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Horst Herold, ehemaliger Chef des Bundeskriminalamtes, ist im Alter von 95 Jahren gestorben.

© dpa

Zum Tod von Horst Herold: Er hat Sicherheit neu definiert

Horst Herold war Chef des Bundeskriminalamts, als die RAF das Land terrorisierte. Das Land hat ihm viel zu verdanken. Ein Nachruf.

Von Frank Jansen

Sie rumoren noch, die versprengten letzten Terroristen der Roten Armee Fraktion. Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg haben seit 2011 in Norddeutschland mit Panzerfaust und Schnellfeuergewehr neun Raubüberfälle verübt, etwa 400.000 Euro erbeutet – und können bis heute nicht gefasst werden. Offenbar braucht das Trio im Alter von 50 bis 64 Geld für den Ruhestand im Untergrund. Klassischer Terrorismus ist das wohl nicht mehr, dennoch flackert mit jedem Raub der Schrecken einer blutigen Epoche wieder auf.

Da war was, von den 1970er Jahren bis in die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung. Eine Ära linksextremen Terrors, die heute vom „Islamischen Staat“, von Al Qaida und auch dem NSU überblendet wird. Und fast weg aus der öffentlichen Wahrnehmung ist der Mann, der die computergestützte Bekämpfung des Terrorismus in der Bundesrepublik erfunden hat. Der Sicherheit neu definierte. Weil die Freiheit in Gefahr war.

Horst Herold. Legendärer Präsident des Bundeskriminalamts von 1971 bis 1981. Der härteste Gegner der RAF, die bis zu ihrer Auflösung 1998 insgesamt 34 Menschen ermordet hat. Diesem Mann hat das Land viel zu verdanken. Ohne es ihm angemessen gedankt zu haben. In Nürnberg ist er jetzt im Alter von 95 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben. Die Bundesrepublik verliert eine der prägenden, aber auch eine der tragischen Figuren ihrer Geschichte.

Der Vorwurf: Er wolle den Überwachungsstaat

Der gebürtige Thüringer war selbst einmal Linker, bevor er zum Feindbild der Linken wurde. Ablehnung bis Hass schlug Herold nicht nur aus dem Umfeld der RAF entgegen, auch Linksliberale kritisierten ihn scharf und unterstellten ihm, er wolle die Republik in einen Überwachungsstaat verwandeln. Mit Methoden wie der Rasterfahndung, die Herold erfand. Um der Professionalität der Terroristen überlegen zu sein.

Der Kriminalist mit der markant klobigen Brille ließ sich nicht beirren. Er baute das eher betuliche BKA zu einer effizienten Polizeibehörde um, bald galt er als „Mister Computer“. Herold schuf 1972 die Datenbank Inpol, sie war ein innovatives Instrument und bedeutete einen Modernisierungsschub für das BKA und die Polizei bundesweit. Mit den umfangreich gespeicherten Angaben zu Terroristen und anderen Schwerkriminellen wurde die Suche nach Tätern und Tatverdächtigen revolutioniert.

Inpol war die Basis für die Rasterfahndung, bei der zentrale Merkmale gesuchter Personen mit Teilen der Bevölkerung abgeglichen werden. Um die Tatverdächtigen herauszufiltern. Und Herold pumpte das BKA auf. In seiner Amtszeit verdreifachte er die Zahl der Mitarbeiter und verfünffachte den Etat. Schon früh hatte Herold Erfolg. Aber es folgten auch schwere Niederlagen.

Im Juni 1972 gelang nur wenige Wochen nach einer Serie von Anschlägen der RAF die Festnahme ihrer führenden Köpfe. Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe wurden in Frankfurt am Main gefasst, Gudrun Ensslin in Hamburg und Ulrike Meinhof in Langenhagen bei Hannover. Das war die Kerntruppe. Herold und das BKA wurden gefeiert.

