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Stabile Wirtschaft, niedrige Arbeitslosenzahl, geringe Krisenanfälligkeit – Deutschland, der Vorzeigestaat der Eurozone, wird immer attraktiver als Zuwanderungsland.

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Zuwanderung: Immer mehr wollen ins Paradies Deutschland

Deutschland zieht wieder mehr Menschen an. Im Jahr 2012 wurden nun so viele Zuwanderer registriert wie seit 17 Jahren nicht mehr. Doch was bedeutet das?

Von Matthias Schlegel

Stabile Wirtschaft, niedrige Arbeitslosenzahl, geringe Krisenanfälligkeit – Deutschland, der Vorzeigestaat der Eurozone, wird immer attraktiver als Zuwanderungsland. Insbesondere aus den südeuropäischen Krisenstaaten strömen die Menschen in die Bundesrepublik, wie das am Dienstag vom Bundesamt für Statistik veröffentlichte Zahlenmaterial zeigt.

Wie hat sich die Zuwanderung entwickelt?

Seit 1995 sind nicht so viele Menschen nach Deutschland gekommen wie im Jahr 2012: mehr als eine Million, nämlich genau 1 080 936. So viele haben sich zumindest auf den Meldeämtern der Kommunen registrieren lassen, illegal Eingereiste sind in dieser Statistik nicht erfasst. 965 908 davon waren Ausländer, der Rest Spätaussiedler oder Deutsche, die aus dem Ausland in die Heimat zurückkehrten. Eine Rekord-Einwanderungszahl ist das nicht – 1992 kamen schon einmal über 1,5 Millionen in das zwei Jahre zuvor wiedervereinigte Deutschland. Aber es ist der vorläufige Höhepunkt in einer seit dem Jahr 2006 anhaltenden Aufwärtsentwicklung. 13 Prozent betrug der Anstieg der Zuwanderung gegenüber dem Jahr 2011. Vergleicht man den Wanderungsüberschuss in beiden Jahren - also den Saldo zwischen Zuzügen und Fortzügen -, ergibt sich gar ein Zuwachs von 32 Prozent. In den Jahren 2008 und 2009 war hingegen sogar ein Negativ-Saldo zu verzeichnen gewesen – es zogen also mehr Menschen aus Deutschland weg als zuwanderten.

Welche Ursachen hat der Anstieg der Zuwanderung?

Zwar gehen die Gründe aus der Statistik nicht hervor, weil sie nicht abgefragt werden. Aber aus der Übersicht über die Herkunftsländer kann man ziemlich eindeutig zwei Rückschlüsse ziehen: Besonders deutlich erhöhte sich die Zuwanderung aus EU-Ländern, die stark von der Finanz- und Schuldenkrise betroffen sind. So kamen 2012 aus Spanien 45 Prozent mehr Einwanderer als 2011, aus Griechenland und Portugal 43 Prozent mehr und aus Italien 40 Prozent mehr. Sie erhoffen sich offenbar in Deutschland Arbeit und ein besseres Leben als zu Hause.

Hinzu kommt, dass in Deutschland im Mai 2011 die Arbeitnehmerfreizügigkeit für mehrere 2004 beziehungsweise 2007 der Europäischen Union beigetretene Staaten in Kraft trat. So stieg zwischen 2011 und 2012 die Zuwanderung aus Slowenien um 62, aus Ungarn um 31 Prozent. Im Jahr 2014 sind ähnlich hohe Werte aus Rumänien und Bulgarien zu erwarten, wenn auch für diese beiden Länder zu Jahresbeginn die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit wirksam werden wird. Mit einem Anstieg von 23 beziehungsweise 14 Prozent lagen sie schon 2011/2012 im Vorderfeld. In absoluten Zahlen gemessen, stammen seit vielen Jahren die meisten Zuwanderer aus dem östlichen Nachbarland Polen.

Ist der Anstieg der Zuwanderung positiv oder negativ für Deutschland?

Der deutliche Anstieg ist für Andreas Pott, Direktor des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien an der Universität Osnabrück, keine Überraschung. Spanien, Italien und Portugal seien von den Folgen der Finanzkrise am stärksten betroffen. „Deutschland profitiert von der Staatsschuldenkrise: Die Menschen, die zuwandern, sind häufig jung, motiviert und qualifiziert. Für ein Land mit einer alternden Bevölkerung ist dies ein großer Vorteil“, sagte Pott dem Tagesspiegel. Aber auch aus den osteuropäischen Staaten wie Polen, Rumänien, Ungarn und Bulgarien kämen viele gut qualifizierte und arbeitende Zuwanderer. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration spreche in diesem Zusammenhang von einer „Freizügigkeitsdividende“, die Deutschland erziele. Die Unternehmen dehnten ihre Suche und Anwerbung aktiv auf die gesamte EU der 27 aus – mit Hilfe von Anzeigen, Rekrutierungen und Jobbörsen zum Beispiel in Spanien und anderen Ländern. Flankiert und unterstützt würden die Prozesse durch die Ausweitung von Sprachkurs-Angeboten.

Fraglich sei aber, ob es Deutschland auch gelinge, längerfristig attraktiv für diese hochqualifizierten Zuwanderer zu sein. Denn sie seien mobil und würden nicht zögern, auch attraktive andere Ziele zu wählen, sagte Migrationsforscher Pott. „Aktuelle Bemühungen um die Entwicklung und Ausgestaltung einer echten Willkommens- und Integrationskultur sind also nicht nur historisch überfällig, sondern ein notwendiges Element einer nachhaltigen Migrationspolitik.“

Was ist mit der Sprachbarriere?

Wenn es sich um hoch qualifizierte Zuwanderer handelt, kann man davon ausgehen, dass viele bereits Deutschkenntnisse haben oder mit Englischkenntnissen weiterkommen. Zugleich verzeichnen die Volkshochschulen nach Auskunft des Deutschen Volkshochschul-Verbandes eine rasch wachsende Nachfrage sowohl nach Deutschkursen als auch nach Integrationskursen. Letztere sind Voraussetzung für eine Einbürgerung. Nach Auskunft von Michael Weiß, Leiter der Volkshochschule Berlin-Mitte, sind dort die Buchungen von Deutschkursen von 9748 im Jahr 2010 auf 11 499 im Jahr 2012, also um knapp 18 Prozent gestiegen. Die Schule hat deshalb die Unterrichtsstundenzahl im gleichen Zeitraum um rund 15 Prozent erhöht. Es sei deutlich, dass die Teilnehmer zunehmend aus Europa, vor allem aus Südeuropa kommen. Die meisten stammen Weiß zufolge aus Spanien, in vielen Kursen seien dies mittlerweile bis zu 20 Prozent der Teilnehmer. Kein anderes Herkunftsland habe einen so hohen Anteil.

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