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ZUR PERSON: „Wir haben noch große Punkte vor uns“ CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder über Aufschwung, Atomkraft, Afghanistan und die Lokführer

RECHTE HAND Volker Kauder (57), evangelisch, Jurist, hat seinen politischen Werdegang in der CDU Baden-Württemberg absolviert. In Berlin gilt der vormalige CDU-Generalsekretär als Merkels „rechte Hand“.

RECHTE HAND

Volker Kauder (57), evangelisch, Jurist, hat seinen politischen Werdegang in der CDU Baden-Württemberg absolviert. In Berlin gilt der vormalige CDU-Generalsekretär als Merkels „rechte Hand“.

FESTE ACHSE

Wenn es in der Bundesregierung hoch hergeht oder die Generalsekretäre von Union und SPD sich streiten – die Achse zwischen Kauder und SPD-Fraktionschef Peter Struck hält.

EHRENAMT

In Tuttlingen, das zu seinem Bundestagswahlkreis gehört, hat Kauder einen Förderverein zugunsten psychisch Kranker gegründet, dessen Ehrenvorsitzender er ist.

Herr Kauder, das Sommerloch in der Politik ist so tief wie lange nicht – ist das die Ruhe vor dem Sturm, oder übt die Koalition schon mal das Einschlafen?

Ich freue mich sehr über die Disziplin der Kollegen, die die Ferien mal ruhiger haben angehen lassen.

Ihre Freude in Ehren, aber ...

Die Koalition hat in der ersten Phase unglaublich viel geleistet. Wir sehen das ja auch an den Ergebnissen, vor allem dem wirtschaftlichen Aufschwung. Jetzt bereiten wir die Themen für die zweite Halbzeit vor.

Man kann das auch so sehen: Die Koalition ist thematisch erschöpft, es bleiben Aufräumarbeiten, Alltägliches und Wahlkampf.

Diese These höre ich oft, aber sie ist falsch. Wir haben noch wichtige und große Punkte vor uns. Im Herbst wird es um die Bahn-Reform gehen. Wir haben die Erbschaftsteuerregelung vor uns – das ist unter dem Aspekt der Unternehmensnachfolge für die Wirtschaft ein eminent wichtiges Thema. Und dann müssen wir mit ganz konkreten Maßnahmen dafür sorgen, dass der Aufschwung sich verstetigt und dass dieser Aufschwung noch mehr bei den Menschen ankommt.

Davon ist bisher wenig zu merken. Die Milch wird teurer, die Lokführer streiken ...

Der Tarifkonflikt bei den Lokomotivführern ist doch aber ein beredtes Beispiel dafür, was sich verändert hat! Ohne die Forderungen der Lokführer damit irgendwie unterstützen zu wollen: Aber sie sind doch auch Ausdruck der veränderten wirtschaftlichen Situation. Davon kommt auch schon etwas bei den Menschen an.

Aber nicht genug, das sagen Sie selbst.

Die Menschen spüren noch immer keine ausreichende Entlastung im eigenen Geldbeutel. Selbst wenn wir auf diesem Gebiet schon unglaublich weit sind. Wir haben unsere Regierungszeit mit 6,5 Prozent Sozialabgaben bei der Arbeitslosenversicherung begonnen, bei 3,9 Prozent landen wir auf jeden Fall, und vielleicht ist auch noch weniger Beitrag möglich. Aber wir haben nach wie vor eine hohe steuerliche Belastung. Und die trifft diejenigen, die morgens zur Arbeit gehen und abends nach Hause kommen. Bei diesen Leistungsträgern unserer Gesellschaft müssen wir zu Entlastung kommen.

Darf’s etwas konkret sein?

Wir haben als zentrale Aufgabe die Haushaltskonsolidierung. Das Ziel eines Haushalts ohne zusätzliche Neuverschuldung werden wir 2011 erreichen. Ab diesem Datum gibt es vielleicht Spielraum für Steuersenkungen, vorher sehe ich ihn nicht.

Sie haben aber angekündigt, dass die Union den Solidaritätszuschlag überprüft.

Ja, das tun wir auch. Allerdings nicht mit dem Ziel, ihn jetzt aktuell abzuschaffen.

Der Bund der Steuerzahler hat vorgerechnet, dass der Finanzminister in den nächsten Jahren aus dem Soli mehr Geld einnimmt, als er für den Aufbau Ost ausgibt.

Das wollen wir uns bei der Klausur unseres Fraktionsvorstands genau ansehen. Ich vermute aber, dass sich die Zahlen des Steuerzahlerbundes als falsch erweisen werden, weil wir das Aufkommen aus dem Soli noch komplett brauchen, um den Aufbau Ost und die durch diesen Aufbau entstanden Schulden zu bezahlen. Andererseits müssen wir den Menschen auch sagen: Ihr habt eine Reformrendite verdient.