Doch die RAF war zählebig. Es bildeten sich neue Generationen selbsternannter Stadtguerillas. Und es entstanden weitere Untergrundgruppen, in Berlin war es die „Bewegung 2. Juni“. Herold konnte den Terror eindämmen, nicht besiegen. Schlimmer noch: Trotz intensiver Fahndung gelangen vor allem der RAF spektakuläre Angriffe. Im April 1977 ermordete ein Kommando in Karlsruhe den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback, dessen Fahrer Wolfgang Göbel und den Leiter der Fahrbereitschaft der Bundesanwaltschaft, Georg Wurster. Herold verlor mit Buback einen seiner engsten Mitstreiter. Am Grab des Chefanklägers der Republik versprach der BKA-Präsident, „ich bringe sie Dir alle“.

Schleyer beschimpfte ihn in einer Videobotschaft

Es folgten weitere, grässliche Rückschläge. Im Juli 1977 erschoss die RAF in Oberursel (bei Frankfurt) den Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto. Im September entführte ein Kommando in Köln den Präsidenten des Bundesverbandes der Arbeitgeber, Hanns Martin Schleyer, und tötete drei Personenschützer sowie Schleyers Fahrer. Die Terroristen wollten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und acht weitere inhaftierte Genossen freipressen. Herold brachte den BKA-Apparat zum Vibrieren, um die Entführer zu finden und Schleyer zu befreien. Es misslang. Wegen einer Panne. Die Meldung eines Polizeihauptmeisters zu einer verdächtigen Wohnung in Erftstadt-Liblar bei Köln war der richtige Tipp, ging aber verloren. Wäre der Hinweis in einem weiteren von Herold entwickelten Fahndungssystem angekommen, dem Pios („Personen, Institutionen, Objekte, Sachen“) hätte Schleyer gerettet werden können. Das BKA verarbeitete in der Zeit der Entführung 70.000 Hinweise. Damals eine gigantische Leistung. Aber ohne den einen Treffer.

Herold musste hinnehmen, von der Geisel in einer Videobotschaft der RAF beschimpft zu werden. „Ich bin nicht bereit, lautlos aus diesem Leben abzutreten, um die Fehler der Regierung und die Unzulänglichkeit des hochgejubelten Chefs des Bundeskriminalamts zu decken“, sagte Schleyer in die Kamera der Terroristen. Am 19. Oktober wurde er von dem RAF-Kommando erschossen. Zuvor hatten sich im Hochsicherheitsgefängnis in Stuttgart-Stammheim Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe umgebracht, nachdem die GSG 9 in Mogadischu eine von Palästinensern aus „Solidarität“ mit der RAF entführte deutsche Passagiermaschine gestürmt hatte.

2004 dann das Bundesverdienstkreuz, ein später Dank

Der „Deutsche Herbst“, wie die grausigen Wochen in September und Oktober 1977 in den Geschichtsbüchern heißen, war vorbei. Herold wollte Konsequenzen ziehen und die Informations- und Kommunikationssysteme des BKA weiter ausbauen. Das ging dem damaligen Innenminister Gerhart Baum (FDP) zu weit. Herold musste 1981 gehen. Mit 57 Jahren. Es war nicht die einzige Demütigung.

Der Ex-BKA-Präsident plante, sich mit einer neuen Identität in den USA niederlassen. Er durfte nicht. Das Bundesinnenministerium wollte ihn im Auge behalten, wohl nicht nur wegen der Gefahr eines Attentats der RAF. Herold bekam ein Areal auf dem Gelände einer Bundesgrenzschutzkaserne im oberbayerischen Rosenheim zugewiesen. Dort wurde ein Bungalow errichtet. Die Kosten für Immobilie und Hausbau musste Herold tragen, es waren 600.000 D-Mark. Erst 2017, nach dem Tod seiner Frau, kehrte er in seine frühere Heimat Nürnberg zurück.

Er sei „der letzte Gefangene im Volksgefängnis der RAF“, soll Herold über seinen eingehegten Ruhestand gesagt haben. Er schrieb viele Fachartikel und konnte doch kaum verwinden, wie man ihn abserviert hatte. 2004, es waren bereits 23 Jahre seit dem Abschied vom BKA vergangen, erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband. Erst ein Jahr zuvor hatte das BKA das von Herold konzipierte Informationssystem Inpol durch „Inpol neu“ ersetzt. Mehr als drei Dekaden hatte Inpol gehalten. Es war ein Symbol der Tatkraft des bedeutendsten Kriminalisten in der Geschichte der Bundesrepublik.

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