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Politik: Zum Wohl der Eltern – zum Tod des Kindes

Im ersten Untersuchungsbericht zum Fall Kevin verschärft Bremens Justiz-Staatsrat Vorwürfe

So etwas kann niemand verstehen. „Ja, warum?“, wiederholt Bremens Justiz- Staatsrat Ulrich Mäurer den Ausruf eines Reporters. „Diese Frage ist für uns so nicht zu beantworten.“ Der Verwaltungschef des Bremer Justizressorts hat zwar alle Jugendamtsakten über den zweieinhalbjährigen Kevin studiert und erläutert an diesem Dienstag seinen ersten Untersuchungsbericht. Aber warum sich der Sachbearbeiter des Jugendamts „immer wieder massiv dafür eingesetzt hat“, dass das Kind bei den drogensüchtigen Eltern bleibt, statt es in ein Heim oder eine Pflegefamilie zu geben – das kann Mäurer anhand der bloßen Aktenlage nicht beurteilen. Erst die geplanten Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft und durch einen Untersuchungsausschuss, den die Bremer Bürgerschaft am Donnerstag einsetzen will, können das vielleicht klären.

Dennoch ist für Mäurer schon klar: Hätte sich das Jugendamt an die Vorschriften für den Umgang mit Kindern von Drogensüchtigen und Methadon- Empfängern gehalten, „hätte der Tod von Kevin verhindert werden können“. Denn demnach hätte das Wohl des Kindes klar Vorrang haben müssen vor dem Wohl der Eltern.

Mäurer schreibt in dem 57-Seiten-Bericht von „Eltern“ oder „Vater“. Doch der Lebensgefährte der im November 2005 gestorbenen Sandra K., Bernd K., in dessen Wohnung am 10. Oktober Kevins teilweise verweste Leiche gefunden wurde, war nicht der leibliche Vater des Jungen. Das hat jetzt eine DNA-Analyse ergeben. Dass K. sich schlecht um den Jungen kümmerte, hätte das Jugendamt nach Mäurers Bericht viel früher erkennen können: „Es gab zahlreiche Hinweise unterschiedlicher Stellen, dass zu mehreren Zeitpunkten seit der Geburt des Kindes erhebliche Gefährdungslagen bestanden.“

Sogar als Kevin mit Knochenbrüchen in eine Kinderklinik eingeliefert wird, verpasst die Behörde die Chance, ihn dauerhaft in Sicherheit zu bringen. Offenbar lässt sie sich davon blenden, dass sich Mutter und Quasi-Vater scheinbar rührend um das Kind kümmern. Zudem hört das Amt laut Mäurer zu sehr auf den Methadon-Arzt von Bernd K., der immer wieder für diesen Stellung bezieht.

Als die Mutter stirbt und Bernd K. vorübergehend als Täter verdächtigt wird – inzwischen steht das Verfahren laut Mäurer vor der Einstellung –, begnügt sich die Behörde mit ambulanten Hilfsangeboten. Bernd K. lässt sich höchstens kurzfristig darauf ein. Doch statt Druck auf ihn auszuüben, schlägt der Sachbearbeiter neue Angebote vor. Geld spielte dabei keine Rolle, sagt Staatsrat Mäurer und widerspricht damit dem Verdacht, dass Bremens Sparpolitik zum Tod von Kevin beigetragen habe: „Maßstab aller Dinge waren die Wünsche und Interessen der Eltern.“ Erst durch ein Telefonat mit Kevins Großmutter kommt das Amt zur Besinnung. Bernd K. hatte zwischenzeitlich behauptet, sie würde sich um das Kind kümmern. Doch das war offenbar eine Lüge. Als die Behörde das merkt und Kevin schließlich doch in eine Pflegefamilie bringen will, ist es zu spät: Das Kind liegt tot im Kühlschrank von Bernd K. – vermutlich schon seit Anfang Juli.

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