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Niemand trägt so viel Verantwortung wie eine Mutter.

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Zum Muttertag: Aufklärung statt Verklärung

Kaum jemand trägt so viel Verantwortung und wird zugleich so schlecht bezahlt wie Menschen mit mütterlichen Aufgaben. Nicht mythische Mütter, sondern gelingende Mütterlichkeit ist wichtig. Ein Kommentar.

Von Caroline Fetscher

Ach, die Mütter. Analoger ist keine Beziehung. Im Leib der Mütter wachsen lebendige Menschenkinder heran, aus dieser Höhle müssen sie ans Licht. Das war so in der Frühzeit der gesamten Gattung, das ist so bis heute und das bleibt erst mal so, egal wie digital und medial sich der Alltag transformiert.

So existenziell diese Geschichte für die Gattung ist, so sehr nimmt deren symbolische Ambivalenz in der Gegenwart zu. Mütter scheinen kaum kompatibel mit einer Ära, die Distanz und Kontrolle via Bits, Bytes und Klicks suggeriert. Beim Kind, dem neu auf die Welt gekommenen zumal, gibt es kein Abschalten, Einschalten, Zappen. Nähe und Abhängigkeit gehören zum Setting der Mütterlichkeit. Das ist alles andere als cool.

„Mutter“ ist der Terminus für eine Frau, der ein weiteres, von ihr auf die Welt gebrachtes Wesen namens „Kind“ zugehört. Als ihr der „Muttertag“ gewidmet wurde, sollte es um diese Frau selber gehen, um ihre Rolle und Funktion, um den Respekt für ihre Aufgabe – ein Wort, das hier, wie selten sonst, doppelt Sinn ergibt. Denn aufgeben, zumindest phasenweise, musste und muss die Mutter gewordene Frau sich und ihre Bedürfnisse.

Erst wird der Mensch bemuttert, dann muss er sich entmuttern, in einer zweiten, sozialen Geburt, der Nähe entwachsen, um erwachsen zu werden. Daraus entfaltet sich ein Fächer von Ambivalenzen – für beide, Mutter wie Kind. Mütter! Vor abertausenden therapeutischen Ohren klagen, fragen, raunen die Söhne und Töchter der Moderne ihren Refrain: Die Mutter, die Mutter, die Mutter! Nur zu oft ist die Beschwerde fundiert, Mütter können monströs sein. „Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit / Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit / Von ihnen sprechen ist Verlegenheit. / Die Mütter sind es!“ So weit Goethes Mephistopheles, der den aufgeschreckten Faust gleich noch tückisch fragt: „Schaudert’s dich?“ Von dort geht’s dann stracks zur Hexenküche – und gerade davon wollen wir weg.

Kaum jemand trägt so viel Verantwortung

Am programmatischen „Tag der Mutter“ lässt sich mit viel Recht die Frage nach Aufklärung statt Verklärung stellen. Nicht die mythische Mutter, sondern gelingende Mütterlichkeit ist dafür der Schlüssel. Jenseits der idealisierten biologischen Mutterschaft kommt es für Menschenkinder auf die reale Erfahrung gelingender Mütterlichkeit an. Wie realitätstüchtig, kreativ und lebensfroh jemand wird, das belegt die Forschung, daran hat die frühe Sozialisation enormen Anteil.

Gelingende Mütterlichkeit vermittelt Geborgensein, die Fähigkeit, Spannungen zu lösen, dem Schlaf zu trauen und dem Wachsein. Missglückte frühe Nähe kann einengen, klebrig wirken, aggressiv machen und lebenslang den Schlaf stören. Gute frühe Erfahrungen sind für Ungeborene, Neugeborene und Kleinkinder, Menschen in der empfänglichsten und empfindlichsten Phase ihrer Entwicklung, elementar – und damit sind sie es für die gesamte Gesellschaft. Sie muss die Bedingungen für diese Möglichkeit wollen und schaffen. Sie unterlässt das.

Kaum jemand trägt so viel Verantwortung und wird zugleich so schlecht bezahlt wie Menschen mit mütterlichen Aufgaben: Hebammen, Eltern, Leute, die in Kindergärten und an Grundschulen arbeiten. Das Gedöns ist noch immer Gedöns. Verklärt wird die irreale Muttertagsmutter, gedisst die uncoole Stillende im Café, gestresst die hektische Alltagsmutter. Der Weg zu mehr Glück ist klar. Der politische Wille, ihn zu gehen, fehlt.

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