zum Hauptinhalt

Politik: Zwei Brüder und ein Staat

Im Herbst hatte Jaroslaw Kaczynski es ausgeschlossen, jetzt wird er Polen mit seinem Zwilling regieren

Der Kapitän übernimmt selbst das Ruder. Nur acht Monate gönnte Jaroslaw Kaczynski, der Chef von Polens nationalkonservativer PiS, seinem Statthalter Kazimierz Marcinkiewicz den Platz auf der Regierungsbank. Nun hat der 57-jährige Zwillingsbruder von Präsident Lech Kaczynski von dessen Diensten genug. Vermutlich am Montag wird der Noch-Premier sein Amt zu Gunsten seines bisherigen Förderers räumen. Statt in den Hinterzimmern des Sejm will Kaczynski nun als Regierungschef die Fäden ziehen: Er danke Marcinkiewicz für dessen „Arbeit und Loyalität“, kündigte er am Samstag offiziell seine Kandidatur für das Amt des Premiers an.

Das Recht auf diesen Posten hatte sich der Parteistratege bei der Wahl im September erworben. Mit ihm als Spitzenkandidat wurde die PiS stärkste Kraft im Parlament. Doch um die Chance seines Bruders Lech bei der anschließenden Präsidentenwahl nicht zu gefährden, verzichtete der Strippenzieher auf das Amt. Laut Umfragen empfand damals selbst die Mehrheit der PiS-Sympathisanten zwei der so genannten „Enteriche“ an der Staatsspitze als einen zu viel. „In keinem Fall“ werde er unter seinem Bruder Premier, gelobte damals Jaroslaw: Dies sei für die Polen „nicht zu akzeptieren“.

Als seinen verlängerten Arm kürte der Hobbyschachspieler darum den Hinterbänkler Kazimierz Marcinkiewicz zum Regierungschef. Die Kalkulation ging auf: Bruder Lech triumphierte bei der Präsidentenwahl, loyal fügte sich Marcinkiewicz in der ihm zugedachten Rolle des Erfüllungsgehilfen. Selbst als ihm der PiS-Chef mit der rechtsklerikalen Liga für Polnische Familien (LPR) und der linkspopulistischen Bauernpartei Samoobrona zwei fragwürdige Koalitionspartner an die Seite stellte, machte der Premier noch gute Miene. Zum Verhängnis wurde dem volksnahen Provinzpolitiker aber seine wachsende Beliebtheit. Bald überflügelten seine Popularitätswerte die des als eher griesgrämig angesehenen Zwillingspaars – und sein Verhältnis zu diesen verschlechterte sich.

Der PiS-Chef sei „eifersüchtig“ auf den Premier, kommentiert der rechtsliberale Senator Stefan Niesiolowski dessen Degradierung zum Spitzenkandidat bei den Warschauer Bürgermeisterwahlen: „Kaczynski hasst alle, die populärer sind als er“. Tatsächlich fühlte sich Kaczynski zuletzt übergangen: So hatte sich Marcinkiewicz mit ihm weder vor der Nominierung des neuen Finanzministers Pawel Wojciechowski noch vor einem Treffen mit Oppositionschef Donald Tusk beraten. PiS-Politiker begründeten den Amtstausch hingegen damit, dass die Partei in der Koalition ein politisches Schwergewicht benötige: Es sei „natürlich“, dass der Chef der größten Partei Premier sei.

„Gewisse Risiken“ gebe es bei einer Bruderdynastie, räumt Kaczynski ein: Doch seine Kandidatur zum Premier sei die „beste Lösung“. Mit größeren Kabinettsumbildungen wird in Warschau nicht gerechnet. Doch anders als der harmonische Marcinkiewicz setzt Jaroslaw Kaczynski gern auf Konfrontation. Neue Turbulenzen sind nicht nur in Warschau, sondern auch auf der internationalen Bühne garantiert. Die Regierungspolitik werde sich nicht verbessern, aber werde die offizielle Autorenschaft ihres Schöpfers tragen, kommentiert die liberale „Gazeta Wyborcza“ den Premierwechsel: „Unser armes Polen – in den Klauen der PiS, der LPR und der Samoobrona.“

Thomas Roser[Warschau]

Zur Startseite