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Politik: Zum Abgewöhnen

DEUTSCHLANDS SCHULDEN

Von Antje Sirleschtov

Hand aufs Herz, wen hat es schon wirklich interessiert, dass Deutschland Ende letzter Woche gegen einen der wichtigsten europäischen Verträge verstoßen hat? Zum zweiten Mal in Folge bereits. Mit 3,8 Prozent des gesamten Sozialproduktes, so hat es der Finanzminister kurz und still nach Brüssel gemeldet, wird sich der Staatshaushalt in diesem Jahr neu verschulden. Immerhin rund 75 Milliarden Euro, das ist wahrlich kein Pappenstiel. Die Last des Schuldenberges ist bekannt – aber die mittlerweile 1,3 Billionen Euro drücken offenbar so schwer, dass man das lieber verdrängt. In den nächsten Jahren sind Milliardenzinsen dafür fällig – und zwar von unseren Steuern.

Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungsträger nehmen weit mehr neue Kredite auf, als es der europäische MaastrichtVertrag selbst für wirtschaftliche Krisenzeiten vorsieht – so war es im vergangenen Jahr, so ist es in diesem und wahrscheinlich auch im nächsten. Das wird heute eher akzeptiert als vor zwei oder drei Jahren. Wir brauchen das Geld, damit der Staat das Wachstum ankurbeln kann. Andere wichtige Wirtschaftsnationen, Amerika, England und Frankreich, machen es uns vor. Und letztlich droht auch keine Strafe. Wer wollte denn Deutschland und Frankreich verklagen, wenn 2004 das Drei-Prozent-Limit wieder überschritten wird? Die EU-Kommission hat die Vertragsverletzung bisher akzeptiert – sofern die angekündigten Reformen eingeleitet werden. Und sie ist sich selbst noch nicht mal einig darüber, ob der Stabilitätsvertrag nun dumm ist oder nicht.

Der Bundesregierung kann dieser öffentliche Gleichmut nur recht sein. Auch die Unionspolitiker an der Spitze der Landesregierungen äußern – abgesehen von wahltaktischen Zänkereien – weder Unmut noch geben sie ernsthafte Impulse für ein Ende der Schuldenpolitik. Sie sind ja alle beteiligt, am Geldausgeben genauso wie an der geschickten Bemäntelung des eigenen Unvermögens umzusteuern. Politik gilt nach wie vor als die Kunst, zur richtigen Zeit die richtigen Wählerschichten vor Unannehmlichkeiten zu bewahren. Hans Eichels kurze Spareinlage Ende der neunziger Jahre war nicht viel mehr als eine Kommunikationsstrategie, die aus der Mode ist.

Nach einem herbstlichen Konjunkturfeuerwerk und sprudelnden Steuerquellen sieht es in diesem Jahr nicht aus. Jedenfalls sprechen die Statistiken von Rezession, auch die weit blickenden Börsianer sind nicht gerade euphorisch. Das deutsche Defizit könnte zu Weihnachten leicht mehr als vier Prozent betragen. Aber ob 3,8 oder 4,3 – das ist für dieses Jahr eher von theoretischem Belang.

Doch mit Blick auf das kommende Jahr wirkt ein solcher Gleichmut geradezu fatal. Man muss kein Berufspessimist sein, um vorherzusehen, dass die Rahmendaten – Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit – eine neuerliche Verletzung des Maastricht-Vertrages anzeigen. Und dass die Reformen schon wieder zu Reförmchen zerredet werden. Dann wäre ein Defizit-Verfahren aus Brüssel fällig – eine Bankrotterklärung, wenn ausgerechnet Deutschland als erster Sünder bestraft werden würde. Oder würde eine solche Entwicklung die letzten Bindekräfte in Europa infrage stellen, würden Politiker aus Berlin, Paris und Brüssel diese Lage zum Anlass nehmen, den Maastricht-Vertrag nach ihrem Willen zu verformen?

Verhindern können eine solche Entwicklung nur die Deutschen selbst. Sie dürfen weder der Opposition das Lavieren und Neinsagen durchgehen lassen noch dem Kanzler, dass er eine „seriöse“ Finanzierung der vorgezogenen Steuerreform ankündigt und dann 2004 wieder nur Kredite aufnimmt. Die Öffentlichkeit darf es nicht akzeptieren, dass sich die Bundesanstalt für Arbeit ganze fünf Jahre zum Umbau ihrer Strukturen gönnt und die Gesundheitsministerin die Krankenkassen zur Streckung ihrer Kredittilgung auffordert, weil ihre eigene Gesundheitsreform nicht weiter reicht als bis übermorgen.

In diesem Herbst wird die Politik zeigen müssen, ob sie mehr kann als das gewohnheitsmäßige Abarbeiten der vorliegenden Gesetze in den altbekannten parlamentarischen Bahnen. Hans Eichels 3,8Prozent-Meldung nach Brüssel bleibt anstößig. Deshalb wäre es auch für Deutschland besser, wenn Strafe droht.

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