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Der Vorgänger: Papst Cölestin V.Bild: bpk

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Zur angekündigten Abdankung Benedikt XVI.: "Und der Papst, was macht der?"

Petrus, der erste römische Bischof wollte fliehen. Cölestin, der Einsiedler auf dem Papstthron, hat schnell aufgegeben. Paul VI. erwog, das Amtsalter zu begrenzen - schreckte aber zurück. Eine kurze Geschichte der pontifikalen (Beinah-)Rücktritte.

Berlin - Ist ein Pontifex, der sich davonmacht, ein Deserteur? Am Anfang der kurzen Rücktrittsgeschichte des fast 2000-jährigen Papsttums steht eine rührende Legende. Die katholische Kirche leitet ihr zentrales Leitungsamt ja von Petrus ab, dem Bischof von Rom, den Jesus Christus zum Felsen der Kirche eingesetzt habe. Allerdings berichten die Evangelien auch von Schwächen dieses Stellvertreters, der seinen Chef in der Nacht vor Karfreitag dreimal verleugnete und daraufhin nach der Auferstehung dreifach insistierend befragt wurde: ob er ihn wirklich liebe. Eine Begegnung, die mit dem geheimnisvollen Satz endete: „Da du jung warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest. Bist du aber alt geworden, so … wird ein anderer dich gürten und führen, wohin du nicht willst.“ Der legendäre Rücktrittsversuch des ersten römischen Bischofs steht unter dieser Weissagung: Im Jahr der Christenverfolgung 67 flieht der gefährdete Petrus, will seine Gemeinde verlassen – und begegnet auf der Via Appia seinem Meister. „Domine quo vadis?“ Die Antwort Jesu, er sei unterwegs, um sich zum zweiten Mal kreuzigen zu lassen, trifft den Apostel ins Mark. Er macht kehrt, wird während Neros Massenhinrichtungen mit dem Kopf nach unten gekreuzigt.

Obwohl die Ausübung des römischen Bischofsamtes im Martyrium enden oder als Martyrium erlebt werden kann, hat es durchaus Karrieristen gegeben, die den Top-Posten anstrebten und an seinen Pfründen geklebt haben. Der Ausspruch Leos X., „Da Gott Uns Papsttum verliehen hat, so lasst es Uns genießen“ ist berühmt. Möglicherweise hat dieser junge Renaissance-Fürst, wie einige Vorgänger, erst als Giftmordopfer die Kathedra Petri geräumt. Auch Papst-Absetzungen durch Konzilsbeschluss waren im Hochmittelalter der Gegenpäpste machbar. Den einzigen freiwilligen Abtritt jedoch riskierte bis zum heutigen Tag Coelestin V., jener fromme, 1294 nach dreijährigen Wahlquerelen erkorene Einsiedler, der schon fünf Monate darauf, möglicherweise vor dem Monstrum seines Amts-Apparates, resignieren sollte. Sein paranoider Nachfolger Bonifaz VIII. hielt ihn dann 18 Monate lang, bis zu seinem Tode, in einer Vier-Quadratmeter-Zelle auf dem Kastell Fumone in Latium gefangen. Coelestin wurde später heiliggesprochen, aber in puncto Rücktritt kaum zur Nachahmung empfohlen: Das Regiment des Bonifaz, dem sein Zeitgenosse Dante in der „Göttlichen Komödie“ einen Platz in der Hölle anwies, zeigte die katastrophalen Folgen der gut gemeinten Demission. Kein Papst hat jemals für seinen Clan mehr Immobilien zusammengerafft als dieser Bonifaz, der sein eigenes Standbild am Hochaltar platzierte und den Universalanspruch päpstlicher Machtausübung als heilsnotwendig für jede Kreatur so nachdrücklich propagierte wie niemand zuvor. Er war Verkörperung des Caesaropapismus.

Mehr als 760 Jahre nach Coelestin und Bonifaz hat sich dann einer ihrer Nachfolger, der 264. römische Bischof, mit diesen ungleichen Amtsträgern befasst, aber auch mit dem Problem der Ablösung in einer Wahlmonarchie. Paul VI. suchte die nahe beieinander gelegenen Sterbeorte der mittelalterlichen Vorgänger auf - und schrieb in seinem Testament: „Mehr als die physische Müdigkeit, die Bereitschaft, in jedem Augenblick wegzutreten, scheint mir die Dramatik meiner Verantwortung nahezulegen, dass mein Auszug aus dieser Welt die beste Lösung ist, damit die Vorsehung die Kirche zu einer besseren Zukunft führen kann.“ Paul VI. hatte zu diesem Zeitpunkt das II. Vatikanische Konzil mit Reformenenergie zu Ende geführt, war in den Mühen der Ebene angekommen. Er provozierte den Aufstand seines Apparates, schrieb Diözesanbischöfen vor, mit 75 ihren Rücktritt einzureichen; Kardinäle sollten mit 80 das Wahlrecht fürs Konklave verlieren. „Und der Papst, was macht der?“, kritzelte er damals selbst auf den Aktendeckel – ließ sich aber von der Konsequenz des Gedankens durch Experten abraten: im Hinblick auf juristische und praktische Hürden. Nach der Niederschrift jener resignierten Testamentsnotiz hat er noch weitere zehn Jahre bis 1978 regiert.

Joseph Ratzinger, der Konzilstheologe, ist vom Pontifikat Paul VI. mindestens so stark geprägt worden wie durch das medial präsente Agieren und Sterben seines Vorgängers Johannes Paul II. Er weiß um jene „Theologie der Hinfälligkeit“, die das Papsttum des Mittelalters seinerzeit entwickelt hat, um den Konflikt zwischen kreatürlicher Schwäche und heiliger Amtsfülle irgendwie zu verarbeiten. Er kennt jene drastischen Demutsriten, die dem Neugewählten über Jahrhunderte bei seiner Krönung demonstrierten, dass er trotz ungeheurer Macht verletzlich und sterblich sei. Der rationale Beitrag des Intellektuellen Ratzinger zur Entwicklung des Papsttums liegt nicht im Erlass einer Verfügung, Päpste müssten künftig mit 85 Jahren den Vatikan räumen, sondern nun im eigenen, logischen Vollzug des Naheliegenden bei nachlassender Amtsfähigkeit.

Die rätselhafte Ankündigung im Johannesevangelium, Petrus (oder einer von dessen Nachfolgern) müsse sich zuletzt dahin führen lassen, wohin er nicht wolle, mag Benedikt XVI. ganz persönlich auf das Drama des Kontrollverlusts beziehen: auf das Alter, den Tod, auf das Sich-selbst-abhanden-Kommen wie auf das Amt, hinter dem er als Individuum verschwindet. Thomas Lackmann

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