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Deutschland hinkt im Ausbau von Breitbandverbindungen hinterher.

© dpa

Zwei-Klassen-Internet: Obama befeuert deutsche Debatte um Netzneutralität

Barack Obama hat sich überraschend in die Diskussion um die Gleichbehandlung von Daten im Netz eingemischt und vor einer Aufweichung der Netzneutralität gewarnt. Und das beeinflusst auch die deutsche Debatte.

Vielleicht ist Barack Obama nur auf der Suche nach einem neuen Gewinner-Thema. Vielleicht versucht er auch nur von der klaren Niederlage bei den Kongresswahlen vor einigen Tagen abzulenken. Aber egal wie, seine klaren Einlassungen zur Netzneutralität, der Gleichbehandlung von Daten im Netz, sind eine Überraschung und ein eindeutiger Vorstoß.

Obama rief die eigentlich unabhängige Regulierungsbehörde FCC auf, die Einrichtung von kostenpflichtigen Überholspuren auf der Datenautobahn zu verbieten. "Kein Anbieter eines Dienstes sollte in einer 'Kriechspur' festsitzen, weil er keine Gebühren bezahlt“, erklärte Obama in einer Videobotschaft. Ansonsten sei das Prinzip der gleichen Bedingungen, was Grundlage für das Wachstum des Netzes sei, für alle untergraben. Die FCC hatte im April für aufsehen gesorgt, weil sie kostenpflichtige Spezialangebote ins Spiel gebracht hatte. Die US-Kabelanbieter, über die die meisten Amerikaner ihre Breitbandverbindungen bekommen, kommen die Äußerungen Obamas nicht zupass. Denn sie wollen ihre Spezialangebote etablieren. Die Aktienkurse brachen ein. Vermutlich wird der Streit am Ende vor Gericht landen.

Auch in Deutschland wird kontrovers über Netzneutralität diskutiert

In Deutschland wird der Vorstoß Obamas dagegen positiv aufgenommen. Denn auch hier wird über die Netzneutralität und die konkrete Ausgestaltung diskutiert. Auf dem IT-Gipfel vor wenigen Tagen in Hamburg war der Breitbandausbau das zentrale Thema. Denn längst geht es nicht mehr nur um den schnellen Datentransport für private Haushalte, sondern für verschiedene Bereiche in der Industrie. Hier müssen immer größere Datenmengen immer schneller transportiert werden. Verschiedenste Automatisierungsverfahren werden unter dem Stichwort "Echtzeit-Internet" oder "Industrie 4.0" entwickelt, bei denen schon ein kleiner Ruckler in der Datenleitung fatale Folgen haben kann. Deutschland hinkt im internationalen Vergleich hinterher. „Die erste Halbzeit der Digitalisierung haben wir in Europa verloren“, sagte Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom auf dem IT-Gipfel. Um aufzuholen im Breitbandbereich müssen Milliarden investiert werden, was der Staat nicht allein kann und will, sondern im Zusammenspiel mit der Industrie. Die ist auch bereit, allerdings wird die Politik auch einen Preis zahlen müssen: Ein Aufweichen der Netzneutralität, weil die Anbieter kostenpflichtige Spezialdienste etablieren wollen, die Vorrang im Netz bekommen.

Wie weit dieses Entgegenkommen gehen wird, dürfte in den kommenden Wochen für einige Diskussionen innerhalb der Bundesregierung sorgen. Mit dem Bundeswirtschafts- dem Verbraucherschutz- und dem Verkehrsministerium sind gleich drei Ministerien beteiligt. Auch das Kanzleramt wird ein Wörtchen mitreden wollen. Im Wirtschaftsministerium verwies man darauf, dass die Abstimmungen andauern.

