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ZUR PERSON: „Niemand muss sich Sorgen machen“ Finanzminister Peer Steinbrück über die Krise

an den Finanzmärkten und zur Situation der SPD

Über welche Krise sprechen wir zuerst – die der Banken oder die der SPD?

Ich kann in der SPD keine Krise erkennen.

Dann beginnen wir mit der US-Hypothekenkrise. Kann sie den deutschen Aufschwung stoppen?

Diese Gefahr wird von den meisten Experten nicht gesehen.

Und Sie glauben diesen Experten?

Jedenfalls mehr als den diversen Kaffeesatzlesern. Ich hüte mich vor Verharmlosung genauso wie vor Hysterie. Was wir erleben, ist sehr ernst. Dennoch sollte man die Lage nicht dramatisieren. Alle müssen sich sehr verantwortungsbewusst verhalten, damit es nicht zu Verunsicherung und Kettenreaktionen kommt. Es gibt bisher keine Hinweise dafür, dass sich die guten ökonomischen Daten nennenswert eintrüben.

Als Finanzminister müssen Sie so reden. Machen Sie sich als privater Aktionär keine Sorgen um Ihr Geld?

Wenn Sie wissen, wie der Finanzminister antworten muss, dann könnten Sie das Interview ja kalt schreiben. Ich mache mir keine Sorgen um mein Geld. Und das braucht auch niemand, der sein Geld nicht in hochriskante Geschäfte gesteckt hat.

Zwei deutsche Banken hat die Krise bereits an den Rand der Pleite getrieben. Warum ausgerechnet diese beiden?

Was zählt, ist, ob eine Bank die notwendige Expertise besitzt, um auf den internationalen Finanzmärkten mit erkennbar hoch komplizierten Produkten umgehen zu können und Risikoprofile zu erstellen. IKB und Sachsen LB hatten dieses Know- how offenbar nicht.

Ist die deutsche Bankenlandschaft besonders anfällig für Fehlspekulationen?

Wir haben in Deutschland rund 2200 Kreditinstitute. Das sind sehr viele Akteure im Wettbewerb. Für die Kunden hat das natürlich Vorteile. Aber es gibt auch Nachteile: Die Gewinnmargen im normalen Bankgeschäft sind so gering, dass immer mehr Institute in Produkte mit hohen Margen, aber auch hohen Risiken investieren, obwohl sie davon nichts verstehen. An den Ereignissen der vergangenen Wochen kann man also auch sehen, dass eine weitere Konsolidierung der Branche wünschenswert wäre.

Hätte eine bessere Aufsicht über die Banken die Schieflagen verhindern können?

Nein. Der Bankenaufsicht kann man nicht Fehler vorwerfen, wenn der überwiegende Anteil der Geschäfte der Banken außerhalb der Bilanz abgewickelt – also der Prüfung entzogen – werden und die Prüfungen im Fall der IKB uneingeschränkte Vermerke enthielten.

Warum soll die Struktur der Bankenaufsicht, die sich Bundesbank und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) teilen, dann geändert werden?

Wir sprechen darüber grundsätzlich schon seit einem halben Jahr, nicht erst seit der Hypothekenkrise. Ich kann nur alle warnen, überstürzt von einer Neuordnung der Bankenaufsicht zu schwadronieren, bevor die jüngste krisenhafte Entwicklung aufgearbeitet ist und wir wissen, was daraus zu lernen ist. Das braucht Solidität und Zeit.

Was haben Sie bisher gelernt?

Dass die Rating-Agenturen keinen zuverlässigen Kompass mehr abgeben. Und ich weiß nun, dass die Möglichkeiten für Kreditinstitute, Geschäfte außerhalb ihrer Bilanz in Zweckgesellschaften auf der ganzen Welt auszulagern, ein Problem sind. Denn damit lässt sich verschleiern, dass solche Geschäfte nicht durch das nötige Eigenkapital gesichert sind. Das kann so nicht bleiben.

Sie haben zu Jahresbeginn mehr Transparenz auf den internationalen Finanzmärkten eingefordert. Glauben Sie, dass sich andere Länder jetzt anschließen werden?

Ich bin überzeugt, dass bei den anstehenden Gesprächen im Herbst auch die bisher noch skeptischen Regierungen erkennen werden, wie notwendig eine höhere Transparenz für die internationalen Finanzmärkte ist. Unser Vorstoß für mehr Transparenz insbesondere bei den großen Hedgefonds zielt darauf ab, den Marktteilnehmern mehr Informationen über die Risiken von Investments zu geben. Sie müssen wissen, wo diese Risiken liegen und wie sie zu bewerten sind. Wie man in der gegenwärtigen Krisenlage sieht, wussten die Banken nicht so genau, was in den Wundertüten drinsteckt, die sie gekauft haben.

