korruption sowie Protektionismus. Brasiliens neuer Präsident Jair Bolsonaro hat versprochen, die Korruption zu bekämpfen, die Bürokratie abzubauen und das Land wirtschaftlich zu öffnen. Für Letzteres ist Wirtschaftsminister Paulo Guedes zuständig. Er möchte am liebsten alle Staatsbetriebe privatisieren, die sich in wettbewerbsfeindlichen Monopolstellungen eingerichtet haben. Sollte es ihm gelingen, strukturelle Reformen, zum Beispiel die derzeit diskutierte Rentenreform, durch den Kongress zu bringen, könnte Brasilien einen Wirtschaftsboom wie in den Nullerjahren erleben. Bolsonaro, dessen infantiler und aggressiver Charakter dem Amt nicht angemessen ist, könnte seine Präsidentschaft so zu einem unerwarteten Erfolg führen.

Ein Mann schaut in Tijuana von mexikanischer Seite aus durch den Grenzzaun in Richtung USA.
Ein Mann schaut in Tijuana von mexikanischer Seite aus durch den Grenzzaun in Richtung USA.

© Alejandro Zepeda/EFE/dpa

Mexiko

Denkt man an Mexiko, kommen einem zwei Dinge in den Sinn: Drogenkartelle und Migranten auf dem Weg in die USA. Aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere lautet: Die zweitgrößte Nation Lateinamerikas mit ihrer wachsenden Mittelklasse weist enorm positive wirtschaftliche Rahmendaten auf. Die Weltbank hat Mexiko gerade wieder zum besten Land für Investoren in Lateinamerika erklärt. Weltweit heißt das Platz 54. Mit der Wahl des linken Andrés López Obrador zum Präsidenten hat Mexiko zudem gezeigt, dass seine Demokratie stabiler geworden ist.

Der Monopolanspruch der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) ist gebrochen. Sie regierte 88 der vergangenen 100 Jahre und etablierte die Korruption als Machtinstrument. López Obrador hat versprochen, sie zu bekämpfen. So hat er die Gehälter für hohe Offizielle gekürzt, darunter auch sein eigenes, die staatliche Autoflotte versteigern lassen und reist per Linienflug. Die Nähe zu den USA ist für Mexiko Fluch und Segen zugleich. Einerseits schotten die USA sich gegen Wanderarbeiter ab; andererseits hat Mexikos Wirtschaft einen schnellen Zugang zum US-Markt. Das Land profitiert hier vom Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (Nafta), das gerade neu verhandelt wurde. Seit Nafta-Beginn 1994 ist Mexiko zu einem der weltweit wichtigsten Industriestandorte geworden, etwa für Autos und Elektrogeräte. Was kaum jemand weiß: Hunderttausende Mexikaner kehren jedes Jahr aus den USA nach Mexiko zurück. Zur Wahrheit gehört leider auch, dass die hohe Kriminalität in Mexiko weiter zunimmt.

Kolumbien

Jahrzehntelang hatte Kolumbien einen verheerenden Ruf. Es galt als das Land von Kokain und Krieg. Dafür standen die Namen Pablo Escobar und Farc, die letzte große Guerillatruppe des Kontinents. Von diesen Klischees befreit sich Kolumbien seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit den Farc 2016. Ein Resultat: Der Tourismus boomt. Mehr als drei Millionen Reisende kommen nun jährlich ins Land. 2018 lag das Wachstum bei 9,4 Prozent, fast vier Punkte über dem globalen Durchschnitt. Es hat mit der Vielfalt des Landes zu tun: Karibikstrände, Andengipfel und Amazonaswald, Kolonialstädte und Kaffeedörfer. Stellvertretend für den Boom steht Medellín. Die Stadt entledigt sich des Images, Heimat des Drogenchefs Pablo Escobar gewesen zu sein und macht sich daran, IT-Kapitale zu werden. So kommt es, dass man sich im Stadtteil El Poblado wie in Berlin-Mitte fühlt. In Dutzenden Cafés und Restaurants sitzen sogenannte digitale Nomaden aus Europa und den USA an ihren Laptops.