Das klingt wie ein wohlfeiles Wahlversprechen, oder?

Nein, das ist es nicht. Ich verspreche ja gerade nicht, dass wir den Soli jetzt senken. Ich verspreche aber, dass wir handeln werden, sobald es verantwortbar ist. Ich sehe in der nächsten Legislaturperiode dafür Spielräume.

Was dürfen die Menschen aber bis dahin von dieser Koalition erwarten?

Den Aufschwung verstetigen heißt im Moment vor allem, dass wir der Wirtschaft und vor allem dem Mittelstand die notwendigen Fachkräfte zur Verfügung stellen müssen.

Was kann die Bundespolitik überhaupt dafür tun?

Unser allernächstes Ziel muss sein, dafür zu sorgen, dass bis Ende des Jahres jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekommt, der sich darum bemüht. Wir müssen zweitens alle Kraft darauf verwenden, unsere Arbeitskräfte zu qualifizieren. Wofür ich hingegen keinerlei Verständnis habe, sind Forderungen, den Markt für Fachkräfte aus Osteuropa früher zu öffnen als notwendig. Und was ich auch nicht verstehe: Wir haben immer noch tausende arbeitslose Ingenieure, obwohl die Wirtschaft Ingenieure sucht.

Noch einmal: Wo sind bei diesen Fragen die Hebel für die Politik?

Die Politik kann nicht alles richten. Aber ich will mit der Wirtschaft konkret darüber reden, wo die Probleme liegen und was wir alle tun können. Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass zum Beispiel der Fachkräftemangel einfach durch den Einkauf von Experten aus den Beitrittsstaaten Osteuropas umgangen wird.

Also Abschottung unseres Arbeitsmarkts für EU-Beitrittsstaaten bis 2011?

Das hat mit Abschottung gar nichts zu tun. Wo tatsächlich Mangel herrscht, ist es richtig und auch möglich, Fachkräfte anzuwerben und zu uns kommen zu lassen. Aber im Bereich der weniger Qualifizierten will ich keinen Druck von außen erzeugen. Junge Menschen sollen sich qualifizieren können, ohne befürchten zu müssen, dass diese Arbeitsplätze längst besetzt sind, wenn sie mit ihrer Weiterbildung fertig sind. Ich habe deshalb auch nie verstanden, wieso die SPD dauernd jammert, dass es Lohndumping gibt, und zugleich fordert, dass wir die Grenzen frühzeitig öffnen sollen.

Muss das Problem der Qualifikation nicht sogar noch viel früher angegangen werden, bei der Vorschul- und Schulbildung?

Wir haben mit der Föderalismusreform klare Aufgaben zugewiesen. Die Bildungspolitik ist richtigerweise Sache der Länder. Wir können nicht in Berlin entscheiden, welche Schule auf der Schwäbischen Alb stehen soll. Aber wir haben eine gesamtstaatliche Verantwortung dafür, dass junge Menschen in unserem Land Chancen haben, darauf hat Ministerin Schavan kürzlich zu Recht hingewiesen. Unsere Firmen sind ja längst auch nicht mehr nur in einem Bundesland tätig. Die erwarten von ihren Auszubildenden in Stuttgart die gleichen Voraussetzungen wie in Schwerin.

Frau Schavan hat Ihre Unterstützung?

Wir brauchen einheitliche Standards, und es spricht nichts dagegen, dass wir in Fächern wie Mathematik bundesweit einheitliche Schulbücher haben. Wir brauchen bundesweit möglichst einheitliche Qualitätsstandards, insoweit ist die Diskussion über ein Zentralabitur hilfreich. Jedes Bundesland muss dafür sorgen, dass seine Schülerinnen und Schüler die allgemeinen Voraussetzungen erfüllen – egal wie es das macht.

Ihr Ausgangspunkt hieß: den Aufschwung sichern. Ein Arbeitsprogramm für zwei Jahre haben wir noch nicht beisammen.

Ich kann Ihnen weitere Punkte nennen. Wir müssen uns dem globalen Wettbewerb stellen. Die Deutschen können unglaublich viel. Sie brauchen deshalb keine Angst vor diesem Wettbewerb zu haben. Aber es muss dabei natürlich fair zugehen, und dafür müssen wir sorgen. Die Kanzlerin wird bei ihrem kommenden Besuch in China ganz klar das Thema des Schutzes geistigen Eigentums ansprechen. Wir müssen uns mit aller Macht dagegen wehren, dass sich andere durch den Diebstahl von Ideen und Patenten ungerechtfertigt bereichern.

Mit China reden ist ja sicher gut. Nur hören die Chinesen manchmal schwer.