Wohlstand für alle, lautete das Versprechen der Koalition bei der Klausur in Meseberg. Was heißt das für die Bürger?

Eine breite Beteiligung der Bürger am Aufschwung. Das drückt sich aus in niedrigerer Arbeitslosigkeit, größerer Arbeitsplatzsicherheit, höheren Lohnabschlüssen, niedrigeren Sozialbeiträgen und einem chancengleichen Zugang zur Bildung.

Aber nicht in sinkenden Steuern.

Ich werde keiner Steuersenkung auf Pump die Hand reichen. Und wir leben noch immer auf Pump.

Sie rechnen aber bereits 2008 mit einem ausgeglichenen Staatshaushalt.

Trotzdem bleiben rund 1,5 Billionen alte Schulden, die zu tilgen sind, und für den Bund jährlich 40 Milliarden Euro Zinsen.

Wann macht der Bund keine Schulden mehr?

Ich erwarte einen ausgeglichenen Bundeshaushalt spätestens 2011, und wenn es früher wird, dann machen wir eine Flasche Wein auf. Bis dahin ist es jedoch noch eine harte Wegstrecke. Deshalb verstehe ich nicht, wie manche Leute dem Publikum immer dann neue Bonbons versprechen, wenn es mal besser läuft. Da wird von der Abschaffung des Solidaritätszuschlages, der Anhebung der Hartz- Regelsätze oder Steuersenkungen geredet, ohne jeden Sinn für finanzielle Proportionen. Es geht jetzt darum, den Haushalt zu sanieren und in einige wichtige Bereiche, von denen zukünftiger Wohlstand und soziale Wohlfahrt abhängig sind, mehr Geld zu investieren.

Sie sprechen vom Ausbau der Kinderbetreuung.

Selbstverständlich. Deshalb haben wir beschlossen, dass der Bund bis 2013 vier Milliarden Euro für den Krippenausbau und deren Betrieb zur Verfügung stellt. Aus demografischen und aus ökonomischen Gründen müssen wir mehr für die Berufstätigkeit von Frauen tun. Und außerdem brauchen gerade Kinder aus sozial schwachen Familien die Chance auf frühkindliche Betreuung, die ihre Bildungschancen erhöht.

Die CSU besteht auf einem Betreuungsgeld für zu Hause betreute Kinder.

Das halte ich konzeptionell für falsch. Aber der Koalitionsausschuss hat einen Prüfungsauftrag unter anderem für das Betreuungsgeld gegeben. Der ist zu erfüllen. Es sollte keiner davon ausgehen, dass der Bund ein solches Betreuungsgeld zusätzlich bezahlen wird.

Wird der Bund 900 Millionen Euro für den Bau der Transrapidstrecke vom Münchner Flughafen in die Innenstadt finanzieren, wie die CSU hofft?

Das ist eine völlig offene Frage. Ich kann bisher nur eine überwiegende Anzahl von Gründen gegen das Projekt erkennen. Die permanenten öffentlichen Vorabfestlegungen des Bundes durch CSU-Politiker empfinde ich als belastend für anstehende Gespräche. Das einzige Argument für eine solche Referenzstrecke ist ein technologisches. Mit Blick auf den Export ist es gut, eine Vorzeigestrecke für eine so bemerkenswerte Technologie in Deutschland zu besitzen. Dagegen spricht allerdings, dass die Strecke in München gegenüber der vorhandenen S-Bahn nur einen Zeitvorteil von 10 bis 15 Minuten bringt. Zudem zweifle ich an den Kosten. Wenn ich mir ansehe, dass die Kostenschätzung für die Strecke von 1,85 Milliarden Euro ziemlich lange her ist, und einbeziehe, dass derartige Projekte immer wesentlich teurer als geplant werden, dann sehe ich nicht, wie die Finanzierung sichergestellt werden kann. Der Bund wird ganz sicher keinen Blankoscheck abgeben.

Wir sprachen bereits von der außerordentlich guten Haushaltslage. Wäre das auch anderen Koalitionen gelungen?

Nein. Nur in dieser Regierungskoalition war der massive Abbau der Steuersubventionen möglich. Und dann das Durchhalten der Konsolidierung: Das kann nur eine große Koalition. So etwas funktioniert nicht, wenn eine Regierungs-Oppositions-Konstellation regiert, bei der die Gewichte in Regierung und Ländern etwa gleich groß sind und sich im Bundesrat blockieren.

Wenn die große Koalition so erfolgreich ist, was spricht gegen eine Fortsetzung?

Das entscheidet sich im Licht konkreter Wahlergebnisse. Jede große Partei strebt danach zu gewinnen. Und natürlich birgt eine dauerhafte Regierung zweier großer Volksparteien das Risiko eines Ausfransens an den Rändern, das wir schon jetzt sehen.