Darüber hinaus ist Kolumbien laut Weltbank eins der drei wirtschaftsfreundlichsten Länder Lateinamerikas. Die großen Ratingagenturen S&P, Fitch und Moody’s stufen Kolumbien heute daher als stabil ein. Man muss auch betonen, wie großzügig Kolumbien seine Türen für die mehr als eine Millionen Flüchtlinge aus Venezuela geöffnet hat. Sollten sie aber dauerhaft bleiben, könnten sie das Land vor große Herausforderungen stellen. Weitere Unsicherheitsfaktoren sind das Erstarken paramilitärischer Gruppen, die Zunahme der Kokainproduktion und die schwankende Haltung des konservativen Präsidenten Iván Duque zum Friedensabkommen.

Bolivien

Es ist schon erstaunlich. Bolivien, das ehemalige Armenhaus Südamerikas, wächst seit Jahren stabil, hat die höchsten Wachstumsraten der Region. Für 2019 wird ein Wert von mehr als vier Prozent erwartet. Noch erstaunlicher: Bolivien wird seit 2006 von einem Sozialisten regiert – Evo Morales. Wie sinnbildlich für den Aufstieg steht das größte urbane Seilbahnnetz der Welt im Großraum von La Paz: zehn Linien, 33 Kilometer Länge, 200 Millionen Fahrgäste seit 2014. Für das „bolivianische Wunder“ gibt es verschiedene Gründe. Einer lautet: Bolivien hat sich vom sogenannten Fluch der Ressourcen befreit. Das Land ist reich an Rohstoffen, aber stets floss der Reichtum einzig in die Taschen ausländischer Konzerne. Das hat sich geändert. In den Rohstoffkonsortien des Landes hält der bolivianische Staat die Mehrheit.

Die Gewinne werden für notwendige Sozialprogramme oder Infrastrukturprojekte verwendet. Dieses Modell schreckt ausländische Investoren nicht ab. Das zeigt sich nun beim Lithium, unerlässlich für die Batterieherstellung. Bolivien hat die größten Lithium-Reserven der Welt, es könnte nach Erdgas bald sein zweitwichtigstes Exportprodukt werden. Und an der Förderung des Lithiums beteiligt sich auch Deutschland.

Argentinien

Vergangenen Herbst war der liberale Staatspräsident Mauricio Macri noch strahlender Gastgeber des G-20-Gipfels. Doch die galoppierende Inflation (2018: 48 Prozent) und Abstiegsängste könnten der linken Peronistin und Vertreterin einer protektionistischen Politik, Cristina Kirchner, bei der Wahl Ende Oktober zu einem Comeback verhelfen. Unternehmen wie Siemens setzen stark auf die drittgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas, bis 2020 soll das Geschäft verdoppelt und in den Bereichen Infrastruktur, Energie, Bahn tausende Jobs geschaffen werden. Macri will Argentinien zu einem der größten Exporteure im Agrar- und Lebensmittelbereich machen.

Ein Drittel der Arbeitsplätze hängt heute schon daran. Treiber sind Soja und Fleisch, aber mit zum Teil großen Umweltkonsequenzen durch den Einsatz von Pestiziden. Rein rechnerisch kann Argentinien dem Auswärtigem Amt zufolge schon 400 Millionen Menschen ernähren. Argentinien setzt beim Sojaanbau stark auf Gentechnik, der Fleischexport soll verzehnfacht werden. Große Hoffnungen werden in ein geplantes Freihandelsabkommen des Mercosur-Bundes, zu dem das Land gehört, mit der EU gesetzt. Entscheidend wird auch sein, ob die Krise überwunden wird. „Unerfüllte Versprechen eines Investitionsregens (...), einer erfolgreichen Inflations- und Armutsbekämpfung sowie das Ausbleiben eines deutlichen Wirtschaftswachstums führten dazu, dass sich vermehrt auch Wirtschaftsvertreter von der amtierenden Regierung abwenden“, schreibt die Adenauer-Stiftung in einer Analyse.

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