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Politik: Zum Schmerz noch Schikane?

Von April an müssen Schmerzpatienten jedes halbe Jahr zum Psychiater – und ihre Ärzte sollen deutlich weniger verdienen

Berlin - Auf Heilung braucht Hubert Holzer (Name geändert) nicht mehr zu hoffen. Bei einem Arbeitsunfall vor 20 Jahren wurde dem heute 62-Jährigen die Hüfte zertrümmert, nach einer missglückten Operation traten Nervenschäden auf. Seither leidet Holzer unter chronischen Schmerzen. Doch dafür einen versierten Mediziner zu finden, war nicht einfach. Drei Jahre lang suchte der Leidende in seiner Heimatstadt Heilbronn nach einem Schmerzarzt. Fuhr, als er ihn gefunden hatte, zweimal wöchentlich 260 Kilometer in dessen Praxis nach Göppingen. Und nach seinem Umzug ins Berliner Umland ging die Odyssee von vorne los. „Ich bin wieder von Pontius zu Pilatus geirrt.“

Inzwischen ist Holzer in guten Händen – und muss fürchten, dass ihm das alles erneut wegbricht. Der Grund: Zum 1. April tritt eine Vereinbarung zwischen Ärzten und Krankenkassen in Kraft, die nach den Worten des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie „von Laien gemacht ist“ und für seine Kollegen der „Ruin“ wäre. „Qualifizierte Schmerztherapie wird es damit nicht mehr geben“, ist sich Gerhard Müller- Schwefe sicher.

„Mein Arzt hat angekündigt, dass er zwei Drittel seiner Kassenpatienten rausschmeißen muss“, sagt Holzer. Mit der künftigenVergütung machten die ausschließlich schmerztherapeutisch arbeitenden Ärzte laut Müller-Schwefe im Schnitt 25 000 Euro Miese pro Quartal. Hinzu kommen Vorschriften, die viele Patienten als Schikane empfinden. So sollen sie sich künftig nach sechs Monaten Schmerztherapie einer psychologischen oder psychiatrischen Begutachtung unterziehen. Und nach zwei Jahren Behandlung müssen sie sich einen neuen Arzt suchen. „Man serviert uns ab und unterstellt uns Simulantentum“, ärgert sich Holzer.

Hinter den Vorgaben stecke „offenbar der Gedanke, dass der Schmerz „nur Ausdruck einer anderen Krankheit ist, die irgendwann mal geheilt sein muss“, meint Müller-Schwefe. Dies lasse auf völlige Unkenntnis schließen. Bei den rund zwei Millionen Menschen in Deutschland, die eine Schmerztherapie benötigen, sei der Schmerz längst zur eigenständigen chronischen Krankheit geworden. „Zuckerkranken würde man auch nicht zumuten, alle zwei Jahre den Arzt wechseln zu müssen.“

Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) versteht man die Aufregung nicht. „Die Schmerztherapie wird nicht zusammenbrechen, sondern sich verbessern“, behauptet Sprecher Roland Stahl. Mit der neuen Vereinbarung bekämen erstmals alle Patienten Anspruch auf Schmerztherapie. Bislang seien viele außen vor, die Versorgungsverträge nur auf einzelne Kassen und Regionen beschränkt. Allerdings könne man nicht mehr verteilen, als man habe. „Die finanzielle Decke ist eng“, sagt Stahl – für eine bessere Versorgung müssten die Krankenkassen mehr Geld locker machen. Auch Schikanen will der KBV-Sprecher nicht sehen. Von psychiatrischer Mitbehandlung profitierten die Patienten, „ich als Betroffener würde das begrüßen“. Und der verordnete Arztwechsel werde dramatisiert. Tatsächlich sei vorgesehen, die Therapie nach zwei Jahren vor einer „Schmerzkommission“ mit externen Experten überprüfen zu lassen. „Im Sinne der Qualitätssicherung müsste das doch einsichtig sein.“

Die Schmerzärzte wollen die Vereinbarung nicht unterzeichnen. Doch auf die große Konfrontation läuft es zunächst nicht hinaus. Er habe Änderungen zugesichert bekommen, sagt Müller-Schwefe. Daher werde man am ursprünglichen Plan, vom 1. bis 10. April alle Praxen aus Protest zu schließen, nicht festhalten. Doch bei der KBV hört sich das Entgegenkommen anders an. „Wenn sich herausstellt, dass sich Ärzte wegen Einkommenseinbußen tatsächlich aus der Schmerztherapie zurückziehen müssen, dann wird nachverhandelt“, sagt Sprecher Stahl. Zunächst aber müsse man die Neuerungen „zwei bis drei Quartale wirken lassen“.

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