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Politik: Zurück in den Osten!

Von Antje Vollmer

Zukunftskonzepte sind gefragt. In Ostdeutschland stehen 1,3 Millionen Wohnungen leer. Ganze Landstriche Vorpommerns oder Nordthüringens veröden. Vor allem junge und gut ausgebildete Menschen verlassen Regionen, die ökonomisch am Boden liegen. Kein Wunder bei 20 Prozent Arbeitslosigkeit und mehr! Manche Dörfer und Stadtviertel wirken verwaist. Über eine Million Einwohner haben die OstBundesländer seit 1991 verlassen. Zurück bleiben diejenigen, die vor Wochen das Gesicht der Anti-Hartz-Demonstrationen im Osten prägten: Die Älteren und die, die alle Hoffnung auf ein gutes Leben aufgegeben haben. Gewiss, es gibt auch eine Parallelwelt: Die der Wachstumskerne in Jena, Dresden oder Leipzig. Und selbst dort wirken die wunderbar sanierten Innenstädte oft artifiziell und wie leblose Hüllen.

Was kann geschehen, damit auch Regionen im Schatten der ökonomischen Leuchttürme wieder attraktiv und belebt werden? Lebten wir zur Zeit des Großen Kurfürsten in Preußen, so würden wir holländische Mühlenbauer und Deichbauspezialisten, böhmische Weber, hutterische Brüder und handelstüchtige Hugenotten einladen, sich bei uns niederzulassen. Die aufgeklärte Form des Absolutismus war mit dieser Politik ökonomisch und gesellschaftlich sensationell erfolgreich. Diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei – aber hat nicht auch die aufgeklärte Demokratie Chancen, Gemeinwesen in den neuen Ländern, und auch in manchen Regionen im Westen, neu zu begründen? Beispielsweise könnten wir darauf setzen, dass in einigen Jahren das Zuwanderungsgesetz ganz neue positive Impulse kreiert. Ich stelle mir eine Einladung an Zuwanderer-Gruppen vor, die in besonderer Weise die Kultur, die Zusammengehörigkeit und die Religion der Eingeladenen respektiert. Menschen, die in Gemeinschaften hierher kommen und auch gemeinsam in einem Dorf oder einer Stadt bleiben dürfen, um tatkräftig ihren Traum vom guten Leben zu verwirklichen, könnten nicht nur die ökonomische, soziale und gesellschaftliche Erosion weiter Teile Ostdeutschlands stoppen, sondern diese Gebiete auch wieder attraktiv machen für diejenigen, die dort zu vereinsamen drohen. In diesem Sinne kann die EU-Osterweiterung eine Entwicklungschance auch für unser eigenes Land sein. Jenoptik, die Halbleiterindustrie und der Automobilbau können nicht flächendeckend vertreten sein. Kleine und mittlere Unternehmen sehr wohl. Nur wenn der Entvölkerungsprozess in der Fläche gestoppt und umgedreht wird, werden wieder Geschäfte entstehen, Arztpraxen, Kinos, Gaststätten und lebendige Gemeinden. Diese Stadtkultur ist eine der besten Traditionen Europas – gerade auch zu Zeiten der Globalisierung.

Die Autorin ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags und Mitglied der Grünen. Sie schreibt diese Kolumne im Wechsel mit Wolfgang Schäuble und Richard Schröder.

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