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Politik: Zwangsläufiger Händedruck

Vor 60 Jahren vereinten sich SPD und KPD zur SED – die Hoffnungen wurden bitter enttäuscht

Von Matthias Schlegel

Berlin - Es liegt Pathos, sehr viel Pathos in den Stimmen, die an diesem Ostermontag 1946 durch den Admiralspalast an der Berliner Friedrichstraße schallen: „Ein alter Traum ist Wirklichkeit geworden: die Einheit der Arbeiterklasse“, ruft KPD-Funktionär Wilhelm Pieck in den Saal. Otto Grotewohl, Vorsitzender des Zentralausschusses der SPD, kommentiert den historischen Handschlag mit den Worten: „Wir reichen uns die Hände über Gräber hinweg.“ Dass sich die Berliner SPD zuvor gespalten hatte, weil im Westteil der Stadt die Vereinigung per Urabstimmung abgelehnt worden ist, erwähnt Pieck nur beiläufig als „Schwierigkeit“, die bald überwunden sei.

Nur wenige Ereignisse in der deutschen Nachkriegsgeschichte haben eine solch streitbare Auslegung erfahren wie der Vereinigungsparteitag von KPD und SPD am 21. und 22. April 1946, zu dem sich 507 Kommunisten und 548 Sozialdemokraten in der damaligen Spielstätte der Deutschen Staatsoper zusammengefunden hatten. 60 Jahre später ist man sich zwar weitgehend einig, dass die SED durch willfährige Unterwerfung unter das Diktat der Sowjets das politische und gesellschaftliche Leben in der Sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR beherrschte, die Sozialdemokratie im Osten Deutschlands zunächst marginalisierte und dann zum Hauptfeind erklärte. Doch noch immer ist die Frage offen, wie viel Zwang auf Seiten der KPD und der sowjetischen Militäradministration, wie viel Ergebenheit auf Seiten der SPD damals im Spiel waren.

Es sei um den 60. Jahrestag der Vereinigung von KPD und SPD zur SED „relativ ruhig“, sagte der Historiker Andreas Malycha von der Universität Dresden am Mitwochabend auf einer Veranstaltung der Stiftung Aufarbeitung. Er nährte damit die Spekulation, dass das historische Datum für die betroffenen Parteien ein noch diffizileres Thema ist, seit rot-rote Koalitionen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin regieren. Hatte die PDS als Nachfolgerin der SED ohnehin ihre Schwierigkeiten, den Zwangscharakter der damaligen Einigung zu attestieren, sah sich die SPD nun der Geschichtsvergessenheit geziehen, wenn sie den Zwang zu stark betonte: Wie könne sie sich mit der SED-Nachfolgepartei nach allem, was historisch geschehen war, ins Bett legen? So konstatiert denn auch Bernd Faulenbach von der Universität Bochum, der zugleich Vorsitzender der Historischen Kommission der SPD ist, ein wenig betreten, dass der Begriff Zwangsvereinigung heute gleich von zwei Seiten abgelehnt wird: von den Linken wie von den Konservativen.

Wie erlebten es die Zeitzeugen? Der Thüringer Hermann Kreutzer berichtet, wie er und sein Vater sich der Vereinigung verweigerten und drei Jahre lang versuchten, die SPD illegal am Leben zu erhalten: sie hielten Kontakt zum Ostbüro in Berlin, bekämpften die neuen Machthaber, gaben Informationen aus der Provinz nach Berlin an den Rias und den Tagesspiegel. Kreutzer bezahlte es mit sieben Jahren Haft. In Bautzen saß er mit hunderten anderen Sozialdemokraten ein. Die Historiker erkennen andererseits ein Geflecht von Motiven, mit denen sich Sozialdemokraten auf die Vereinigung einließen: Da ist der ehrliche Versuch, die Spaltung nach den großen Niederlagen der Arbeiterklasse bei der Machtergreifung Hitlers zu überwinden. Da ist die später bitter enttäuschte Hoffung, als mitgliederstärkere Partei werde die SPD eine Sozialdemokratisierung der SED erreichen. Da sind Verführungen der Funktionäre durch schmeichelhafte Karrieren, Lebensmittelpakete und Wohnungszusagen. Da ist der psychische Druck durch Vorladungen und „Überzeugungsarbeit“ bei den Kommandanturen, die Angst vor Fehlverhalten angesichts von Verhaftungen und Repressionen im Umfeld.

Unter diesen Vorzeichen ist es geradezu ein Wunder, dass es 1948 noch 18 000 SPD-Mitglieder in Ost-Berlin gab, wo wegen des alliierten Rechts die SPD fortbestehen konnte. 1961, im Jahr des Mauerbaus, waren es noch knapp 6000, darunter gar zwei Bundestagsabgeordnete. Die Stasi aber sorgte dafür, dass politisch nichts aus dem Ruder lief.

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