Wir, die Europäer, müssen dabei noch enger mit den Amerikanern und den Kanadiern zusammenarbeiten. Diese Gruppe muss noch deutlicher machen, dass es in Chinas eigenem Interesse ist, das geistige Eigentum zu respektieren, und dass wir Verstöße nicht länger dulden werden. Ich frage mich schon, ob wir es zulassen können, dass bei uns entwickelte Hochtechnologie ohne entsprechende Lizenzen sanktionslos nachgebaut werden kann. Wir müssen da in der WTO schon zu effektiveren Regeln kommen.

Ein weiteres globales Thema ist Energiesicherheit. Nach den Störfällen in Krümmel und Brunsbüttel ist der Ruf der Union nach der Atomkraft leiser geworden.

Ich habe immer dafür geworben, aus der Energiepolitik alle Ideologie wegzulassen und sich an die Fakten zu halten. Wir müssen alles tun, um unsere Energieerzeugung klimafreundlich zu gestalten. Deshalb bin ich für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber zu den klimafreundlichen Energien gehört nach meiner Überzeugung eben auch die Kernenergie.

Das sieht Ihr Koalitionspartner anders.

Das Beste wäre, wir könnten mit der SPD vereinbaren: Dort, wo Kernkraftwerke nicht mehr sicher sind, werden sie abgeschaltet. Aber dort, wo Kernkraftwerke sicher Strom produzieren könnten, lassen wir sie weiterlaufen.

Sehen Sie irgendeine Chance für solch einen Konsens?

Die Chance ist gering. Aber man muss das Richtige trotzdem sagen.

Auch wenn die Mehrheit der Deutschen in dieser Frage klar bei der SPD ist?

Die Sozialdemokraten versuchen im Moment, das Thema zu emotionalisieren. Das hilft nicht weiter. Wir dürfen den Menschen keine Angst machen. Wir dürfen sie auch nicht finanziell überfordern. Deshalb rate ich auch dem Umweltminister Sigmar Gabriel dringend, bei seinem Klimaprogramm genau darauf zu achten, was notwendig ist. Wir können den Menschen nicht auf der einen Seite Entlastung bieten und sie auf der anderen Seite mit neuen Verpflichtungen überfordern.

Ist nicht der Aufschwung der Linkspartei der deutlichste Beleg dafür, dass viele Menschen mit der großen Koalition unzufrieden sind?

Ich bezweifle noch, dass die Linkspartei in einem westdeutschen Flächenland in ein Parlament einzieht. Aber ich nehme sie ernst. Das ist eine Partei, die mit nacktem Populismus die Menschen auf einen falschen Weg führt. Sie vertritt eine nationale Abschottungspolitik, die nicht funktioniert, und setzt auf bloße Umverteilung statt darauf, den Menschen auch etwas zuzutrauen. Das ist im Sozialismus schon einmal schiefgegangen.

Das schreckt offenbar viele Menschen nicht. Was kann die Koalition tun?

Wir müssen noch deutlicher machen, was sich in unserem Land verändert hat – dass es wieder aufwärtsgeht und dass viele Menschen auch etwas davon haben. Wir haben keine fünf Millionen Arbeitslose mehr, sondern über eine Million weniger. Wir geben enorm viel für unser Sozialsystem aus, mehr als andere auf der Welt. Wir haben mit unserer Politik Erfolg. Und dieser Erfolg ist eine große Gemeinschaftsleistung. Viele Menschen haben auf vieles verzichtet, auf Weihnachtsgeld, auf Urlaubszeit, auf vieles, damit es wieder aufwärtsgeht. Das alles verschweigt die Linkspartei. Das müssen wir ganz energisch klar machen. Die SPD ist hier besonders gefordert.

Aber nicht die SPD allein, richtig?

Wir müssen noch mehr als bisher deutlich machen, was wir erreicht haben. Wir müssen der Linkspartei mit Fakten das Wasser abgraben. Eigentlich wissen die Menschen doch, dass das, was die Linkspartei verspricht, unerfüllbar ist.

Im Moment gräbt die Linkspartei der Koalition das Wasser ab – so mit der Forderung „Raus aus Afghanistan“.

Die Entscheidung im Bundestag für die Einsätze unserer Bundeswehr ist für uns alle die schwierigste überhaupt. Wir machen uns das nie leicht. Aber es geht nicht nur um die Menschen in Afghanistan, sondern um uns selbst. Wer einen Abzug fordert, gefährdet massiv unsere Sicherheit. Die Taliban verfolgen sehr genau die laufende Diskussion in unserem Land und ziehen daraus neuen Mut. Wenn wir aber unbeirrbar sagen, wir bleiben, bis die Taliban besiegt sind, schwächt das deren Position. Auch die Menschen in Afghanistan müssen wissen, dass sie sich an uns halten können. Deshalb: Schluss mit dem Rumgeeiere!

Die Fragen stellten Robert Birnbaum und Tissy Bruns. Das Foto machte Thilo Rückeis.

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