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Politik: Zuwanderung: Katerstimmung

Am Tag nach der langen Nacht im Kanzleramt ist die Bundesregierung verkatert. Nicht wegen des Alkohols, der gar nicht geflossen ist.

Am Tag nach der langen Nacht im Kanzleramt ist die Bundesregierung verkatert. Nicht wegen des Alkohols, der gar nicht geflossen ist. Nein, der einstimmig festgestellte Dissens trübt das rot-grüne Gemüt. Der Koalitionsgipfel, vom Kanzler kurzfristig einberufen, um die verhärteten Fronten zwischen den Grünen und seinem Innenminister über dessen Zuwanderungs-Konzept zu lockern, war kurz vor Mitternacht gescheitert. Kater eben. Doch statt diesen auszuschlafen, geben fast alle Beteiligten an der Runde im Kanzleramt am nächsten Morgen übellaunige Statements ab, die alles nur noch schlimmer machen.

So macht der Innenminister den Grünen scharfe Vorwürfe, weist sie zurecht, macht sich gar lustig über die vermeintliche Realitätsferne des Koalitionspartners. Und am Nachmittag dann stellt Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch sogar die Koalitionsfrage. Sollte das geplante Zuwanderungsgesetz ohne die Zustimmung der Grünen verabschiedet werden, dann wäre die Koalition am Ende, droht Schlauch. Genau diese Option hatte kurz zuvor der listige FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhard ins Spiel gebracht. Die Gunst der Streitstunde nutzend forderte er einen Zuwanderungskonsens ohne die Grünen. "Die brauchen wir doch gar nicht", versuchte er Otto Schily zu locken.

Schily mahnte an diesem verkaterten Tag zwar "mehr Optimismus" an: Doch zu hören bekam er nur Pessimistisches: "Ob wir in den nächsten zwei Wochen zu einer Einigung kommen, kann ich noch nicht sagen", erklärt Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller noch unter dem Eindruck der Koalitionsrunde vom Donnerstagabend. Von Beginn an hatten die Spitzen der Grünen im Kanzleramt den Eindruck, dass Schily gar nicht erst auf ihre Einwände eingehe. Schließlich zogen sich Fischer, Kuhn, Roth, Müller und Schlauch kurz zu Beratungen zurück. Danach konnten sie nur noch den "Dissens feststellen".

So wurde lediglich ein Fahrplan für die kommenden Wochen festgelegt. Die strittigen Punkte in Schilys Entwurf sollen in den nächsten Tagen von den Fachleuten beider Fraktionen festgehalten werden. Sie sollen Vorschläge machen, wie diese überbrückt werden können, prüfen also, wo welcher Kompromiss möglich ist. In zwei Wochen soll dann erneut die Koalitionsrunde im Kanzleramt tagen und bewerten, ob die Überbrückungsvorschläge tauglich sind. Vorerst wird offiziell am Ziel festgehalten, schon am 26. September einen gemeinsamen Entwurf im Kabinett zu haben. Fraglich ist nur, ob alle aus dem Kabinett dem dann auch zustimmen können.

Denn nach anfänglicher Zurückhaltung wollen die Grünen ihren Zorn über Schily nun nicht mehr verstecken. Trotz ihrer starken Vorbehalte gegen den vorliegenden Entwurf, habe sich Schily nicht bewegt, sagte Müller am Freitag. Mit dieser Haltung sei es schwierig zu einer Einigung zu kommen. Und: "Ich denke, beide Seiten müssen sich bewegen." Strittig sind nach wie vor die von Schily geplante Senkung des Nachzugsalters für Zuwanderer-Kinder auf 12 Jahre. Zudem befürchten die Grünen massive Verschlechterungen im Flüchtlingsrecht. Schily hingegen sieht dafür keinen Anlass.

Markus Feldenkirchen

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