Klingbeil: "Klare und restriktive Definition von Spezialdiensten"

Der netzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Lars Klingbeil begrüßt die Einlassungen Obamas. "Die Äußerungen von Barack Obama sind durchaus überraschend, weil die Diskussion in den USA zuletzt in eine andere Richtung ging. Aber ich begrüße seine Positionierung ausdrücklich und hoffe, dass sie auch einen positiven Effekt auf die deutsche Debatte hat", sagte Klingbeil dem Tagesspiegel. Das Mitglied im Bundestags-Ausschuss "Digitale Agenda" verweist auf den Koalitionsvertrag, in dem SPD und Union sich auf die gesetzliche Verankerung der Netzneutralität verständigt hatten. "Das muss jetzt durch die Bundesregierung konkretisiert werden", forderte Klingbeil. Er ist nicht gänzlich gegen die Einführung von Spezialdiensten, aber wenn, nur klar reglementiert. Spezialdienste, bei denen eine technische Notwendigkeit dafür bestehe, vorrangig im Netz behandelt zu werden beispielsweise im medizinischen Bereich halte er für zulässig. "Allerdings brauchen wir eine klare und restriktive Definition von Spezialdiensten, sonst sehe ich die Netzneutralität in Gefahr. Voraussetzung für die Zulässigkeit dieser Dienste muss ein Genehmigungsverfahren durch die Bundesnetzagentur sein“, erklärte Klingbeil.

Auch sein CDU-Kollege Thomas Jarzombek bewertet die Äußerungen Obamas positiv. "Die klaren Worte von Barack Obama sind gut und wichtig, denn auch wir treten für die Netzneutralität ein", sagte er dem Tagesspiegel. Die konkrete Ausgestaltung könne aber nicht auf nationaler Ebene erfolgen, sondern nur auf europäischer. "Am Ende wird man eine Lösung finden müssen, die auch Spezialdienste zulässt", sagte der internetpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Allerdings müsse der Zugang zu den Netzen diskriminierungsfrei sein, das heiße, jeder zu den gleichen Bedingungen. "Außerdem müssen diese Dienste in der sehr deutlichen Minderheit bleiben."

Bereiche für Spezialdienste könnten die Medizin sein, aber auch die Industrie 4.0 oder die Automobilwirtschaft. "Dort geht es um sehr zeitkritische Prozesse, bei denen ein Ruckeln in der Leitung schon gravierende Folgen haben kann." Im Moment gehe es erstmal darum, die Ziele zu formulieren, die dann konkret ausgestaltet werden. "Dazu gehören auch die Frage der Kontrolle, die Bundesnetzagentur wird dabei sicher eine zentrale Rolle spielen." 

Telekom sieht Notwendigkeit von Spezialdiensten

Der Deutschlandchef der Deutschen Telekom, Jan van Damme, hatte vor wenigen Wochen im Interview mit dem Tagesspiegel erklärt, dass das Internet frei, offen und ohne Diskriminierung bleibe. Fakt sei aber auch, dass es Dienste gebe, die höhere Qualitätsansprüche hätten als andere. "Große Internetunternehmen können ihre Angebotsqualität beispielsweise durch weltweite Serverparks schon heute verbessern. Kleine Unternehmen haben bisher aber keine Chance, weil es für sie keine Angebote gibt. Ist das fair? Das Internet muss sich auch bei uns weiterentwickeln können, sonst verlieren wir noch stärker den Anschluss an die USA und Asien. Was als Netzneutralität verkauft wird, ist in Wahrheit die Privilegierung der großen amerikanischen Internetkonzerne. Und das geht zu Lasten von kleinen Start-ups." Laut van Damme werde es zusätzliche Dienste geben, bei denen die Telekom ein Qualitätsversprechen abgeben müsse. "Bei Videokonferenzen, medizinischen Diensten oder bei vernetzten Autos können wir nicht sagen, die Latenzzeit ist hier und da ein wenig länger. Oder würden Sie Aussetzer bei einer  telemedizinischen Anwendung tolerieren? Andererseits ist es für Sie unerheblich, ob eine Email mit zwei Sekunden Verzögerung ankommt."

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