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Politik: Zum zweiten Mal seit Kriegsende wählen die Bosnier heute ihre Gemeindevertreter - Der multiethnische Rat von Srebrenica findet nur langsam zusammen

Ibrahim Hadzic hat jeden Tag einen langen Weg bis an seinen Arbeitsplatz zurückzulegen. Um sechs Uhr morgens muss er in Tuzla aufbrechen.

Ibrahim Hadzic hat jeden Tag einen langen Weg bis an seinen Arbeitsplatz zurückzulegen. Um sechs Uhr morgens muss er in Tuzla aufbrechen. An der ehemaligen Frontlinie zwischen der muslimisch-kroatischen Föderation und der Republika Srspka wartet die Polizeieskorte bereits auf ihn und seine Kollegen. Insgesamt vier Stunden dauert die rund 120 Kilometer lange Fahrt über holperige Straßen bis zum Rathaus von Srebrenica im serbisch kontrollierten Osten Bosniens. Für die Rückkehr am späteren Nachmittag gilt dieselbe Prozedur.

Ibrahim Hadzic ist einer der muslimischen Vertreter in der Gemeindeexekutive von Srebrenica. In Bosnien werden am heutigen Sonnabend nach zwei Jahren erneut die Gemeindebehörden gewählt. In Srebrenica hat es bis letzten Herbst gedauert, bis die 1998 gewählten Vertreter im Gemeinderat und im Stadtparlament überhaupt ihr Mandat antreten konnten. Jeder Schritt Richtung Normalisierung braucht viel Zeit. Im östlichen Teil der Republika Srpska, der noch immer von den Hardlinern der ehemaligen Karadzic-Partei SDS kontrolliert wird, dauert es doppelt so lang.

Eineinhalb lange Jahre konnten die serbischen Nationalisten der SDS in Srebrenica nach der letzten Wahl noch alleine schalten und walten. Im Sommer vergangenen Jahres setzte der Hohe Repräsentant Wolfgang Petritsch durch, dass die multiethnischen Behörden der Stadt ihre Arbeit aufnehmen konnten. Jetzt hat jeder muslimische Vertreter im Gemeinderat einen serbischen Stellvertreter und umgekehrt.

In Srebrenica, der Stadt des Massakers an mehreren Tausend Muslimen, braucht alles viel Zeit. Ibrahim Hadzic schöpft Hoffnung, denn vor wenigen Tagen haben die Vertreter im Gemeindeparlament sich immerhin auf eine Gedenkstätte für die Opfer des Massakers einigen können. Einen Schritt in Richtung Versöhnung könnten auch die heutigen Gemeindewahlen bedeuten - wenn tatsächlich die Nationalisten auf allen Seiten geschwächt werden. So wird sich heute auch zeigen, wie groß der Einfluss der nationalistischen Tudjman-Partei HDZ auf die bosnischen Kroaten noch immer ist. Unter dem vor vier Monaten gestorbenen kroatischen Präsidenten Tudjman war es das politische Ziel Zagrebs, die kroatische Diaspora in Bosnien eng ans Mutterland zu binden, um einem Groß-Kroatien den Weg zu ebnen. Doch der Machtwechsel in Zagreb - die Tudjman-Ära wurde im Januar durch den Sieg von Stipe Mesic bei der Präsidentenwahl auch demokratisch beendet - hat auch die moderaten Kräfte in Bosnien gestärkt. Sie fordern inzwischen die Anerkennung der Grenzen Bosniens ohne jede Zugeständnisse an die Nationalisten. Stipe Mesic ist inzwischen noch deutlicher als im Wahlkampf auf Distanz zu den bosnisch-kroatischen Hardlinern gegangen. Bosnien sei ein souveränes Nachbarland, das sich in seinen gemeinsamen politischen Institutionen zu orientieren habe, sagte der neue kroatische Präsident.

So wenig also die kroatischen Nationalisten auf Stipe Mesic hoffen können, umso mehr drängt sich der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic wieder in die bosnisch-serbische Politik. Seine Doktrin läuft auf die Beibehaltung der ethnischen Teilung des Landes hinaus, während der sozialdemokratische Ministerpräsident Dodik zumindest auf politischer Ebene die Zusammenarbeit mit Kroaten und Moslems sucht.Weitere Informationen über den Chefkoordinator der Friedenshilfe in Bosnien, Wolfgang Petritsch, finden Sie unter www.ohr.int

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