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Politik: Zum Davonlaufen

Von Gerd Appenzeller

Eine Volkspartei, die niemand wählt, ist wie ein Volkswagen, den niemand kauft. Wenn in Wolfsburg die Absatzzahlen einbrechen, kommt der VW-Vorstand ins Grübeln. Sind wir zu teuer, halten wir unsere Werbeaussagen nicht ein, bauen wir das falsche Auto, oder geht daran zu viel kaputt? Wenn, wie die jüngste Forsa-Umfrage signalisiert, die Bürger, sollten jetzt Wahlen sein, den beiden großen Volksparteien zusammen nur noch 57 Prozent der Stimmen geben würden, stimmt das die Führungen von Union und SPD besorgt. Haben andere bessere Angebote, glaubt das Volk unseren Versprechungen nicht mehr und bleibt deshalb am Wahltag zu Hause, machen wir zu viel kaputt?

Den Vergleich zwischen Autos und Parteien sollte man nicht überstrapazieren. Aber er hilft, die Dinge zu verstehen. In beiden Fällen gilt zum Beispiel: Man sollte die Menschen, die eine Partei nicht mehr wählen, genauso wenig beschimpfen wie jene, die ein Auto nicht mehr kaufen. Vermutlich stimmt in beiden Fällen irgendetwas am Produkt nicht mehr. Deshalb ist es auch gut, wenn sich Union und Sozialdemokraten jetzt fragen, wo sie programmatisch überhaupt hinwollen. Die Wähler wissen das nämlich nicht mehr. Die Parteien sind in ihren Aussagen unzuverlässig geworden. Sie tun nach der Wahl Dinge, die sie vor der Wahl zu unterlassen versprachen, und sie unterlassen genau das, weswegen sie eigentlich gewählt wurden. Das sind schwere Fehler, die das Parteipersonal an der Spitze macht. Die Führungsschicht, die nicht führt. Wundert sich da ernsthaft jemand, dass den Volksparteien die Wähler davonlaufen?

Eigentlich sind Wähler ganz normale Menschen. Sie möchten gemocht werden, und die meisten von ihnen wollen nicht mehr als ein friedliches Leben. Sie schätzen es, wenn man sie ernst nimmt, und nicht nur dann auf sie hört, wenn man etwas von ihnen will. Überhaupt möchten sie nicht zu oft enttäuscht werden, sonst suchen sie sich andere Freunde. Und sie schauen auch gerne zu jemandem auf, von dem sie glauben, er sei fähiger und erfolgreicher. Auf dessen Rat hören sie sogar.

Wenn man sich zu diesen positiven Einschätzungen das jeweilige negative Pendant vorstellt, begreift man, warum die Volksparteien so viele Wähler verlieren. CDU und SPD sind sich selbst und untereinander nicht mehr einig, wie man mit den großen gesellschaftlichen Problemen umgehen soll. Die CSU lassen wir hier einmal beiseite, sie weiß fast immer alles besser, aber es funktioniert außerhalb von Bayern nicht so gut.

Die Deutschen haben, anders als etwa die Franzosen, verstanden, dass sich vieles ändern muss. Das sollte es der Politik leicht machen, wenn sie uns mit Zumutungen kommen muss. Wir, die Bürger, haben eigentlich nur eine Bedingung: Es muss gerecht zugehen. Viele Menschen zweifeln, ob das so ist. Und deshalb wählen sie eben nicht mehr.

Die Welt ist kompliziert, also sollte die Politik sie nicht noch schwerer verständlich machen. Das Vokabular zur Gesundheitsreform oder Hartz IV ist so abenteuerlich, dass man Fernsehnachrichten über diese Themen nicht mehr begreift. Und manchen Text in der Zeitung dazu wohl auch nicht. Politiker nennt man aber auch Volksvertreter. Sie haben sogar jetzt, in der Krise der Volksparteien, überall Erfolg, wo sie nahe bei ihren Wählern sind. Die Berliner CDU hat das bei den letzten Wahlen in Reinickendorf und in den Mahlsdorfer Siedlungsgebieten gemerkt, der SPD wurde es in Pankow und in der Rosenthaler Vorstadt vom Wähler honoriert. Früher hat man das Graswurzeldemokratie genannt, weil unser Gemeinwesen von unten wachsen muss.

Mit dem schwindenden Vertrauen in die Volksparteien ist es wie mit einer bekannten Krankheit, gegen die es verlässliche Medikamente gibt. Man muss sie nehmen und die Ratschläge des Arztes beherzigen. Zum Beispiel den, auch mal zu sagen: Da und da haben wir uns geirrt. Und nicht zwei Irrtümer zusammenzupacken und das Ergebnis dann Konsens nennen. Vor allem aber muss die Politik wieder definieren, was diese Gesellschaft zusammenhalten soll, und nicht immer beklagen, was sie trennt.

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