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Eine Szene aus der TV-Serie "Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss", die seit Montag in den dritten Programmen wiederholt wird.

© WDR/Worldvision Enterprises Inc./picture alliance/dpa

Zur Wiederholung der Serie "Holocaust": Neuer, alter Antisemitismus

Auschwitz, Menasse, antijüdische Ressentiments - kein Tag vergeht, an dem nicht vor der Bagatellisierung des Antisemitismus gewarnt werden muss. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

Auf der Uno-Konferenz in Katowice debattierten im Dezember 20 000 Experten aus 190 Staaten über das Weltklima. Am Wochenende wurde dort eine Bustour angeboten, eine halbe Stunde Fahrt durch Polens Kohlerevier. Ziel der Exkursion war die Gedenkstätte des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau.

Genau 70 Jahre vor Katowice hatten sich Vertreter der Vereinten Nationen schon einmal zu einer Weltklimakonferenz versammelt, einer ganz anderen. 1948 ging es um das soziale, das humane Weltklima: Damals wurde die Universelle Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Sie verdankte ihr Entstehen dem Entsetzen der Menschheit über sich selbst, über Auschwitz, die Schoah, die Millionen Ermordeten und Gefallenen des Zweiten Weltkriegs. So betrachtet stellen die Menschenrechte ein Weltklimaabkommen gegen den Zivilisationsbruch dar, der mit „alltäglichem“ Antisemitismus begonnen hatte. Auch das Entstehen der Europäischen Union verdankte sich dem produktiven Wunsch, die Zeitalter der Kriege zu beenden und Kooperation zwischen den Nationen zu befördern. Mehr als 70 Jahre lang wurde der Wunsch wahr.

Die Kritik an der Globalisierung mutiert zu einem neuen Judenhass

Derzeit vergeht kein Tag, an dem nicht vor neuem Antisemitismus oder der Bagatellisierung von Auschwitz gewarnt werden muss. Alarmierend sind Studien der EU und des Senders CNN, Statistiken des Simon Wiesenthal Centers oder die jüngsten Erhebungen zum Antisemitismus an Schulen der Frankfurt University of Applied Sciences, und die Bundesregierung hat das Amt eines Beauftragten gegen Antisemitismus eingerichtet. Seit Montag wiederholen die dritten Programme der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender die Serie „Holocaust. Die Geschichte der Familie Weiss“, die 1979 in der Bundesrepublik ein emotionales Erdbeben ausgelöst hatte. Im selben Jahr kam Auschwitz auf die Unesco-Liste der Stätten des Weltkulturerbes, so paradox „Kultur“ in dem Kontext klingt; gemeint war der Rang eines mahnenden Monuments an alle Kontinente. Erst ab 1979 wurde „Holocaust“ in der Bundesrepublik der zentrale, elementare Begriff für die Zeit des Nationalsozialismus.

Mit dem zunehmenden Weltklima der Verunsicherung mutiert vor allem die Kritik an Globalisierung und Kapitalismus zu einem neuen Antisemitismus, wenn „die Juden“ oder – verschlüsselt – „die Eliten an Amerikas Ostküste“ zur Ursache deregulierter Märkte und bedrohter „Heimat“ erklärt werden. Diesen grotesken Transfer hatte der kanadische Historiker Moishe Postone die „Biologisierung des Kapitalismus“ genannt. Besonders an Hochschulen wird unbekümmert bis hasserfüllt „Israelkritik“ geübt, und im modischen Jargon des Postkolonialismus ist daneben gern die Rede von der „euro-amerikanischen Matrix der Macht“. Mit Vehemenz entfernt sich auch die Rechte, nicht nur in Ungarn oder Italien, von der Idee der europäischen Demokratie, über die Konrad Adenauer sagte: „Unser Ziel ist es, dass Europa einmal ein großes, gemeinsames Haus für die Europäer wird, ein Haus der Freiheit.“

Nur starke Demokratien können solche Katastrophen verhindern

In seinem fulminanten Roman „Die Hauptstadt“ zeigt der Österreicher Robert Menasse, passionierter Demokrat und Europäer, so sarkastisch wie melancholisch das Porträt eines Brüsseler Beamtenapparats, in dem Karrieristen, Idealisten, Zyniker und Hedonisten eine Feier zu 50 Jahren EU planen. Für ihr „Jubilee Project“ , das an Musils „Parallelaktion" im „Mann ohne Eigenschaften“ erinnert, wollen einige die Überlebenden von Auschwitz mobilisieren und haben höchst peinliche bis tragische Schwierigkeiten auf der Suche nach den wenigen, die noch leben. Der Literat erfand enthusiastische Zitate eines historisch realen Politikers für Europa und wider den Nationalismus, was ihm jetzt als Fälschung angelastet wird – wie um die Idee des demokratischen Europa einmal mehr exemplarisch zu denunzieren.

Europäer wie Menasse vertreten im Kern nichts anderes als Friedrich Schiller, der im Mai 1789 sagte: „Wie viele Kriege mussten geführt, wie viele Bündnisse geknüpft, zerrissen und aufs Neue geknüpft werden, um endlich Europa zu dem Friedensgrundsatz zu bringen, welcher allein den Staaten wie den Bürgern vergönnt, ihre Aufmerksamkeit auf sich selbst zu richten und ihre Kräfte zu einem verständigen Zwecke zu versammeln!“ Knapp anderthalb Jahrhunderte darauf kamen in Deutschland antisemitische Menschenjäger an die Macht, um Europas Juden zu ermorden. Nur starke Demokratien können solche Katastrophen verhindern.

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