Sie meinen die Linkspartei.

Deren Entwicklung im Westen hat sicher auch damit zu tun, dass es Menschen gibt, die sich mit ihren Unsicherheiten nicht in einer großen Koalition aufgehoben fühlen.

Warum stößt die Koalition in der SPD auf so viel Ablehnung, wo sie doch so viel Gutes bewirkt?

Mehrheitlich wird die große Koalition in der SPD gestützt. Aber es gibt ernst zu nehmende Stimmen, die sagen, dass die Gefahr für die SPD groß ist, in einer solchen Konstellation profillos geschliffen zu werden.

Ist die Sorge völlig unberechtigt?

Ich teile sie nicht. Bereits die erste große Koalition Ende der sechziger Jahre hat gezeigt, dass die SPD gestärkt aus einer solchen Regierung hervorgehen kann. Es klingt banal: Wir müssen in dieser Regierung gute Arbeit für das Land und seine Menschen machen. Am Ende wird sich das auszahlen.

Warum gehen die Erfolge der Regierung ausweislich der Umfragen mit der Union nach Hause?

Wir müssen unsere Erfolge selbstbewusster darstellen. Die Regierung Schröder und die SPD-Beiträge in dieser Regierung haben einen großen Anteil daran, dass Deutschland heute so gut dasteht. Nehmen Sie die Agenda 2010, die Steuerpolitik, die Steigerung der Mittel für Forschung und Entwicklung, Wachstumsimpulse oder die Absenkung der Sozialversicherungsquote.

Der Stolz ist in der Partei begrenzt.

Ich frage Bedenkenträger, wie die SPD wohl heute dastehen würde, wenn sie nicht 2005 in die große Koalition gegangen wäre und mitregieren würde. Wir sind derzeit in fünf Ländern repräsentiert. Mit dieser Präsenz und einer Oppositionsrolle in Berlin hätte die SPD ganz schön zu kämpfen, um auf der politischen Bühne eine Hauptrolle zu behalten. Was wirklich hinter dem Unwohlsein der SPD steckt, geht auf die Agenda 2010 und Hartz IV zurück.

Warum fällt es der SPD so schwer, ihren Frieden mit den Reformen zu machen?

Ich habe diese Politik immer für richtig gehalten, denn sie brachte uns auf die Höhe der Zeit. Es nützt nichts, sich in Strukturen festzukrallen, die nicht zukunftsfähig sind. Wenn man einem harten Veränderungsdruck ausgesetzt ist, muss man einen Gestaltungsanspruch erheben, statt eine Reise in die Vergangenheit anzutreten wie die Linkspartei. So unverantwortlich kann die SPD nicht handeln.

Oskar Lafontaine hat mit dieser Politik aber großen Erfolg – nicht zuletzt bei Anhängern der SPD.

Lafontaine wird überschätzt. Natürlich sehe auch ich, dass er die Ängste manch sozialdemokratischer Wähler vor Veränderung und damit verbundenen Verlierer- und Verlustängsten bedient. Aber das funktioniert nur eine Weile, dann wollen die Leute Lösungen, die in die Zukunft reichen. Und die hat Lafontaine nicht. Das Unbehagen der ostdeutschen Linksverbände mit dem selbst ernannten Linkenführer aus dem Westen ist doch schon jetzt nicht mehr zu übersehen.

Herr Steinbrück, Sie haben die SPD kürzlich eine Heulsuse genannt. Kann es sein, dass Sie Teile ihrer Partei inzwischen verachten?

Unsinn. Ich spreche bekanntermaßen manchmal in Bildern. Das ist plastischer, aber die gefallen auch nicht immer und jedem. Entscheidend aber ist der Inhalt. Die SPD hat allen Grund, selbstbewusster aufzutreten. Wir brauchen uns nicht als Getriebene zu sehen, als Opfer globaler Veränderungen. Wir brauchen mehr Selbstvertrauen und mehr Mut.

Das Gespräch führten Antje Sirleschtov und Stephan Haselberger. Das Foto machte Mike Wolff.

GENOSSE

Peer Steinbrück ist 1947 in Hamburg geboren und seit 1969 SPD-Mitglied. Der Volkswirt arbeitete als Referent für verschiedene Minister und die SPD-Bundestagsfraktion.

MINISTER

1993 wurde er in Schleswig-Holstein Wirtschaftsminister, 1998 in Nordrhein-Westfalen. Unter Wolfgang Clement wurde er 2000 Finanzminister und 2002 dessen Nachfolger als Ministerpräsident. 2005 erzielte er das schlechteste Ergebnis der SPD in dem Land.

KANDIDAT

Neben SPD-Chef Kurt Beck und Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird auch Steinbrück als SPD-Kanzlerkandidat gehandelt. Auf jeden Fall will er für den Bundestag kandidieren. Tsp

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