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Zum Abschied von Franz Müntefering: "Die Hoffnung hat getrogen"

Arnulf Baring, Edmund Stoiber und andere - Zum Abschied von Franz Müntefering vom Amt des SPD-Chefs am Freitag würdigen Parteifreunde, politische Weggefährten und ehemalige Konkurrenten die Leistungen des 69-Jährigen.

Bayerns früherer Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU):

"Respekt vor der politischen und persönlichen Leistung von Franz Müntefering, der der deutschen Politik einen markanten Stempel aufgedrückt hat. Als traditioneller Sozialdemokrat hat er den Wandel der Zeit erfasst und notwendige Reformen an gestoßen und umgesetzt. Ich denke besonders an die gemeinsam geleitete Föderalismuskommission oder an mutige Sozialreformen. Ähnlich wie bei Helmut Schmidt ist seine Partei einen staatsmännischen Kurs oft nicht mitgegangen. Ich wünsche Franz Müntefering vor allem Gesundheit. Und ich wünsche ihm, dass er nach dem Diktat des Terminkalenders persönliche Freiheit gewinnt und genießen kann."

Ex-SPD-Chef Hans-Jochen Vogel:

"Franz Müntefering ist der einzige Sozialdemokrat, der in zeitlichem Abstand zweimal Parteivorsitzender war. Beide Male nicht aus persönlichem Ehrgeiz, sondern um seiner Partei in schwierigen Situationen zu dienen. Gedient hat er ihr und dem Gemeinwesen auch in vielen anderen Funktionen. Dabei blieb er stets glaubwürdig, in seiner Sprache klar und knapp und seinen sozialdemokratischen Wurzeln verhaftet. Jetzt zieht er für seine Person die Konsequenz aus seiner Wahlniederlage, die er wahrlich nicht allein zu vertreten hat. Das ehrt ihn. Und auch das ist ein Element seiner Lebensleistung, für die ich ihm meinen großen Respekt bekunde."

Grünen-Chefin Claudia Roth:

"Franz Müntefering ist ein großer, ein Ur-Sozialdemokrat. Zu rot-grünen Zeiten war er Halt und Stütze auch in stürmischen Zeiten. Er war dabei ein anständiger, wenn auch nicht immer einfacher Partner. Nach dem abrupten Abschied von Gerhard Schröder hat er die SPD sehr schnell in eine große Koalition geführt. Ich hätte ihm und uns gewünscht, dass darüber die Suche seiner Partei nach der sozialdemokratischen Identität nicht zu kurz gekommen wäre. Die Antwort, was moderne Sozialdemokratie heute bedeutet, steht noch aus. Zum Abschied wünsche ich ihm Glück und Gelassenheit und eine SPD, die sich erinnert, wie viel sie ihm verdankt. Er wird jetzt vielleicht erleben, dass Opposition nicht zwangsläufig Mist sein muss."

Arnulf Baring, Historiker:

"Als ich Müntefering vor Jahrzehnten kennen lernte, empfand ich ihn als typisch sozialdemokratischen Funktionär. Während der Schröder-Regierung schätzte ich ihn mehr und mehr. Ich fand, dass er zum Staatsmann wurde, die Interessen, die Zukunft des Landes wichtiger nahm als die Gefühle der Partei. Seine Autorität wuchs, die Hochachtung auch. Als er zu seiner sterbenden Frau eilte, war das Mitgefühl für ihn groß, weil er das Persönliche über seinen politischen Ehrgeiz stellte. Aber auch schon damals mag politische Resignation eine Rolle gespielt haben. Als er nach dem Tode seiner Frau in die Politik zurückkehrte, versprach ich mir davon eine Konsolidierung der von Selbstzweifeln geschüttelten Partei. Diese Hoffnung hat getrogen. In der SPD gerieten geachtete Spitzenrepräsentanten wie Clement und Steinbrück an den Rand, auch Müntefering. Als ich ihn Anfang dieses Jahres sah, hatte ich den Eindruck, dass er seine Wirkungsmöglichkeiten bezweifelte. Offensichtlich lief alles auf andere zu."

Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister von Neukölln:

"Franz Münteferings Füße haben ihn nicht selten nach Neukölln getragen. Hierher, wo Menschen leben, die wie er das Herz auf dem rechten Fleck haben, die seine Sprache verstehen und deren Sorgen und Nöten sein politisches Handeln immer gegolten hat. Er hat uns stets verstanden und ernst genommen. Deshalb haben wir uns bei ihm gut aufgehoben gefühlt und dich gern bei uns gehabt. Farvel Kapitän!"

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU):

"Franz Müntefering hatte mich damals als Kabinettsneuling wirklich überrascht. Keine Spur mehr von dem polarisierenden Hardliner, den ich noch aus dem Wahlkampf kannte, sondern ein Mann, der die Probleme sah und an pragmatischen Lösungen für das Land interessiert war. In unserer gemeinsamen Zeit am Kabinettstisch habe ich ihn als sehr zuverlässig, sachlich und fair erlebt. Er war ein stabilisierendes Element auf der SPD-Seite der Regierung, das ich in der Endphase der großen Koalition häufig vermisst habe."

Hans Olaf-Henkel, Ex-Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie:

"Für mich ist Franz Müntefering untrennbar mit Begriffen wie "Agenda 2010" und "Hartz" verbunden. Wären diese Reformen früher eingeleitet worden, hätte nicht Angela Merkel sondern er und Gerhard Schröder die Früchte in Form neuer Arbeitsplätze und eines Wahlsieges 2005 ernten können. Aber festzuhalten ist: ohne Münteferings Mut und ohne seine Überzeugungsarbeit in der SPD wäre am einbetonierten Arbeitsmarkt gar nichts passiert. Bis heute nicht, wie man am schwarz-gelben Koalitionsvertrag unschwer erkennen kann. Auch sein Vorstoß zur "Rente mit 67" nimmt sich aus heutiger Sicht geradezu tollkühn aus, angesichts des Populismus, mit dem Schwarz-Rot auch bei sinkenden Realeinkommen der Beschäftigten ein entsprechendes Absenken der Rente gesetzlich verboten hat.
Trotz seiner kreativen Wortbeiträge zu einigen Auswüchsen in der Wirtschaft ("Heuschrecken"), ließ er auch in seiner Partei nie einen Zweifel an der Überlegenheit der sozialen Marktwirtschaft. In der Wirtschaftskrise den "demokratischen Sozialismus" wieder aus der Mottenkiste zu holen, überließ er den Linken und der Linken. Mein persönlicher Eindruck von ihm: umgeben von vielen Ideologen und sogenannten Querdenkern, war Franz Müntefering immer einer der wenigen "Geradeausdenker" in seiner Partei. Umzingelt von Intriganten und Machtgierigen, hatte er etwas Unbestechliches, Geradlieniges und Authentisches. Er blieb sich treu."

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