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Politik: Zustimmung mit Bauchgrimmen

Bei der Unternehmensteuerreform gibt es auch in der Koalition Zweifel – aber Steinbrück bleibt unbeirrt

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Wer einmal ernsthaft versucht hat, die Drucksache 16/4841 durchzulesen, der ahnt, warum viele Abgeordnete der Regierungskoalition dieser Reform am Freitag im Bundestag nur mit Bauchgrimmen zugestimmt haben. Übrigens nicht nur solche der SPD-Fraktion. Von Thesaurierungsbegünstigungen ist da in der Drucksache seitenweise die Rede, von Ebit und Ebitda, von Betriebsabgabenabzügen, von irgendwelchen Substraten und noch manch anderem, was selbst diplomierte Betriebswirte ganz schön ins Schwitzen bringen kann.

Als Peer Steinbrück am Freitag um schlag neun Uhr ans Rednerpult des Bundestags trat, war der Schein der parlamentarischen Erleuchtung jedenfalls äußerst begrenzt. Einzig den Oppositionsführer, FDP-Chef Guido Westerwelle, traf ein schmaler Sonnenstrahl. Buchstäblich im Schatten jedoch blieb, wer sonst noch anwesend und willens war, sich vom Finanzminister erklären zu lassen, warum diese Reform „gut und richtig und wichtig“ sei. Peer Steinbrück tat, was er in den Wochen und Monaten zuvor schon so oft im Parlament, in Fraktionssitzungen, vor Studienkreisen getan hatte: Er sprach von der Wettbewerbsfähigkeit des Steuerstandortes Deutschland und davon, dass das Land jedes Jahr Milliarden Euro an Steuereinnahmen verliere, weil findige Konzerne ihre Gewinne ins Ausland transferieren.

Warum allerdings deutsche Konzerne, die ja doch schon jetzt Rekordgewinne erzielen, für mehr Wettbewerbsfähigkeit nun noch einmal um fünf Milliarden Euro Steuern im Jahr entlastet werden müssen, darauf blieb der Minister eine schlüssige Antwort schuldig. Genauso wie er darauf verzichtete, die Zuhörer davon zu überzeugen, mit welchen Mitteln genau diese Reform mit der Auslandsverschiebung der Konzerne nun aber endlich Schluss machen wird. Für die Finanzexperten im Plenarsaal bedurfte es offenbar keiner Erklärung mehr. Und den anderen in der Koalition mochte die Abwandlung eines bayerischen Stoßgebets durch den Kopf gegangen sein: „Hoffen mer mal“.

Nein, ein „Meisterstück der parlamentarischen Demokratie“ sei diese Reform wirklich nicht, gab ein Sozialdemokrat draußen im Flur zu Protokoll. Was gar nichts mit dem Inhalt des Gesetzes zu tun habe. Wohl aber damit, dass das Gesetz in Windeseile – nämlich in vier Wochen – durch den Bundestag gepeitscht wurde. Und die Paragrafen von Beamten und Politikern erdacht wurden, die sich nicht die Mühe machten, die Inhalte zu erläutern. Stattdessen jedoch jeden Kritiker entrüstet ins Lager der Ideologen verdammten.

Mag ja sein, dass Drucksache 16/4841 alles besser, schöner und gerechter machen wird im Land. Gut möglich aber auch, dass nichts von dem, was der Finanzminister und die Koalitionsspitzen seit Monaten beteuern, Wirklichkeit wird. Vielleicht haben ja am Ende die recht, die behaupten, das neue Gesetz biete den Konzernen genauso viele Schlupflöcher ins Ausland wie heute. Vielleicht schadet das Gesetz sogar vielen kleinen Betrieben, wie oft behauptet wird, und es droht ein Desaster, wie einst bei der letzten Steuerreform, als nur ein verunglückter Paragraf plötzlich einen Erdrutsch verursachte und Finanzämter Geld an Konzerne zahlen mussten – statt von denen Steuern einzunehmen. Hans Eichel, der das Gesetz 2000 gemacht hatte, gestand damals unter der Hand handwerkliche Unsauberkeiten ein. Aber es war zu spät.

Die Opposition brachte all diese Befürchtungen am Freitag zur Sprache. Und fand, dass das Machwerk unsozial, schlampig gemacht und am Ende eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland sei. Kein Redner von FDP, Grünen und Linken, der nicht die Reform der Reform an die Wand gemalt hätte, weil Stückwerk aus dem großkoalitionären Steuersenkungsplan geworden sei.

Später am Vormittag, drinnen im Saal ging die Debatte voran, wurde ein Plenarmitarbeiter von einer ausländischen Jugendgruppe zur gerade gemeinsam verfolgten Rede des Finanzministers befragt. Und weil der Mann nicht gleich verstand, übersetzte man ihm: „Das Minister, bitte, worum sprach es gerade da drin?“

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